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27.06.2023 09:34
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Zusammenhänge zwischen Darmmikrobiom und Vorhofflimmern entdeckt
Klassische Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären etwas mehr als die Hälfte des Vorhofflimmerrisikos. Auf der Suche nach weiteren Einflussgrößen haben Forschende des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) zusammen mit internationalen Wissenschaftlern das Darmmikrobiom in den Fokus genommen und konnten Veränderungen der Mikroorganismen bei Vorhofflimmern aufzeigen.
Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung, die vor allem bei älteren Menschen auftritt. Acht Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland sind davon betroffen. Zu den gefürchteten Folgeerkrankungen zählen Schlaganfall, Demenz, Depression und Herzschwäche. „Vorhofflimmern nimmt weltweit zu, was sich entsprechend auf die Klinik und auf das Gesundheitssystem auswirkt. Vorbeugende Maßnahmen sind notwendig, aber über die Risikofaktoren ist relativ wenig bekannt. Neue Ansätze zur Verbesserung der Risikovorhersage sind daher dringend erforderlich“, sagt Prof. Renate Schnabel, Wissenschaftlerin des DZHK am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Schnabel und ihre Arbeitsgruppe konnten nun in einer großen, internationalen Kooperation zeigen, dass bei Vorhofflimmern bestimmte Bakterien vermehrt vorkommen. Und zwar Bakterien aus neun Gattungen bei Patienten mit bestehendem Vorhofflimmern und acht Gattungen bei Personen, die die Rhythmusstörung später entwickelten. Die größten Veränderungen wurden in beiden Patientengruppen bei den Gattungen Enorma, Bifidobacterium und Eisenbergiellea beobachtet. Diese Verschiebungen ähneln den bei Bluthochdruck und Herzschwäche auftretenden Veränderungen der Darmflora. Bluthochdruck gehört zu den Risikofaktoren für Vorhofflimmern und Herzschwäche. Um die Bedeutung der Ergebnisse für die Risikovorhersage und die Behandlung von Vorhofflimmern abzuschätzen, sind laut den Wissenschaftlern jedoch noch umfangreiche Forschungsarbeiten erforderlich.
Ein finnischer Datenschatz
Ersten Hinweisen folgend, dass die Bakterien im Darm etwas mit Vorhofflimmern zu tun haben könnten, untersuchten Young-DZHK-Mitglied Dr. Christin S. Börschel aus Schnabels Arbeitsgruppe und Dr. Joonatan Palmu, Postdoc an der finnischen Universität Turku, die Proben und Daten von über 6.700 Teilnehmern der finnischen Langzeitstudie FINRISK. Die Studie startete 2002 und bereits zu Beginn wurden Stuhlproben der Probanden eingefroren. Die Studienteilnehmer werden seitdem regelmäßig untersucht, sodass die Wissenschaftler die Ergebnisse der Untersuchungen des Stuhlmikrobioms zusammen mit den individuellen Krankheitsgeschichten auswerten konnten. Einige der Teilnehmer entwickelten Vorhofflimmern, andere blieben gesund oder hatten es bereits zum Zeitpunkt der Probenentnahme. „Aus Sicht der epidemiologischen Forschung gehen wir davon aus, dass der Zusammenhang stärker ist und einer Kausalität näher kommt, wenn wir beobachten können, wie sich eine Erkrankung entwickelt. Deshalb sind die finnischen Studiendaten mit der langen Nachbeobachtung so wertvoll für uns“, erläutert Schnabel.
Mit Mitteln des DZHK bauten die Hamburger Forschenden dann eine Vergleichskohorte mit 138 gesunden und erkrankten Teilnehmern auf, um die Ergebnisse zu kontrollieren. Damit konnten sie die beobachteten Veränderungen der Darmbakterien überwiegend bestätigen.
Direkt oder indirekt?
Die Daten zu erheben, zu analysieren und im klinischen Kontext zu interpretieren, erforderte viele unterschiedliche fachliche Fähigkeiten. So fanden die bioinformatischen Analysen im Rahmen einer Shared Expertise in der Arbeitsgruppe von Dr. Sofia Forslund am Max-Delbrück-Center in Berlin statt.
Als Nächstes möchte Schnabel mit ihren Greifswalder DZHK-Kollegen aufschlüsseln, über welche Wege Darmbakterien das Herz beeinflussen können. Dabei stehen die Stoffwechselprodukte der Bakterien, sogenannte Metabolite, im Fokus, etwa Lipopolysaccharid (LPS) oder kurzkettige Fettsäuren. Expertise hierzu kommt vor allem von Prof. Matthias Nauck und Prof. Nele Friedrich vom Institut für klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin am Standort Greifswald. „Wir versuchen, Metabolitmuster zu identifizieren, die mit den Veränderungen des Darmmikrobioms bei Vorhofflimmern verbunden sind und eventuell das erhöhte Risiko für die Rhythmusstörung vermitteln“, so Schnabel. Da die beobachteten Veränderungen der Darmbakterien auch bei Patienten mit Bluthochdruck auftreten, stellt sich auch die Frage, ob die veränderte Darmflora direkt Herzrhythmusstörungen auslösen kann oder sich durch den Bluthochdruck verändert und dadurch Vorhofflimmern Vorschub leistet.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Renate Schnabel, Klinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, r.schnabel(at)uke.de
Originalpublikation:
Palmu J, Börschel CS, Ortega-Alonso A, et al. Gut microbiome and atrial fibrillation-results from a large population-based study. EBioMedicine. 2023;91:104583. https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2023.104583
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Prof. Renate Schnabel beschäftigt sich mit ihrem Team bereits seit Jahren mit den Ursachen von Vorho …
privat
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch