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25.10.2023 12:22
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wie sich das Tuberkulosebakterium verbarrikadiert
Tuberkulose fordert weltweit jährlich etwa 1,3 Millionen Todesopfer. Verursacht wird die Infektion durch den Erreger Mycobacteria tuberculosis, dessen Erfolg von seiner gewaltigen zellulären Doppelbarriere abhängt, die ihm gleichzeitig Schutz vor dem Immunsystem des Wirts und ein Terrain für die Vermittlung von Wirt-Pathogen-Interaktionen während der Infektion bietet. Um diese Barriere schwächen zu können, muss man wissen, wie sich ihre molekularen Bestandteile organisieren und verlagern.
Diese Frage ist Gegenstand aktueller Forschung. Mithilfe von Computersimulationen und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich haben Prof. Dr. Lars Schäfer und Dr. Dario De Vecchis aus der Theoretischen Chemie der Ruhr-Universität Bochum die molekulare Reise einer entscheidenden Komponente dieser Barriere beschrieben: Triglyceride. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Nature Communications vom 13. Oktober 2023.
Ein molekularer Staubsauger
Triglyceride sind die Form, in der Fettenergie in unserem Gewebe gespeichert wird. „Auch Mykobakterien akkumulieren Triglyceride,“ erklärt Lars Schäfer. „Aber diese Moleküle speichern nicht nur Energie, sondern sind auch ein wichtiger Bestandteil, der zur Abdichtung ihrer Zellbarriere beiträgt.“ Das energiereiche Molekül muss aus dem Inneren der Bakterienzelle durch die Membran transportiert werden, um schließlich in der Mykobakterienbarriere abgelagert zu werden. Bislang waren die Einzelheiten dieser molekularen Reise nicht bekannt. „In Zusammenarbeit mit den Zürcher Strukturbiologen Prof. Dr. Markus Seeger und Dr. Sille Remm haben wir mithilfe von Computersimulationen herausgefunden, wie die Triglyceride vom Transmembranprotein RV1410 gejagt werden, das sie wie ein Staubsauger über seitliche Portale in der Proteinstruktur aus der Bakterienmembran herauszieht.“
Der Staffellauf des trojanischen Pferdes
Doch wie werden die Triglyceride schließlich von der Membran transportiert und an der Barriere abgelagert? Hier kommt der zweite Zwischenakteur ins Spiel: LprG, ein periplasmatisches Protein, das an der Membran verankert ist und ihre Oberfläche nach Triglyceriden absucht. LprG verfügt über eine wasserabweisende Tasche, die, sobald sie mit RV1410 gepaart ist, einen schmierigen Tunnel bildet, in dem die Triglyceride in einer Art Staffellauf weitergereicht werden, um schließlich die Barriere zu erreichen.
„Wir haben das RV1410-LprG-System simuliert, das in eine realistische Mykobakterienmembran eingebettet ist, und beschreiben dieses Triglycerid-Staffelrennen in atomistischen Details“, sagt Dario De Vecchis. „Man könnte sich die Mykobakterienmembran als das Schlachtfeld von Troja vorstellen, auf dem die Wissenschaftler versuchen, die Wälle des Erregers zu erobern, indem sie das RV1410-LprG-System als trojanisches Pferd einsetzen“, schildert er.
Die Entschlüsselung des molekularen Weges der Triglyceride könnte neue Strategien eröffnen, um das RV1410-LprG-System anzugehen, die mykobakterielle Barriere zu schwächen, die antimikrobielle Durchlässigkeit zu verbessern und letztlich zu wirksameren Therapien gegen Tuberkulose zu führen.
Förderung
Die Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert, Projekt SCHA 1574/6-1.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Lars Schäfer
Arbeitsgruppe Molekulare Simulation
Fakultät für Chemie und Biochemie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 21582
E-Mail: lars.schaefer@ruhr-uni-bochum.de
Originalpublikation:
Sille Remm, Dario De Vecchis, Jendrik Schöppe, Cedric A. J. Hutter, Imre Gonda, Michael Hohl, Simon Newstead, Lars V. Schäfer, Markus A. Seeger: Structural basis for triacylglyceride extraction from mycobacterial inner membrane by MFS transporter Rv1410, in: Nature Communications, 2023, DOI: 10.1038/s41467-023-42073-0
Bilder
Lars Schäfer und Dario De Vecchis (rechts) haben sich mit dem Tuberkuloseerreger befasst.
© RUB, Marquard
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch