Berufswahl bei Stammzellen: Vorgegeben oder Selbstbestimmt?



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19.09.2023 09:45

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Berufswahl bei Stammzellen: Vorgegeben oder Selbstbestimmt?

Dortmunder Max-Planck-Forschende zeigen, wie die Signalmoleküle BMP und FGF während der Embryonalentwicklung als Gegenspieler agieren und so die Zelldifferenzierung lenken

Maurer, Banker, Lehrer – die Berufswahl ist eine der aufregendsten und wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben. Auch für unsere Zellen steht diese Entscheidung zu Beginn der Embryonalentwicklung an. Die einen werden Blutzellen, die anderen Muskelzellen und wieder andere werden Nervenzellen. Das Team um Christian Schröter vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund hat nun herausgefunden, wie das Gegenspiel der zwei Signalmoleküle FGF und BMP die Berufswahl der Stammzellen beeinflusst. Besonders interessant ist, dass die Stammzellen ihr Schicksal auch selbst lenken können. Die Ergebnisse helfen dabei, die Zelldifferenzierung besser zu verstehen und könnten so eine Grundlage für zukünftige Entwicklungen im Bereich der gezielten Kultivierung von Gewebe in Zellersatztherapien sein.
Die Berufswahl treffen Menschen meist erst im Teenager-Alter. Im heranwachsenden Embryo fällen Stammzellen diese Entscheidung bereits wenige Tage nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Dann beginnt die Gastrulation und die sogenannten Keimblätter bilden sich. Nach der Gastrulation kann man sich den Embryo wie eine Zwiebel mit drei Schichten vorstellen: dem Ektoderm, dem Mesoderm und dem Entoderm. Aus ihnen sollen später einmal die inneren Organe werden.

Cocktail aus Signalmolekülen
Was eine Stammzelle im frühen Embryo einmal werden soll, bestimmt ein Cocktail aus verschiedenen Signalmolekülen wie BMP, FGF, Wnt und Nodal maßgeblich. Dieser wird vom umliegenden extraembryonalen Gewebe zubereitet. Und je nach Mixtur entstehen z. B. Herz- oder Nervenzellen. Die Zusammensetzung der verschiedenen Signal-Cocktails ist gut erforscht. Die Rolle einer Zutat, des Fibroblasten-Wachstumsfaktors (FGF), der eine wichtige Rolle bei der Migration und dem Wachstum der Stammzellen spielt, ist jedoch bis heute weitgehend ungeklärt. Die Forschenden um Christian Schröter konnten nun erstmals zeigen, dass FGF als Gegenspieler des Signalmoleküls BMP agiert. Ist wenig FGF vorhanden, hat BMP eine starke Wirkung und es entstehen eher Herzzellen und extraembryonales Mesoderm; liegt viel FGF vor, wird die Wirkung von BMP unterdrückt und es entwickeln sich eher Zellen der hinteren Körperachse.

Instruktiv oder intuitiv?
Früher haben die Eltern die Berufswahl ihrer Kinder maßgeblich bestimmt. Einen ähnlich instruktiven Vorgang – basierend auf der Sekretion von Signalmolekülen – nahmen Entwicklungsbiologen bisher auch bei der Entwicklung von Stammzellen an. Die Ergebnisse der Forschenden zeigen allerdings an, dass Stammzellen nicht allein durch externe Signale angeleitet werden, sondern ihr Schicksal durchaus selbst in die Hand nehmen können. Wurden die Stammzellen in der Kulturschale durch eine kontinuierliche FGF-Zugabe instruiert, z. B. Herzzellen auszubilden, entwickelten sich trotzdem intuitiv Gruppen ganz unterschiedlicher Zelltypen. Die Forschenden vermuten dahinter eine Art Gruppeneffekt: Zellen, die eng beieinander liegen, gelingt es, miteinander zu kommunizieren. Sie senden selbst Signale aus, sodass sich die Nachbarzellen in die gleiche Richtung entwickeln: Aus ihnen wird einmal der gleiche Zelltyp; sie ergreifen denselben Beruf.

„Unsere Forschung leistet einen Beitrag dazu, den Ablauf und die Schlüsselspieler der Zelldifferenzierung besser zu verstehen“, erklärt Christian Schröter. „In Zukunft könnten diese und weitere Erkenntnisse dabei helfen, aus Stammzellen gezielt bestimmte Zelltypen zu generieren, um zum Beispiel abgestorbenes Gewebe nach einem Herzinfarkt ersetzen zu können. Bis jetzt ist eine selektive Kultivierung bestimmter Zelltypen noch nicht möglich.“


Originalpublikation:

Gattiglio M, Protzek M, Schröter C (2023). Population-level antagonism between FGF and BMP signaling steers mesoderm differentiation in embryonic stem cells. Biol Open. doi: 10.1242/bio.059941.


Weitere Informationen:

https://www.mpi-dortmund.mpg.de/aktuelles/berufswahl-bei-stammzellen


Bilder

Stammzellen werden durch die Ausschüttung verschiedener Signalmoleküle während der Gastrulation instruiert bestimmte Zelltypen auszubilden. Sie können ihr Schicksal jedoch beeinflussen: Sie senden selbst Signalmoleküle aus und kommunizieren so miteinander

Stammzellen werden durch die Ausschüttung verschiedener Signalmoleküle während der Gastrulation inst

MPI für molekulare Physiologie

Einzelzell-Transkriptom Analyse einer embryonalen Referenzprobe im Vergleich zu mit FGF-instruierten Stammzellen aus der Studie. Farbliche Punkte zeigen unterschiedliche Zellentypen. Trotz Instruktion durch FGF (rechts) bilden sich versch. Zelltypen.

Einzelzell-Transkriptom Analyse einer embryonalen Referenzprobe im Vergleich zu mit FGF-instruierten

MPI für molekulare Physiologie


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW