Starke anti-virale Immunität der Atemwege schützt Kinder vor schwerem Verlauf von COVID-19



Teilen: 

18.08.2021 17:59

Starke anti-virale Immunität der Atemwege schützt Kinder vor schwerem Verlauf von COVID-19

Kinder infizieren sich ebenso mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2, haben im Vergleich zu Erwachsenen aber ein sehr niedriges Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken. Wissenschaftler*innen des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), der Charité –Universitätsmedizin Berlin, des Uniklinikums in Leipzig sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) haben mit Einzelzellanalysen die Ursache hierfür herausgefunden. Sie konnten zeigen, dass das kindliche Immunsystem in den oberen Atemwegen wesentlich stärker aktiv ist als bei Erwachsenen und damit besser gewappnet im Kampf gegen das Virus. Ihre Ergebnisse haben die Forscher*innen nun in Nature Biotechnology veröffentlicht.

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Es wird schon lange spekuliert, warum Kinder deutlich seltener schwer an COVID-19 erkranken als Erwachsene, obwohl sie demselben Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Offenbar können Kinder die Infektion besser kontrollieren, doch die genauen molekularen Mechanismen dafür waren bisher nicht bekannt. „Wir wollten verstehen, warum die Virusabwehr bei Kindern offenbar so viel besser funktioniert als bei Erwachsenen“, erklärt Professorin Irina Lehmann, Leiterin der AG Molekulare Epidemiologie am BIH.

Seit Beginn der Pandemie ist das BIH Team um Irina Lehmann und Roland Eils, Direktor des Zentrums für Digitale Gesundheit am BIH, den COVID-19 Krankheitsmechanismen auf der Spur. Basierend auf Einzelzellanalysen aus dem Nasen-Rachen-Raum von Erwachsenen haben die BIH Forscher*innen die an schweren Erkrankungsverläufen beteiligten Zellen und Signalwege identifiziert und darauf aufbauend eine klinische Studie in die Wege geleitet, die eine neue Therapie für schwerkranke Patient*innen erprobt. Aktuell rücken jedoch Kinder immer mehr in das Zentrum des Interesses, da diese noch nicht durch Impfungen geschützt sind. Die Infektion verläuft bei Kindern in der Regel jedoch deutlich milder als bei Erwachsenen. „Wir wollten deshalb vergleichende Einzelzellanalysen bei Kindern und Erwachsenen durchführen, um daraus zu lernen, wie der Schutz gegen COVID-19 funktionieren kann“, sagt Roland Eils.

Einzelzell-Analysen in den Atemwegen

Das Team um Professor Marcus Mall, Direktor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin an der Charité, hatte für diese Untersuchungen Proben aus der Nasenschleimhaut von gesunden und von mit SARS-CoV-2 infizierten Kindern und Erwachsenen gesammelt und die Krankheitsverläufe untersucht. „Die meisten der infizierten Kinder hatten nur leichte Symptome wie Schnupfen oder leicht erhöhte Temperatur, und die Beschwerden klangen nach wenigen Tagen wieder ab“, erklärt Marcus Mall. In den von den Kinderärzt*innen gewonnenen Proben führten die BIH Forscher*innen Einzelzell-Transkriptom-Analysen durch, sie untersuchten also, welche Gene in welchen Zellen wie häufig abgelesen wurden. Insgesamt wurden für diese Studie 268.745 Zellen von 42 Kindern und 44 Erwachsenen analysiert.

Vorbereitet auf den Kampf gegen SARS-CoV-2

Der Vergleich der von den Kindern und Erwachsenen gewonnen Zellen zeigte ein überraschendes Ergebnis. Die Immun- und Epithelzellen der Nasenschleimhaut von gesunden Kindern waren bereits in erhöhter Alarmbereitschaft und vorbereitet für den Kampf gegen SARS-CoV-2. Für eine schnelle Immunantwort gegen das Virus müssen sogenannte Mustererkennungsrezeptoren aktiviert werden, die das Erbgut des Virus, die Virus-RNA, erkennen und eine Interferon-Antwort einleiten. Infiziert SARS-CoV-2 eine Zelle, überrumpelt es normalerweise dieses Frühwarnsystem, wodurch diese Anti-Virus-Antwort zumeist eher schwach ausfällt und das Virus sich massiv in der Zelle vermehren kann. In den untersuchten kindlichen Zellen war dieses Mustererkennungssystem jedoch deutlich stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen, so dass das Virus, sobald es in der Zelle ankommt, schnell erkannt und bekämpft werden kann.

Um zu beweisen, dass es genau dieser Mechanismus ist, der zu einer schnellen Elimination von SARS-CoV-2 führt und die Kinder schützt, arbeiteten die BIH-Forscher*innen mit dem Team von Dr. Marco Binder, Virologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg zusammen. Die Heidelberger Kolleg*innen haben Lungenepithelzellen im Labor mit SARS-CoV-2 infiziert und konnten zeigen, dass das Vorhandensein genau jener Mustererkennungsrezeptoren, die bei den Kindern stärker ausgeprägt sind, darüber entscheidet, ob infizierte Zellen schnell genug auf eine Infektion mit dem Virus reagieren können. Wie bei diesen Laborexperimenten beobachtet, zeigten SARS-CoV-2 infizierte Kinder vor allem in den ersten Tagen der Infektion eine deutlich stärkere Interferon-Antwort als Erwachsene. Dazu passen bereits veröffentlichte Daten aus anderen Studien, die darauf hinweisen, dass Kinder eine geringere Viruslast haben und das Virus schneller eliminieren als Erwachsene.

Den schützenden Faktoren auf der Spur

Der Kinderarzt Marcus Mall schlussfolgert aus den Ergebnissen: „Das bringt uns ein großes Stück weiter im Verständnis darin, warum Kinder die Infektion mit SARS-CoV-2 so viel besser kontrollieren können als Erwachsene.“ Und das Team um Irina Lehmann und Roland Eils denkt bereits über die Anwendung der Ergebnisse nach. Irina Lehmann sagt: „Wir haben aus dieser Studie gelernt, dass es offensichtlich nicht nur Risikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe gibt, sondern auch schützende Faktoren. Aus dem Wissen heraus, welche Voraktivierungen hilfreich als Schutz vor bestimmten Viren sind, könnte man nun auch darüber nachdenken, eine derartige anti-Virus-Antwort bereits vor einer Infektion gezielt zu induzieren und so möglicherweise Risikopatienten vor einer schweren Erkrankung zu schützen.“

Originalpublikation: J. Loske, J. Röhmel, S. Lukassen, S. Stricker, V. G. Magalhães, J. Liebig, R. L. Chua, L. Thürmann, M. Messingschlager, A. Seegebarth, B. Timmermann, S. Klages, M. Ralser, B. Sawitzki, L. E. Sander, V. M. Corman, C. Conrad, S. Laudi, M. Binder, S. Trump, R. Eils, M. A. Mall, and I. Lehmann „Pre-activated antiviral innate immunity in the upper airways controls early SARS-CoV-2 infection in children“; Nature Biotechnology, DOI: https://doi.org/10.1038/s41587-021-01037-9
—————————

Über das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité
Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) waren bis 2020 eigenständige Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte dritte Säule in die Charité integriert, das MDC ist Privilegierter Partner des BIH.

Kontakt
Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Kommunikation & Marketing
Berlin Institute of Health (BIH) at Charité
+49 (0) 30 450 543019
stefanie.seltmann@bih-charite.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Irina Lehmann
Prof. Roland Eils
Prof. Marcus Mall


Originalpublikation:

Originalpublikation: J. Loske, J. Röhmel, S. Lukassen, S. Stricker, V. G. Magalhães, J. Liebig, R. L. Chua, L. Thürmann, M. Messingschlager, A. Seegebarth, B. Timmermann, S. Klages, M. Ralser, B. Sawitzki, L. E. Sander, V. M. Corman, C. Conrad, S. Laudi, M. Binder, S. Trump, R. Eils, M. A. Mall, and I. Lehmann „Pre-activated antiviral innate immunity in the upper airways controls early SARS-CoV-2 infection in children“; Nature Biotechnology, DOI: https://doi.org/10.1038/s41587-021-01037-9


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW