Rheuma: Mit weniger Kortison auskommen – Große multinationale Studie beurteilt frühzeitige Absetzung

Rheuma: Mit weniger Kortison auskommen – Große multinationale Studie beurteilt frühzeitige Absetzung



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30.07.2020 11:00

Rheuma: Mit weniger Kortison auskommen – Große multinationale Studie beurteilt frühzeitige Absetzung

Müssen Kortisonpräparate bei chronischen Entzündungskrankheiten wie Rheuma langfristig genommen werden? Oder lässt sich die Therapie frühzeitig absetzen, um typische Nebenwirkungen zu vermeiden? Und wie kann man diese Präparate absetzen, ohne dass es zu einem Entzugssyndrom kommt? Das hat ein Forschungsteam unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin jetzt in der großangelegten europäischen SEMIRA-Studie untersucht. Das Ergebnis: Die Fortsetzung der Kortisongabe zeigte zwar einen etwas besseren Behandlungserfolg, aber auch das Absetzen gelang in den meisten Fällen. So könnten langfristige Nebenwirkungen der Behandlung vermieden werden.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Glucocorticoide wie Kortison sind hochwirksame Präparate zur Behandlung von Entzündungskrankheiten, die jedoch bei langzeitiger Gabe schwere Nebenwirkungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und Infektionen haben können. Darüber hinaus unterdrücken diese Präparate langfristig die Produktion von körpereigenem Kortison in der Nebenniere, was zu Müdigkeit, Übelkeit bis hin zum Blutdruckabfall führen und lebensbedrohlich werden kann. Zur Vermeidung solcher Nebenwirkungen ist eine rechtzeitige Reduktion – das sogenannte Ausschleichen – von Kortisonpräparaten notwendig. Diese erfolgt schrittweise, um den Körper langsam an die veränderte Dosierung zu gewöhnen und ein Entzugssyndrom zu verhindern. Glucocorticoide auszuschleichen, ohne dass die Entzündung wiederkehrt, ist jedoch in vielen Bereichen der Medizin ein häufiges Problem.

„Es gab bislang keine Ergebnisse aus doppelblinden, randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien, in denen ein niedrig dosiertes Prednison – das gängigste Kortisonpräparat – in einem Absetz-Schema mit gleichbleibend dosiertem Prednison verglichen wurde. In der SEMIRA-Studie haben wir dies beispielhaft bei dem Krankheitsbild der rheumatoiden Arthritis analysiert, das besonders häufig mit Glucocorticoiden behandelt wird“, erklärt der Erstautor der Studie, Prof. Dr. Gerd Rüdiger Burmester. Er ist Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie am Campus Charité Mitte. Zusammen mit dem Leitenden Oberarzt Prof. Dr. Frank Buttgereit gehört er zum Team der SEMIRA-Studie (Steroid Elimination In Rheumatoid Arthritis), das an fast 40 Zentren in sechs Ländern über 250 Probanden untersuchte.

Alle Patientinnen und Patienten hatten mindestens über sechs Monate hinweg Glucocorticoide erhalten und damit ihre Entzündungserkrankung weitgehend unter Kontrolle. In der Kontrollgruppe wurde die Behandlung mit einer niedrigen Prednisondosis über sechs Monate fortgesetzt, im Absetz-Schema hingegen wurde die Therapie schrittweise reduziert und schließlich nach vier Monaten ganz abgesetzt. Beide Gruppen erhielten darüber hinaus eine Begleittherapie mit dem Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab. Bei 77 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine gleichbleibende Prednisondosis erhielten, gelang es, ein Wiederaufflammen der Entzündungen zu verhindern. Ein solcher Behandlungserfolg stellte sich auch bei 65 Prozent der Betroffenen ein, deren Therapie heruntergefahren wurde. Erfreulicherweise blieben beide Gruppen von klinisch relevanten Veränderungen ihrer Laborwerte, Entzugserscheinungen oder schwerwiegenden Problemen verschont.

„Die Behandlungserfolgsrate von 65 Prozent beim Ausschleichen der Kortisonpräparate ist für eine gemeinsame Entscheidungsfindung mit den Betroffenen von großer Bedeutung. Es kann nun im Einzelfall beurteilt werden, ob eine weitere Therapie mit Glucocorticoiden sinnvoll ist oder ein Absetzen versucht wird“, sagt Prof. Burmester. „Unsere Ergebnisse bieten zudem einen Rahmen für Untersuchungen zum Absetzen von Glucocorticoiden auch in anderen Therapiesituationen – etwa in der Allergologie, Neurologie oder Dermatologie –, bei denen diese Präparate ebenfalls verabreicht werden und eine Ungewissheit hinsichtlich der Risiken und Vorteile eines Absetzens besteht.“


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie
Campus Charité Mitte
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 513 061
E-Mail: gerd.burmester@charite.de


Originalpublikation:

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)30636-X/fullt…
DOI: 10.1016/S1040-6736(20)30636-X


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW