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01.06.2023 09:44
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue Klasse von Antibiotika gegen resistente Bakterien
Die Medizin benötigt dringend neuartige Antibiotika zur Bekämpfung von resistenten Bakterien. Forschende der Universität Zürich haben nun in Zusammenarbeit mit der Firma Spexis Wirkstoffe entwickelt, die an einem neuen Angriffspunkt im Stoffwechsel der Bakterien ansetzen. Hierfür wurde eine natürlich vorkommende antibakterielle Substanz gezielt chemisch modifiziert.
Pro Jahr sterben weltweit mehr als fünf Millionen Menschen aufgrund von Bakterien, die gegen verfügbare Antibiotika resistent sind. Um die erfolgreiche Behandlung bakterieller Infektionen weiterhin zu gewährleisten, braucht es deshalb so schnell wie möglich neuartige Wirkstoffe. «Unglücklicherweise ist die Pipeline für neue Antibiotika ziemlich leer», sagt der Chemiker Oliver Zerbe, Leiter des NMR-Labors der Universität Zürich. «Seit mehr als fünfzig Jahren sind keine Antibiotika gegen bisher nicht verwendete Zielmoleküle zugelassen worden.»
In einer soeben publizierten Studie berichtet Zerbe nun über die Entwicklung einer hochwirksamen Antibiotika-Klasse, die Gram-negative Bakterien auf neuartige Weise bekämpft. Die WHO stuft diese Gruppe von Bakterien − die aufgrund einer doppelten Zellmembran besonders widerstandfähig sind – als äusserst gefährlich ein. Dazu gehören beispielsweise Carbapenem-resistente Enterobakterien. An der Arbeit beteiligt waren neben dem UZH-Team auch Forschende der Pharmafirma Spexis AG im Rahmen einer durch Innosuisse mitfinanzierten Zusammenarbeit.
Chemische Optimierung eines Naturstoffs
Ausgangspunkt für die Entwicklung der neuen Wirkstoffe war das natürlich vorkommende Eiweiss Thanatin, das Insekten zur Abwehr von Infektionen dient: Thanatin unterbricht eine wichtige Transportbrücke für eine essentielle Lipid-Zuckerkomponente zwischen der inneren und äusseren Membran von Gram-negativen Bakterien, wie der inzwischen emeritierte UZH-Professor John Robinson vor einigen Jahren zeigen konnte. Dadurch stauen sich diese Stoffwechselprodukte im Zellinnern an und das Bakterium stirbt ab. Allerdings eignet sich Thanatin nicht als Antibiotikum – unter anderem, weil es zu schwach wirkt und sich rasch Resistenzen dagegen bilden.
Die chemische Struktur von Thanatin wurde nun gezielt verändert, um dessen Eigenschaften zu verbessern. «Hierfür waren unsere Strukturuntersuchungen essentiell», so Zerbe. Sein Team setzte die verschiedenen Komponenten des bakteriellen Transportwegs synthetisch zusammen und konnte dann durch Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) bildlich darstellen, wo und wie sich Thanatin anlagert und den Transport unterbricht. Anhand dieser Informationen planten Mitarbeitende der Spexis AG die chemischen Modifikationen, die notwendig waren, um eine stärkere antibakterielle Wirkung zu erzielen. Weitere Abwandlungen der ursprünglichen Struktur dienten unter anderem dazu, die Stabilität zu erhöhen.
Wirksam, sicher und gegen Resistenzbildung gefeit
Die synthetisch hergestellten Substanzen wurden dann in Mäusen mit bakteriellen Infektionen getestet – mit ausgezeichneten Resultaten. «Vor allem bei Lungeninfektionen erwiesen sich die neuartigen Antibiotika als sehr wirksam», so Zerbe. «Insbesondere sind sie hocheffektiv bei Carbapenem-resistenten Enterobakterien, gegen die fast alle erhältlichen Antibiotika machtlos sind.» Zudem waren die Wirkstoffe nicht toxisch, fügten den Nieren keinen Schaden zu und blieben im Blut über lange Zeit stabil – alles Eigenschaften, die Voraussetzung für eine Zulassung als Medikament sind. In Zukunft stehen aber noch weitere präklinische Untersuchungen an, bevor erste Tests in Menschen beginnen können.
Bei der Auswahl der vielversprechendsten Wirkstoffkandidaten stellten die Forschenden zudem sicher, dass diese auch gegen Bakterien wirken, die bereits eine Resistenz gegenüber Thanatin entwickelt haben. «Wir sind zuversichtlich, dass dies die Ausbildung von zukünftigen Resistenzen massgeblich verlangsamen wird», sagt Zerbe. «Jetzt besteht die Aussicht, dass bald eine neue Klasse von Antibiotika auf den Markt kommt, welche auch gegen resistente Bakterien wirksam ist.»
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Oliver Zerbe
Institut für Chemie
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 42 63
E-Mail: oliver.zerbe@chem.uzh.ch
Originalpublikation:
M. Schuster et al.: Peptidomimetic Antibiotics Disrupt the Lipopolysaccharide Transport Bridge of Drug-Resistant Enterobacteriaceae. Science Advances, 24 May 2023.
https://doi.org/10.1126/sciadv.adg3683
Weitere Informationen:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2023/Antibiotika.html
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch