20.08.2020 18:12
Studie des UKE und der Universität Wien zeigt: Allein lernen reicht nicht aus
Neurowissenschaftler erforschen soziale Entscheidungsfindung im menschlichen Gehirn
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wir treffen Entscheidungen, die nicht nur auf unsere eigene Lernerfahrung basieren, sondern auch darauf, dass wir von anderen lernen. Aber wie können wir angesichts der Entscheidungen anderer Menschen unser eigenes Lernen verbessern? Wird soziales Lernen anders verarbeitet als direktes Lernen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE) und der Universität Wien haben dargestellt, wie soziale Entscheidungsfindung im menschlichen Gehirn erfolgt. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Die Neurowissenschaftler Dr. Jan Gläscher, Institut für Systemische Neurowissenschaften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), und Lei Zhang, jetzt an der Universität Wien beschäftigt, konnten in ihrer Studie nachweisen, dass es parallele Berechnungen für direktes Lernen und soziales Lernen gibt, die in getrennten aber interagierenden Hirnregionen durchgeführt werden.
In der Studie wurden die Probanden in Fünfergruppen eingeteilt. Alle nahmen an demselben computerbasierten Entscheidungsexperiment teil, bei dem ihnen zwei abstrakte Symbole präsentiert wurden. Ihre Aufgabe war herauszufinden, welches Symbol langfristig zu mehr monetärer Belohnung führen würde. Alle wählten zunächst in jeder Runde des Experiments eines der beiden Symbole aus, bevor sie dann prüften, welches Symbol die vier anderen jeweils ausgewählt hatten. Im nächsten Schritt durfte jeder entweder die erste Wahl beibehalten oder zum anderen Symbol wechseln.
Abschließend wurde jedem auf der Grundlage der zweiten Entscheidung ein monetäres Ergebnis, entweder ein Gewinn oder Verlust, zugewiesen. „Mit dieser Herangehensweise ermöglichen wir Interaktionen zwischen den Probanden in Echtzeit, was die ökologische Validität stark erhöht“, sagt Studienleiter und Erstautor Lei Zhang, Postdoktorand Universität Wien.
Ablauf der Studie
In der Tat änderte sich das mit höherer Belohnung verbundene Symbol ständig. Am Anfang des Experiments lieferte eins der beiden Symbole in 70 Prozent der Fälle monetäre Belohnung und nach einigen Runden in nur 30 Prozent. Während des Experiments erfolgten diese Änderungen mehrmals. „Dieses sogenannte Reversal Learning Paradigm schafft eine Unsicherheit für die Probanden, so dass sie stets erneut lernen müssen, um mehr Gewinn zu erzielen. Vor allem, wenn die Umkehr gerade erfolgt ist, konnten manche Mitglieder der Gruppe dies schneller aussuchen als die anderen; und konnten so diese soziale Information mit ihren eigenen Entscheidungsprozessen verbinden“, erklärt Dr. Jan Gläscher, Letztautor und Leiter der Arbeitsgruppe „Valuation and Social Decision-Making“ im UKE.
Erwartungsgemäß wechselten die Probanden häufiger, wenn sie mit den entgegengesetzten Entscheidungen der anderen konfrontiert wurden. Interessanterweise spiegelte die zweite Wahl – nach Berücksichtigung der sozialen Information – die Belohnungsstruktur besser wider als die erste Wahl. Wie lässt sich dieses Ergebnis erklären? Die Forschenden verwendeten fein abgestimmte Modelle für die Quantifizierung des Verhaltens der Probanden und sie präsentierten separate Berechnungsstrategien für direktes und soziales Lernen. „Zu Beginn jeder Runde kombinierten die Probanden ihre eigenen direkten Lernerfahrungen und die soziale Lernerfahrung, um eine Wahl zu treffen. Dabei folgt das direkte Lernen einem einfachen Reinforcement-Learning Algorithmus. Soziales Lernen wird durch die Beobachtung der Belohnungshistorie der anderen initiiert“, sagt Zhang.
Innerhalb jeder Gruppe scannten die Forschenden das Gehirn eines Probanden mit funktioneller Magnetresonanztomographie. Dies ermöglichte ihnen zu messen, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort das Gehirn direktes und soziales Lernen ausführt. Außerdem konnten die Wissenschaftler bestimmen, inwiefern die beiden Arten des Lernens tatsächlich mit unterschiedlichen neuralen Signaturen assoziiert sind. Die Hirnscans zeigten, dass direktes Lernen im ventromedialen präfrontalen Kortex erfolgt, wohingegen soziales Lernen im anterioren cingulären Kortex erfolgt. Diese beiden Bereiche interagieren auch mit einem Bereich im Zentrum des Gehirns namens Striatum. „Welches sowohl bekannte Vorhersagefehler für Belohnungen als auch einen neuen Vorhersagefehler für die Übereinstimmung mit den anderen berechnet. Diese beiden Fehler führen zu einer Anpassung der Erwartungshaltungen in diesen beiden Bereichen, was wiederum präzisere Vorhersagen und damit bessere Entscheidungen ermöglicht“, sagt Gläscher. „Dies deutet auf ein integriertes Netzwerk im Gehirn hin, das den sozialen Einfluss auf die menschliche Entscheidungsfindung moduliert.“
Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass zwei eigene Arten von Lernsignalen in getrennten aber interagierenden Hirnregionen verarbeitet werden, die separate Berechnungsstrategien für die Entscheidungsfindung in sozialen Kontexten repräsentieren. „Direktes Lernen ist in stabilen Situationen effizient. Und wenn Situationen wechselhaft und unsicher sind, könnte bei der Anpassung an neuartige Situationen soziales Lernen eine wichtige Rolle spielen zusammen mit direktem Lernen, wie beispielsweise bei der Speisewahl in einer neuen Firmenkantine“, erklärt Gläscher.
Ein wichtiger Bereich für zukünftige Forschungen wird sein, einen Teil des integrierten Netzwerkes mit non-invasiver Hirnstimulation zu stören und festzustellen, wie Verhaltensweisen und Berechnungsstrategien in sozialer Entscheidungsfindung dadurch verändert werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Jan Gläscher
Institut für Systemische Neurowissenschaften
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Telefon: 040 7410-58804
glaescher@uke.de
Originalpublikation:
L. Zhang & J. Gläscher. “A Brain Network Supporting Social Influences in Human Decision-making”. Science Advances. 19 August 2020. DOI: 10.1126/sciadv.abb4159
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Pädagogik / Bildung
überregional
Forschungsergebnisse
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