09.12.2020 14:21
Fünf Minuten Hirnstromkurven: Ein Schlüssel zu Symptomen der Parkinsonkrankheit
Krankhafte Veränderungen, die mit der Behinderung von Parkinson-Patienten zusammenhängen, werden bereits in Signalen von der Kopfhaut erkannt, ohne dass der Schädel geöffnet werden muss. Diese neuen Befunde haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig sowie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften aktuell in der Fachzeitschrift Brain veröffentlicht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wie kommt es zur charakteristischen Verlangsamung von Bewegungen bei Patienten mit Parkinson? Elektrische Schwingungen von Nervenzellen in der Tiefe des Gehirns und der Hirnrinde sind krankhaft miteinander gekoppelt. Das wissen Forscher aus Aufzeichnungen während einer Operation aus dem Gehirn von Parkinsonkranken, wenn ihnen ein Hirnschrittmacher eingesetzt wurde.
Doch kann man diese Kopplung auch erkennen, wenn die elektrische Nervenaktivität nur von der Kopfhaut der Patienten durch ein sogenanntes EEG, Elektroenzephalogramm, abgeleitet wird? Das hat Doktorandin Ruxue Gong mit einem Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr. Joseph Claßen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig und Prof. Dr. Thomas Knösche, MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften, untersucht.
In den nur fünf Minuten langen EEG-Messungen fanden die Forscher tatsächlich derartige Kopplungen bei Parkinsonpatienten, die im Vergleich zu gesunden Probanden, in Hirnregionen verstärkt sind, die der Bewegungskontrolle dienen. Das Aufbrechen von Kopplungen zwischen Schwingungen an verschiedenen Orten könnte besonders wichtig für eine Therapie der Parkinsonsymptome sein. „Wir hoffen, dass die gekoppelten elektrischen Schwingungen bei Parkinsonpatienten in der Zukunft mit elektrischer oder magnetischer Stimulation von außen korrigiert werden können, ohne dass eine Operation notwendig ist“, sagt Claßen. „Mit unseren mathematischen Modellrechnungen möchten wir erkennen, welche Merkmale solche neuartigen Therapien haben müssen, um erfolgreich zu sein. Dazu könnten die neuen Befunde einen wichtigen Baustein geliefert haben“, erklärt Knösche.
Krankhafte Kopplungen waren überdies auch in einem einzelnen Bereich der Stirnhirnrinde zu finden, der nur wenig an der motorischen Kontrolle beteiligt ist. „Vielleicht haben die bei manchen Parkinsonpatienten bestehenden kognitiven Störungen eine gemeinsame Ursache mit den motorischen Störungen“, sagt Claßen. Diese These wird in künftigen Studien weiter untersucht werden.
Originaltitel der Veröffentlichung in “BRAIN, a Journal of Neurology”:
“Spatiotemporal features of β-γ phase-amplitude coupling in Parkinson’s disease derived from scalp EEG”, doi.org/10.1093/brain/awaa400
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Joseph Claßen
Telefon: +49 341 97-24200
E-Mail: joseph.classen@medizin.uni-leipzig.de
http://neurologie.uniklinikum-leipzig.de
Prof. Dr. Thomas R. Knösche
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Brain Networks (@brainnetleipzig)
E-Mail: knoesche@cbs.mpg.de
Weitere Informationen:
https://academic.oup.com/brain/advance-article/doi/10.1093/brain/awaa400/6012950
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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