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27.06.2024 12:03
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neuer Angriffspunkt für Herpesvirus-Therapien
Schlüsselmechanismus des Herpesvirus-Austritts aufgeklärt
Hamburg, 27. Juni 2024. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Leibniz Instituts für Virologie (LIV) hat entschlüsselt, wie Herpesviren den Zellkern verlassen, ohne die Kernhülle zu beschädigen. Die am 25. Juni im renommierten Journal Nature Microbiology veröffentlichte Studie nutzt Kryo-Elektronentomographie, um die beteiligten Strukturen bis in die Details sichtbar zu machen. Diese Erkenntnisse könnten den Weg für die Entwicklung wirksamerer antiviraler Therapien ebnen.
Herpesvirusinfektionen sind weltweit verbreitet und verursachen erhebliche gesundheitliche und auch mentale Belastungen sowie lebensbedrohliche Komplikationen bei immungeschwächten Menschen.
Die neue Studie konzentriert sich auf das Herpes simplex Virus 1, den Erreger von Lippenherpes, und das Pseudorabies-Virus (PrV), ein Modellvirus für humane Herpesinfektionen. Die Forschenden haben verschiedene Strukturen des herpesviralen Kernaustrittskomplexes (nuclear egress complex, NEC) an der inneren Kernmembran identifiziert. Die NEC-Proteinhülle vermittelt den Transfer von Herpesvirus-Kapsiden (ikosaedrischen Proteinbehältern, die das Herpesvirus-Genom enthalten) in den Raum um den Zellkern und deren anschließende Freisetzung ins Zellplasma.
Das Forschungsteam nutzt modernste bildgebende Techniken wie die Kryo-Elektronentomographie, um die Schnittstelle zwischen dem NEC und der transportierten Virus-Kapsid-Oberfläche in infizierten Zellen strukturell zu charakterisieren. Diese Einblicke im Nanometerbereich zeigen, dass der NEC eine Schlüsselrolle beim Transport von Herpesvirus-Kapsiden spielt, ohne dabei die Kernhülle zu beschädigen. Die Ergebnisse deuten auf eine bemerkenswerte strukturelle Flexibilität des NEC hin und legen nahe, dass der Mechanismus nicht starr, sondern anpassungsfähig ist.
Dr. Vojtěch Pražák, Postdoktorand in der Abteilung Strukturelle Zellbiologie der Viren am LIV und einer der Hauptautoren der Studie, veranschaulicht: „Wie bekommt man einen Ball durch ein doppelt verglastes Fenster, ohne es zu zerbrechen? Wir können es nicht, aber Herpesviren haben herausgefunden, wie man das Äquivalent davon schafft – durch die Kernmembranen zu gelangen, ohne sie zu zerreißen. Dies ist eine sehr nützliche Fähigkeit für sie, da ein beschädigter Kern dem Immunsystem signalisieren würde, dass etwas nicht stimmt.“
„Unsere Arbeit zeigt, dass die Bildung einer NEC-Hülle an der Kernmembran der Schlüsselmechanismus ist, durch den Herpesviren aus dem Zellkern entkommen und dann ihren Zusammenbau im Zytosol der Wirtszelle abschließen“, erklärt Yuliia Mironova, Doktorandin in der Abteilung Strukturelle Zellbiologie der Viren am LIV und eine weitere Hauptautorin der Studie. „Die detaillierte Charakterisierung dieser Prozesse könnte neue Wege für die gezielte Unterbrechung der Virusvermehrung eröffnen“, ergänzt Mironova.
Frühere Studien haben die Bedeutung des NEC für den viralen Lebenszyklus hervorgehoben. Diese Studie liefert die erste detaillierte strukturelle Analyse der NEC-Viruspartikel-Schnittstelle in der zellulären Umgebung. Prof. Dr. Kay Grünewald, Leiter der Abteilung Strukturelle Zellbiologie der Viren am LIV und Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Centre for Structural Systems Biology, betont: „Wir haben untersucht, wie Proteine in NEC-Strukturen unterschiedlicher Kurvatur in Zellen interagieren und so die Flexibilität dieser Interaktionen identifiziert. Dadurch konnten wir zeigen, wie die lokale Kernmembran-ausstülpung aktiviert wird. Überraschenderweise fanden wir auch, dass die Interaktion zwischen Kapsid und NEC nicht auf bestimmte Positionen der Kapside beschränkt ist.“
Insgesamt bieten die neuen Erkenntnisse dieser Studie vielversprechende Perspektiven für die Bekämpfung von Herpesvirusinfektionen. Die strukturellen Einblicke im Nanomaßstab des Forschungsteams legen den Grundstein für das Verständnis des komplexen Kernaustritts-mechanismus, der allen Herpesviren gemeinsam ist. Dementsprechend bieten die Ergebnisse auch für andere humanpathogene Herpesviren relevante und spannende Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer antiviraler Therapiemöglichkeiten.
Hintergrundinformationen
Herpesviren vervielfältigen ihr Erbgut im Zellkern der infizierten Wirtszelle. Dieses wird in die neuen Virus-Kapsiden verpackt, die dann den Zellkern verlassen müssen, um im Zellplasma final zu membranumgebenen Viruspartikeln zusammengebaut und schließlich aus der Zelle freigesetzt zu werden. Danach können sie benachbarte Zellen infizieren, häufig auch Nervenzellen. In letzteren besteht die Fähigkeit, dass Herpesviren latent überdauern, das heißt ohne sich aktiv zu vermehren. Damit sind sie für antivirale Medikamente nicht zugänglich. Bei Stress oder anderen Auslösern wie UV-Licht können Infektionen reaktiviert werden.
Das Pseudorabies-Virus (PrV) wird in der Studie als Modellvirus verwendet, um die Mechanismen des Herpesvirus-Austritts (nuclear egress) zu untersuchen. Herpesviren teilen viele grundlegende Mechanismen und Strukturen, daher sind Erkenntnisse, die mit PrV gewonnen werden, oft auch auf andere Herpesviren übertragbar. Dies schließt Herpesviren mit ein, die beim Menschen Krankheiten hervorrufen wie die Herpes simplex Viren 1 und 2 (HSV-1 und HSV-2), die das Lippenherpes bzw. Genitalherpes verursachen sowie das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das Windpocken und Gürtelrose auslöst.
Derzeit nutzen antivirale Medikamente zur Behandlung von Herpesvirusinfektionen einige wenige Angriffsstellen. Sie können nur die Symptome lindern und die Dauer des akuten Ausbruchs begrenzen, sind jedoch nicht in der Lage, das Virus aus dem Körper vollständig zu eliminieren. Daher besteht nach wie vor ein Bedarf an neuen Therapien, um die Resistenz gegen die verfügbaren Virostatika wirksamer zu bekämpfen. Dies ist nicht nur wichtig, um die Lebensqualität aller von Herpesviren betroffenen Personen zu verbessern, sondern auch besonders wichtig für immungeschwächte Personen, für die Herpesvirus-Infektionen lebensbedrohlich werden können.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof Dr. Kay Grünewald
Tel: +49 (0)40 8998-87700
kay.gruenewald@leibniz-liv.de
Originalpublikation:
Molecular plasticity of herpesvirus nuclear egress analysed in situ
Doi: 10.1038/s41564-024-01716-8
Link: https://rdcu.be/dLP3D
Bilder
Kryo-Elektronentomogramm Herpesvirus in lebender Zelle
Dr. Vojtěch Pražák
LIV / Gruenewald
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch