Wie können Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht und Adipositas zu Programmteilnahmen motiviert werden?



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13.12.2023 11:30

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Wie können Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht und Adipositas zu Programmteilnahmen motiviert werden?

Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht Adipositas als eine der größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit im 21. Jahrhundert. Das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) hat nun die in Österreich, Deutschland und der Schweiz angebotenen Gruppenprogramme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht und Grad 1 Adipositas sowie zahlreiche internationale Literaturquellen untersucht. Aus den Ergebnissen haben die Forscherinnen verschiedene Strategien abgeleitet, die bei der Gestaltung von Programmen zu einer besseren Erreichbarkeit der Zielgruppen und folglich auch zu einer höheren Teilnahmemotivation führen können.

Für die WHO gelten erwachsene Menschen ab einem Body Mass Index (BMI) von 25 als übergewichtig, ab 30 sprechen Expert:innen von Adipositas. Übergewicht gilt als einer der Hauptrisikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes Typ II, Herz-Kreislauferkrankungen, chronische Lungenerkrankungen oder Depressionen. Daten aus Österreich zeigen, dass aktuell ungefähr ein Viertel der Kinder und Jugendlichen und mehr als die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig oder adipös sind – Tendenz steigend.

Für die Therapie von Übergewicht und Adipositas werden von den Krankenkassen unter anderem multimodale Gruppenprogramme angeboten. Diese setzen sich aus mehreren Elementen – Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie – zusammen und dauern meist mehrere Monate. In einer aktuellen Studie hat das AIHTA auf Basis internationaler Literatur analysiert, welche Barrieren für die Teilnahme an Gruppenprogrammen bestehen und wie Programme gestaltet werden können, um Zielgruppen besser zu erreichen und sie in den Programmen zu halten.

Zu den im deutschsprachigen Raum recherchierten Programmen (20 für Kinder und Jugendliche, 14 für Erwachsene) gab es oftmals keine öffentlich einsehbaren Evaluationen und nur wenige Informationen über deren Strategien bezüglich Rekrutierung und Motivation potenzieller Teilnehmer:innen.

Häufig Schwierigkeiten bei Erreichung der Zielgruppen

Laut Studienleiterin Inanna Reinsperger gibt es generell wenig wissenschaftlich gesicherte Informationen dazu, wie die Anbieter dieser Programme ihre Zielgruppen erreichen und welche Methoden welchen Anteil an der Rekrutierung der Programmteilnehmer:innen haben. Eine Analyse von 16 internationalen Studien hat gezeigt, dass meist mehrere aktive und passive Rekrutierungsmethoden eingesetzt werden. Aktive Strategien wie etwa die Überweisung durch Ärzt:innen gekoppelt an Routine-Untersuchungen bzw. direktes Anschreiben mit Informationen zu Studien werden mit passivem Ansprechen der Zielgruppen wie z.B. durch Plakate, Flyer und Informationen in (sozialen) Medien kombiniert.

Die untersuchten Studien berichten dabei über zahlreiche Barrieren auf unterschiedlichen Ebenen: Diese umfassen beispielsweise auf gesellschaftlicher Ebene die Wahrnehmung von Übergewicht und Adipositas sowie damit verbundene Stigmatisierung. Barrieren bei den potenziellen Teilnehmer:innen sind u.a. fehlende Behandlungsmotivation sowie Unterschätzung des Ausmaßes an Übergewicht und bei Jugendlichen die Angst vor Mobbing und Diskriminierung. Bei Kindern liegt laut Reinsperger der Fokus sehr stark auf organisatorischen Barrieren. Außerdem seien die Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht mangels hohen Leidensdrucks eher schwer für die Programme zu gewinnen, bei Adipositas falle das etwas leichter.

Strategien zum Abbau von Barrieren

Als Strategien zum Abbau dieser Barrieren empfehlen die Studienautorinnen Sarah Wolf und Inanna Reinsperger neben der Schulung der Rekrutierungspersonen in kultur- und gewichtssensibler Kommunikation ein gezieltes Ansprechen schwerer erreichbarer Gruppen wie sozial benachteiligter Personen und Menschen mit Migrationshintergrund direkt in den für die Zielgruppe relevanten soziokulturellen Settings – vorzugsweise durch Personen mit ähnlichem Hintergrund und (mehrsprachigem) Informationsmaterial in einfacher Sprache. Generell ist zu konstatieren, dass die zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen auf die potenziellen Teilnehmer:innen abgestimmt sein sollten: So kann eine gewisse Flexibilität des Zeitplans und ein gut erreichbarer Standort mit öffentlicher Verkehrsanbindung und ausreichend Parkmöglichkeiten zu einer gesteigerten Teilnahmebereitschaft und langfristigen Teilnahme führen. Unterstützung bei Kinderbetreuung und Transport erhöht zudem für Familien die Möglichkeit einer Programmteilnahme.

Außerdem sollte der Fokus auf positive Botschaften und den Nutzen einer gesunden Lebensweise für die Teilnehmer:innen statt auf reine Gewichtsreduktion gelenkt werden: „Wenn ich jetzt nur das Übergewicht habe und ansonsten gesund bin, ist eine Intervention mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion gar nicht notwendig oder kann vielleicht sogar schädlich sein, weil sie z.B. den sogenannten Jo-Jo-Effekt fördert und so längerfristig zu einem höheren Gewicht führen kann“, gibt Inanna Reinsperger zu bedenken. So empfehlen Leitlinien Lebensstilinterventionen im Übergewichtsbereich (also BMI zwischen 25 und 30) nur dann, wenn weitere Risikofaktoren oder andere Erkrankungen vorliegen, die durch eine Gewichtsreduktion verbessert werden könnten.

Erhöhung der Teilnahmemotivation

Eine weitere Herausforderung ist es, die Teilnehmer:innen über die gesamte Dauer des Programms zu halten, also eine gute Programmadhärenz zu erreichen. Oftmals kommt es zu frühzeitigen Programmabbrüchen, wodurch die erhofften Ziele wie Gewichtsreduktion bzw. Verbesserung der Lebensqualität nicht langfristig erreicht werden. Zu dieser Fragestellung wurden von den AIHTA-Forscherinnen acht Literaturübersichten (Reviews) untersucht. In diesen Reviews gab es eindeutige Hinweise, dass sich etwa zu hohe Erwartungen (z.B. eine rasche Gewichtsabnahme), eine fehlende Motivation der Eltern und mehrere frühere Diätversuche bei Erwachsenen negativ auf die Bereitschaft auswirken, langfristig am Programm teilzunehmen.

Den Studienautorinnen zufolge könnte die Teilnahmemotivation durch eine Orientierungsveranstaltung vor und das Setzen von realistischen Zielen zu Programmbeginn erhöht werden. Außerdem trägt die Einbeziehung der Teilnehmer:innen (Co-Designing) bei der Gestaltung der – bevorzugt abwechslungsreichen – Programminhalte zur Verbesserung der Adhärenz bei. Als entscheidend für eine langfristige Teilnahmemotivation haben die Forscherinnen des AIHTA zudem eine gute Beziehung zu einem geschulten Betreuungsteam identifiziert, das die Programmteilnehmer:innen bestenfalls mit motivierenden Rückmeldungen stärkt.

Während bei Programmen für Kinder und Jugendliche die Stärkung des Selbstvertrauens und das Miteinbeziehen der Familie positive Effekte auf die Teilnahme zeigt, profitieren Programme für Erwachsene unter Umständen von finanziellen Anreizen – beispielsweise Gutscheine für andere Kurse oder die Rückerstattung einer Kaution bei Teilnahme an einer gewissen Anzahl von Programmterminen. Jedenfalls sollten die teilweise in den verschiedenen Programmen anfallenden Selbstbehalte für sozioökonomisch schwächere Personen subventioniert werden.

Verhalten versus Verhältnisse

Abschließend erklärt Studienleiterin Inanna Reinsperger, dass sich die untersuchten Gruppenprogramme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht und Adipositas nur auf das individuelle Verhalten fokussieren. Idealerweise sollte Übergewicht aber – wie auch von der WHO gefordert – im Sinne des gesundheitspolitischen Ansatzes „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern) betrachtet und gesundheitsfördernde Infrastrukturen geschaffen werden: beispielsweise eine bewegungsfreundliche Gestaltung der Lebenswelten und Zugang zu leistbaren und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Kontakt für inhaltliche Fragen und Interviews:
Austrian Institute for Health Technology Assessment
Mag.a Inanna Reinsperger, MPH
T +43 / 1 / 2368119-18
Garnisongasse 7/20, 1090 Wien
E-Mail: inanna.reinsperger@aihta.at
Web: www.aihta.at

Kontakt für Fragen zur Veröffentlichung:
Marietta Mühlfellner; T +43 / 676 / 4082923
E-Mail: marietta.muehlfellner@aihta.at


Originalpublikation:

Wolf S., Reinsperger I. Strategien zur Rekrutierung und Programmadhärenz bei Gruppenprogrammen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht und Grad 1 Adipositas. AIHTA Projektbericht Nr.: 155; 2023. Wien: HTA Austria – Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. https://eprints.aihta.at/1486/


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch


 

Quelle: IDW