Long-COVID: Biomarker bestätigen sich nicht



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13.02.2024 08:46

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Long-COVID: Biomarker bestätigen sich nicht

Etwa 0,5% aller Menschen entwickeln nach einer SARS-CoV-2-Infektion über Monate anhaltende Beschwerden. Dieser Zustand wird als Long-COVID oder Post-COVID bezeichnet. Solche Patient:innen zu erkennen, gestaltet sich für die behandelnden Mediziner:innen oft schwierig, da die Symptome vielgestaltig sind und von psychischen Faktoren beeinflusst werden. Daher sucht die Wissenschaft intensiv nach sogenannten Biomarkern, also bestimmten Laborwerten im Blut der Betroffenen, die die Diagnose Long-COVID zweifelsfrei bestätigen.

Forschende des Universitätsklinikums Essen und der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen mussten die Hoffnung auf den schnellen Einsatz einiger solcher Biomarker nun dämpfen.

Long-COVID ist ein noch unverstandenes Phänomen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Erkrankung mit bis zu 200 unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann, etwa einer ausgeprägten Müdigkeit (Fatigue), Konzentrationsstörungen oder starken Schmerzen. Trotzdem sind die Untersuchungsbefunde meistens völlig normal. Daher setzt die Wissenschaft große Hoffnung in die Entdeckung von Biomarkern, mit deren Hilfe es gelingen soll, Menschen mit Long-COVID eindeutig zu identifizieren.
Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen berichteten, dass insbesondere das Aktivitätshormon Cortisol und bestimmte Entzündungsbotenstoffe im Blut, sogenannte Zytokine, geeignete Biomarker bei Long-COVID sein könnten. Laut diesen Studien ist die Konzentration von Cortisol im Blut Long-COVID Betroffener deutlich niedriger als bei Gesunden, die Menge an entzündungsfördernden Zytokinen ist dagegen erhöht. Die Messung solcher Blutwerte hätte es den behandelnden Ärzt:innen zukünftig möglich gemacht, die Diagnose Long-COVID rasch und sicher zu stellen. Diese hoffnungsvollen Ergebnisse konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Essen in einer aktuellen Studie nun nicht bestätigen.

Die Wissenschaftler:innen bestimmten die Blutwerte von Cortisol und der Zytokine TNFalpha, Interleukin-1beta und Interleukin-6 in vier verschiedenen Gruppen an insgesamt 130 Teilnehmenden: Menschen, die nie eine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten; Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber kein Long-COVID entwickelten; Menschen, die Long-COVID hatten, aber wieder vollständig davon genesen waren und Menschen mit anhaltendem Long-COVID. Die Ergebnisse, die in der aktuellen Ausgabe von “Therapeutic Advances in Neurological Disorders” erschienen sind, waren überraschend – alle gemessenen Werte lagen im Normbereich, und es gab keinerlei Unterschiede zwischen den genannten Gruppen. „Leider konnten wir nicht bestätigen, dass Cortisol und einige der wichtigsten Entzündungsbotenstoffe alltagstaugliche Biomarker bei Menschen mit Long-COVID sind. Diese Nachricht ist für die Betroffenen sicher enttäuschend, passt allerdings zu unseren früheren Untersuchungen, dass es sich bei Long-COVID nicht um eine körperliche Erkrankung im engeren Sinne handelt, sondern die Psyche eine große Rolle spielt“, fasst Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie und federführender Autor der Studie, zusammen.

„Die Ergebnisse zeigen das Dilemma der medizinischen Forschung: Während es wichtig ist, Studienergebnisse anderen Forschenden zugänglich zu machen, stehen auf der anderen Seite Patient:innen, bei denen unter Umständen zu große Hoffnungen auf Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten geweckt werden“, erklärt Dr. Michael Fleischer, Facharzt für Neurologie am UK Essen. Dennoch sei es sinnvoll, bei Long-COVID auch zukünftig nach Faktoren zu suchen, die die Erkrankung begünstigen. „Hier werden wir uns insbesondere auf den psychischen Bereich konzentrieren, da erste Therapiestudien nahelegen, dass viele Long-COVID Betroffene gut von einer Psychotherapie profitieren“, so Prof. Kleinschnitz.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz
Klinik für Neurologie
Universitätsmedizin Essen
Email: christoph.kleinschnitz@uk-essen.de


Originalpublikation:

https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/17562864241229567


Weitere Informationen:

https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1538


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW