Esketamin-Nasenspray wirkt gegen Depression



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05.10.2023 08:05

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Esketamin-Nasenspray wirkt gegen Depression

Bis zu 30 Prozent der Menschen, die von schwerer Depression betroffen sind, finden trotz medikamentöser Behandlung keine Linderung. Eine von Janssen gesponserte, große internationale Studie, die in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Frankfurt durchgeführt wurde, hat nun die Überlegenheit von Esketamin-Nasenspray gegenüber der bisher in der Nationalen Versorgungsleitlinie empfohlenen Therapieform bestätigt. Die Ergebnisse wurden am 05. Oktober 2023 im New England Journal of Medicine veröffentlicht.

Schwere Depressionen und ebenso therapieresistente Depressionen sind häufig. Bis zu einem Drittel der Patientinnen und Patienten spricht auf eine konventionelle Therapie mit Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) nicht an. Die behandlungsresistente Depression (Treatment resistant depression, abgekürzt TRD) schlägt sich in einer erhöhten Komorbiditätsrate, Suizidversuchen und -vollendungen, Gesamtmortalität und Krankenhauseinweisungen nieder. Außerdem ist die Rückfallquote bei den Betroffenen hoch, was den Bedarf an wirksamen und gezielten Therapien für die TRD verdeutlicht. Janssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson hat eine internationale randomisierte Phase-IIIb-Studie in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Frankfurt abgeschlossen. Dabei wurden Wirkstoffe und Darreichungsformen von zwei Kombinationstherapien miteinander verglichen: Eine Gruppe erhielt SSRI/SNRI in Kombination mit Esketamin-Nasenspray. In der Vergleichsgruppe wurden SSRI/SNRI zusammen mit Quetiapin-Retardtabletten verabreicht, wie in der Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression empfohlen. Die Forscherinnen und Forscher stellten fest: Wenn beide Behandlungen in Kombination mit fortgesetzter SSRI/SNRI erfolgen, ist die Wirksamkeit von Esketamin-Nasenspray mit dem Erreichen einer Remission in der achten Woche und der Rückfallfreiheit bis Woche 32 nach der Remission in der achten Woche (während der Behandlung in der Studie) der Quetiapin-Therapie überlegen.

Pharmakologische Wirkungssteigerung
„Wenn eine Patientin oder ein Patient auf zwei verschiedene antidepressive Therapien über mehrere Wochen keine Verbesserung zeigt, sprechen wir von einer therapieresistenten Depression, also einer TRD. Forschungen zeigen, dass dann der Einsatz eines zusätzlichen Medikamentes Wirkung zeigen kann”, erklärt Prof. Dr. Andreas Reif, Erstautor der Publikation und Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt. „Ein solches Zusatzmedikament muss nicht in erster Linie antidepressiv wirken, aber oft kann es in Kombination mit der bisherigen SSRI- oder SNRI-Therapie die Wirkung verbessern bzw. verstärken. Das wurde in der Vergleichsgruppe mit Quetiapin zusätzlich zur laufenden SSRI/SNRI-Behandlung gemacht.“ Esketamin hat, wie aus der Anästhesiologie bekannt, eine analgetische Wirkung, aber in der hier verwendeten Dosierung und mit der Anwendung als Nasenspray hat es auch eine ausgeprägte antidepressive Wirkung. Man nimmt an, dass sie einer verminderten neuronalen Plastizität im Gehirn entgegenwirkt, die bei Patienten mit TRD im Allgemeinen zu beobachten ist. 27,1 Prozent der Patientinnen und Patienten in der Esketamin-Nasenspray-Gruppe, die durchschnittlich seit mehr als einem Jahr krank waren, erreichten mit Esketamin nach acht Wochen unter Studienbehandlung eine Remission, sie erfuhren also eine so weitgehende Verbesserung, dass sie den nicht-depressiven Bereich erreichen konnten. In der Studiengruppe mit Quetiapin erreichten nur 17,6 Prozent eine Remission in der achten Woche. Beide Behandlungen wurden in Kombination mit einer fortgesetzten SSRI/SNRI-Therapie durchgeführt.

Mit Esketamin eine Nase vorn
Esketamin wird bereits jetzt als wirksames Antidepressivum eingesetzt. In bisherigen Studien wurde es jedoch nur in Kombination mit einem neu begonnenen SSRI-/SNRI-Antidepressivum plus einem Placebo-Nasenspray verglichen. Bereits hier zeigte sich eine deutliche Überlegenheit der Esketamin-Gruppe gegenüber den Placebo-Probanden. In der jetzt im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlichten Studie dienen Quetiapin-Retardtabletten als Vergleichspräparat, weil sie bereits zur Augmentationsbehandlung verwendet und auch in den Leitlinien empfohlen werden. „In der Gruppe, die Esketamin-Nasenspray erhalten hat, waren 54 Prozent mehr Patientinnen und Patienten in der achten Woche in Remission als in der Gruppe, die Quetiapin-Retardtabletten erhalten hat. Das ist für eine Gruppe mit einer behandlungsresistenten Depression, also schlechten Prognose, ein guter Wert”, sagt Prof. Dr. Reif. „Auch bei der Rückfallquote, die wir nach sechs Monaten kontrolliert haben, konnten die mit Esketamin behandelten Patientinnen und Patienten diesen Vorsprung gegenüber den mit Quetiapin behandelten Personen beibehalten.“

Über die ESCAPE-TRD-Phase-IIIb-Studie
Die Janssen Pharmaceutical Companies von Johnson & Johnson bzw. die in Belgien ansässige Tochtergesellschaft Janssen Pharmaceutica NV war für die Konzeption und Koordinierung der Studie verantwortlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Janssen-Forschungsabteilungen in mehreren europäischen Ländern und in den USA haben einen wesentlichen Beitrag zur Durchführung der Studie geleistet. An der offenen, randomisierten, verblindeten und multizentrischen Studie waren insgesamt 171 Einrichtungen beteiligt. Krankenhäuser, stationäre und ambulante Kliniken sowie Forschungszentren aus 24 Ländern konnten fast 700 Patientinnen und Patienten in die Studie einbinden. In Frankfurt waren neben der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikum Frankfurt das Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie ITMP beteiligt. Gemeinsames Ziel war es, die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit des Esketamin-Nasensprays im Vergleich zu Quetiapin, beide in Kombination mit einem fortlaufenden SSRI/SNRI, bei Patientinnen und Patienten mit TRD zu bewerten. Wie prognostiziert und erhofft, zeigte die Esketamin-Nasenspray-Gruppe in allen Studienzielen bessere Ergebnisse.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andreas Reif
Direktor Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum Frankfurt
Telefon: +49 69 63 01 – 87 30 0
andreas.reif@kgu.de
https://www.kgu.de


Originalpublikation:

A. Reif, I. Bitter, J. Buyze, K. Cebulla, R. Frey, D.-J. Fu, T. Ito, Y. Kambarov, P.-M. Llorca, A.J. Oliveira‑Maia, T. Messer, S. Mulhern‑Haughey, B. Rive, C. von Holt, A.H. Young, and Y. Godinov, for the ESCAPE-TRD Investigators: Esketamine Nasal Spray versus Quetiapine for Treatment-Resistant Depression. New England Journal of Medicine (2023) https://doi.org/10.1056/NEJMoa2304145


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW