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21.04.2023 09:52
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
NMOSD-Betroffene: Weniger kognitive Einschränkungen als bisher angenommen
In einer großen Studie unter Leitung der MHH-Neurologie untersuchten Forschende die Kognition von Patientinnen und Patienten mit der seltenen Erkrankung NMOSD. Es zeigte sich, dass etwa 20 Prozent der Betroffenen eingeschränkte kognitive Fähigkeiten haben.
Menschen mit der seltenen Neuromyelitis optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) haben schwere körperliche und psychische Beeinträchtigungen. Aber leiden sie auch an Einschränkungen ihrer kognitiven Fähigkeiten? Das untersuchten Neurologinnen und Neurologen in der CogniNMO-Studie. Insgesamt nahmen 17 auf die Erkrankung spezialisierte Behandlungszentren in Deutschland daran teil. Professorin Dr. Corinna Trebst und Dr. Martin Hümmert von der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) leiteten die Studie. Die Ergebnisse wurden im „Multiple Sclerosis Journal“ veröffentlicht.
Bislang keine eindeutigen Aussagen zu kognitiven Fähigkeiten
In Deutschland gibt es wenige Tausend Menschen mit NMOSD. Bei diesen Erkrankungen handelt es sich um eine seltene Autoimmunkrankheit, die schubförmige Entzündungen des zentralen Nervensystems verursacht. Die Betroffenen leiden unter Einschränkungen wie Sehstörungen, Lähmungen, Inkontinenz und Schmerzen. „Ob ihre kognitiven Fähigkeiten ebenfalls vermindert sind, war bislang nicht eindeutig. Studien hatten dazu unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Ergebnisse geliefert“, beschreibt Professorin Trebst die Ausgangssituation. Unter kognitiven Fähigkeiten sind verschiedene Prozesse zu verstehen, die der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen dienen. Dazu zählen Aufmerksamkeit, Denken und Gedächtnisleistung. „Wir wollten herausfinden, wie viele Betroffene kognitive Einschränkungen haben, welcher Art diese sind, ob sie im Zusammenhang mit einem Krankheitsschub, einer Depressions- oder Fatigue-Symptomatik auftreten oder von anderen Faktoren abhängen, beispielsweise dem Vorhandensein von Autoantikörpern“, erklärt Dr. Hümmert. Außerdem sollte weltweit erstmalig auch der Langzeitverlauf der kognitiven Fähigkeiten untersucht werden.
Einschränkungen im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung
Die Ergebnisse der CogniNMO-Studie zeigen, dass Menschen mit NMOSD im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung schlechtere Werte bei der visuellen Verarbeitungsschnelligkeit und bei der Wortflüssigkeit erzielen. „Die Häufigkeit der kognitiven Einschränkungen ist mit circa 20 Prozent in mindestens zwei Kognitionstests allerdings deutlich geringer als aus vorherigen Studien angenommen“, erläutert Professorin Trebst. Die kognitiven Einschränkungen stehen in keinem Zusammenhang mit Krankheitsschüben oder mit dem Vorhandensein eines bei 80 Prozent der NMOSD-Erkrankten nachweisbaren Antikörper gegen Aquaporin 4, einem Wasserkanal auf den Astrozyten (Stützzellen) des Nervensystems. „Darüber hinaus ist die Kognitionsleistung völlig unabhängig von einer Depressions- oder Fatigue-Symptomatik“, stellt Dr. Hümmert fest. Auch eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten innerhalb von zwei Jahren sei nicht zu beobachten. Zusammenfassend ergab die Studie wertvolle Informationen zu den kognitiven Einschränkungen NMOSD-Betroffener.
Neuropsychologische Tests und Fragebögen
Die Studie wurde von 2015 bis 2021 durchgeführt. Die teilnehmenden NEMOS-Zentren gehören zum gleichnamigen Netzwerk (siehe www.nemos-net.de), das sich der Erforschung der NMOSD widmet. Insgesamt wurden Daten von 217 Patientinnen und Patienten gesammelt und ausgewertet. „Um die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmenden zu erfassen, wurden an den Zentren drei etablierte neuropsychologische Tests durchgeführt“, erläutert Neuropsychologe Professor Dr. Bruno Kopp. „Außerdem erhoben wir demographische und klinische Daten und werteten diese aus“, ergänzt Carlotta Stern, Medizinstudierende und Doktorandin. Die Studienteilnehmenden nahmen an regelmäßigen Kontrolluntersuchungen im Abstand von circa einem Jahr teil und absolvierten die drei neuropsychologischen Tests erneut – so konnten die Forscherinnen und Forscher die kognitiven Fähigkeiten im Verlauf der Erkrankung beobachten. Für die Zukunft sind weitere Längsschnittuntersuchungen und der Ausbau der Testbatterie werden im NEMOS Netzwerk geplant.
SERVICE:
Die Originalarbeit finden Sie unter: https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/13524585231151212?rfr_dat=cr_pub++…
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professorin Dr. Corinna Trebst, trebst.corinna@mh-hannover.de und Dr. Martin Hümmert, huemmert.martin@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-2390.
Bilder
Professorin Trebst und Dr. Hümmert im Gespräch mit einer Patientin.
Copyright: Karin Kaiser/MHH
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch