Übermässiges Trinken: Gewohnheit oder Hormonstörung?



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16.11.2023 10:03

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Übermässiges Trinken: Gewohnheit oder Hormonstörung?

Wer mehr als drei Liter Flüssigkeit am Tag trinkt, könnte an einem seltenen Mangel eines Hormons leiden. Bei vielen ist es aber auch harmlose Gewohnheit. Eine Verwechslung ist allerdings fatal, weshalb Forschende untersucht haben, welcher Test eine zuverlässige Diagnose liefert.

Literweises Trinken, auch «Polydipsie-Polyurie-Syndrom» genannt, ist meistens mit der Zeit durch Gewohnheit entstanden oder eine Begleiterscheinung einer psychischen Krankheit. In seltenen Fällen steckt aber ein Defizit an Vasopressin dahinter. Dieses Hormon der Hirnanhangdrüse steuert den Wasser- und Salzgehalt im Körper. Personen mit Vasopressin-Defizit können den Urin nicht konzentrieren, verlieren deshalb grosse Mengen an Flüssigkeit und verspüren ein starkes Durstgefühl.

Die Unterscheidung zwischen einer «harmlosen» Form des Vieltrinkens und einem Vasopressin-Defizit ist äusserst wichtig: In ersterem Fall werden Betroffene verhaltenstherapeutisch begleitet, um die Trinkmenge langsam zu reduzieren. Personen mit einem Vasopressin-Defizit erhalten hingegen das Hormon Vasopressin. Eine falsche Behandlung mit Vasopressin kann zu einer Wasservergiftung führen und daher lebensbedrohlich sein.

Test mit Salz oder Arginin?

In den letzten Jahren haben sich die beiden Forschungsgruppenleiterinnen Prof. Dr. Mirjam Christ-Crain und PD Dr. Julie Refardt zusammen mit mehreren nationalen und internationalen Zentren intensiv mit Testmethoden zur Unterscheidung dieser beiden Krankheitsbilder beschäftigt. So gilt etwa ein Test, bei dem die Vasopressin-Ausschüttung mittels einer Salzinfusion stimuliert wird, als sehr zuverlässig. «Allerdings sind wegen des starken Salzanstiegs eine ständige Überwachung und halbstündliche Salzmessungen im Blut der Patientinnen und Patienten notwendig», erklärt Prof. Christ-Crain.

Ein stark vereinfachter und verträglicherer Test mittels Arginin-Infusion liefert ebenfalls sehr zuverlässig eine Diagnose. Auch Arginin, eine bedingt essentielle Aminosäure, stimuliert die Ausschüttung von Vasopressin.

Klarheit in der Diagnosestellung

Mit einem internationalen Team haben Christ-Crain und Refardt die beiden Tests nun direkt miteinander verglichen und die Ergebnisse im «New England Journal of Medicine» veröffentlicht. Die Studie mit 158 Teilnehmenden zeigt, dass mittels Salzinfusion über 95 Prozent der Patientinnen und Patienten richtig diagnostiziert werden konnten. Der Test mittels Arginin-Infusion führte hingegen nur in knapp 75 Prozent der Fälle zur richtigen Diagnose. PD Dr. Refardt ordnet ein: «Angesichts dieser Ergebnisse empfehlen wir den Salzinfusions-Test als Goldstandard für eine zuverlässige Unterscheidung zwischen Polydipsie und Vasopressin-Defizit.»


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Mirjam Christ-Crain, Departement Klinische Forschung, Universität Basel, Universitätsspital Basel, E-Mail: Mirjam.Christ-Crain@usb.ch
PD Dr. Julie Refardt, Departement Klinische Forschung, Universität Basel, Universitätsspital Basel, E-Mail: julie.refardt@usb.ch


Originalpublikation:

Julie Refardt et al.
Arginine or Hypertonic Saline–Stimulated Copeptin to Diagnose AVP Deficiency
New England Journal of Medicine (2023), doi: 10.1056/NEJMoa2306263


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW