Innere Konflikte wissenschaftlich erfassen – Forschungspreis für zwei psychoanalytische Arbeiten



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28.11.2023 16:38

Innere Konflikte wissenschaftlich erfassen – Forschungspreis für zwei psychoanalytische Arbeiten

Wie kann man innere psychische Konflikte empirisch erfassen? Und wie Persönlichkeitsstörungen besser diagnostizieren als bisher, mit Hilfe psychodynamischer Kategorien? Zwei wissenschaftliche Arbeiten, die der Psychoanalyse nahestehen, sind gestern auf dem „5. Tag der Forschung“ mit dem Wilhelm-Bitter-Forschungspreis 2023 ausgezeichnet worden. Der „Tag der Forschung“ wird einmal im Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. veranstaltet.

Nähe zulassen oder unabhängig sein? Sich anderen anpassen oder rebellieren? Sich minderwertig fühlen oder vollkommen von sich überzeugt sein? Sich ständig Selbstvorwürfe machen oder jegliche Verantwortung von sich weisen? Innere Konflikte sind ein Kernkonstrukt der Psychoanalyse. Haben wir in der Kindheit keine Strategien erlernt, solche widerstreitenden Bedürfnisse zu integrieren und solche Konflikte zu lösen, kann das unsere psychische Gesundheit und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen nachhaltig beeinträchtigen. Wie lassen sich psychodynamische Konflikte wissenschaftlich dingfest machen? Aslı Akın, klinische Psychologin am Deutschen Herzzentrum der Charité, hat in ihrer Doktorarbeit die psychodynamischen Konflikte bei Jugendlichen und ihren Eltern untersucht. Für ihre Arbeit überreichte der Stiftungsratsvorsitzende Dipl.-Psych. Georg Schäfer ihr gestern auf dem „Tag der Forschung“ den Forschungspreis 2023 der Wilhelm-Bitter-Stiftung und des Vereins zur Förderung der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie in Deutschland (VFPT) e.V.

„Diese Arbeit hat besonders dadurch überzeugt, dass die Autorin einen Ansatz über die Generationen hinweg gewählt hat“, sagt Prof. Silke Wiegand-Grefe, Leiterin einer Forschungsgruppe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Professorin für klinische Psychologie an der MSH Medical School Hamburg. Sie ist die Vorsitzende der fünfköpfigen Jury. „Die Autorin hat Zusammenhänge hergestellt zwischen inneren Konflikten der Jugendlichen und dem Elternverhalten. Sie hat aber auch die psychodynamischen Konflikte der Eltern in den Blick genommen und sich die Paarkonstellationen angeschaut.“ Eines von vielen Ergebnissen ihrer Arbeit: Psychodynamische Konflikte kommen bei allen vor – auch bei einem guten Verhältnis der Jugendlichen zu den Eltern, auch in funktionierenden Paarbeziehungen und auch bei psychisch gesunden Erwachsenen und gesunden Kindern.

Die zweite preisgekrönte Publikation einer Doktorarbeit beschäftigt sich mit der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen, darunter fallen zum Beispiel die Borderline-Persönlichkeitsstörung, die narzisstische, zwanghafte oder vermeidende Persönlichkeitsstörung. Autor Ludwig Ohse promoviert an der Psychologischen Hochschule Berlin und an der Universität Kassel. „Diese Arbeit ist klinisch sehr relevant, weil Persönlichkeitsstörungen weit verbreitet sind und häufig mit anderen psychischen Störungen einhergehen“, berichtet Prof. Wiegand-Grefe. Zudem seien Persönlichkeitsstörungen schwer zu diagnostizieren – aktuelle Diagnosesysteme weisen zahlreiche Mängel auf. Nach dem neuen diagnostischen Modell, das Ohse in seiner Promotionsarbeit untersucht, werden Persönlichkeitsstörungen dadurch charakterisiert, dass Fähigkeiten zur Identität und Selbststeuerung sowie zur Empathie und Nähe gestört sind. Doch wie lassen sich diese psychodynamischen Kategorien wissenschaftlich abbilden? Ohse hat dafür ein neues Diagnoseinstrument getestet und in den psychoanalytischen Kontext eingebettet.

„Beide Arbeiten sind sehr nah am psychoanalytischen Denken, methodisch sehr sauber und international publiziert“, betont Prof. Wiegand-Grefe. So zeigt der „Tag der Forschung“ – ausgerichtet von der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. – einmal mehr, dass unbewusste Prozesse wissenschaftlich exakt abgebildet werden können.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Silke Wiegand-Grefe, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, swiegand-grefe@uke.de


Originalpublikation:

– Akın A., Seiffge-Krenke I., Obbarius A., Reitzle M., & Sarrar L. (2021): Parenting behavior and psychodynamic conflicts: Cross-sectional findings in a normative sample of adolescents and their parents. Nordic Psychology, 73 (4), 359-374.

– Ohse L., Zimmermann J., Kerber A., Kampe L., Mohr J., Kendlbacher J., Busch O., Rentrop M., & Hörz-Sagstetter S. (2023): Reliability, Structure, and Validity of Module I (Personality Functioning) of the Structured Clinical Interview for the Alternative DSM-5 Model for Personality Disorders (SCID-5-AMPD-I). Personality Disorders: Theory, Research, and Treatment, 14 (3), 287-299.


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wettbewerbe / Auszeichnungen
Deutsch


 

Quelle: IDW