Beyond Einstein: Rätsel um Photonen-Impuls gelöst

Beyond Einstein: Rätsel um Photonen-Impuls gelöst


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01.10.2019 14:33

Beyond Einstein: Rätsel um Photonen-Impuls gelöst

Physiker der Goethe-Uni messen winzigen Effekt mit neuer super-COLTRIMS Apparatur/ Publikation in Nature Physics

FRANKFURT. Den Nobelpreis erhielt Albert Einstein für die Erklärung des Photoeffekts: In seiner intuitivsten Form wird dabei ein einzelnes Atom mit Licht bestrahlt. Laut Einstein besteht das Licht aus Teilchen (Photonen), die ihre Energie nur gequantelt auf ein Elektron des Atoms übertragen. Reicht die Energie der Photonen aus, so schlagen sie das Elektron aus dem Atom heraus. Aber wohin geht dabei der Impuls der Photonen? Physiker der Goethe-Universität konnten diese Frage nun beantworten. Dafür entwickelten und bauten sie ein neues Spektrometer mit bisher unerreichter Auflösung.

Doktorand Alexander Hartung ist über den Bau der Apparatur zweimal Vater geworden. In dem drei Meter langen und 2,50 Meter hohen Gerät stecken ungefähr so viele Teile wie in einem Auto. In der Experimentierhalle der Physik auf dem Campus Riedberg ist es von einem blickdichten schwarzen Zelt umgeben, in dessen Innerem sich ein extrem leistungsfähiger Laser befindet. Seine Photonen treffen in der Apparatur auf einzelne Argon-Atome, denen sie jeweils ein Elektron entreißen. Der Impuls dieser Elektronen zum Zeitpunkt des Aufbrechens wird in einer langen Röhre der Apparatur mit extrem hoher Präzision gemessen.

Bei dem Gerät handelt es sich um eine Weiterentwicklung des in Frankfurt erfundenen und inzwischen weltweit verbreiteten COLTRIMS-Prinzips: Es besteht darin, einzelne Atome zu ionisieren oder Moleküle aufzubrechen und anschließend den Impuls der Bruchstücke exakt zu bestimmen. Allerdings ist der laut theoretischen Berechnungen erwartete Übertrag des Photonen-Impulses auf Elektronen so klein, dass er bisher nicht gemessen werden konnte. Deshalb hat Hartung das „super COLTRIMS“ gebaut.

Wenn viele Photonen aus einem gepulsten Laser auf ein Argon-Atom einprasseln, wird dieses ionisiert. Die Energie der Photonen wird dabei teilweise zum Aufbrechen des Atoms verbraucht. Die übrige Energie geht auf das freigesetzte Elektron über. Die Frage, bei welchem Reaktionspartner (Elektron und Atomkern) dabei der Impuls der Photonen bleibt, beschäftigt Physiker seit über 30 Jahren. „Die einfachste Idee wäre: Solange das Elektron gebunden ist, geht der Impuls auf das schwere Teilchen, also den Atomkern, über. Sobald es frei ist, geht der Photonen-Impuls auf das Elektron über“, erklärt Hartungs Doktorvater Prof. Reinhard Dörner vom Institut für Kernphysik. Das wäre etwa so, wie Wind, der seinen Impuls auf das Segel eines Boots überträgt. Solange das Segel fest ist, treibt der Windimpuls auch das Boot voran. In dem Moment, in dem die Leinen reißen, geht der ganze Windimpuls nur noch auf das Segel über.

Die Antwort, die Alexander Hartung in seinem Experiment gefunden hat, ist aber – wie man es von der Quantenmechanik kennt – noch überraschender: Das Elektron bekommt nicht nur den erwarteten Impuls, sondern auch noch ein Drittel des Photonenimpulses, der eigentlich auf den Atomkern hätte übergehen sollen. Das Segel des Boots „weiß“ also bereits vor dem Reißen der Seile von dem nahenden Unglück und klaut dem Boot etwas von dessen Impuls. Um das Ergebnis genauer zu erklären, greift Hartung auf das Bild des Lichts als elektromagnetische Welle zurück: „Wir wissen, dass die Elektronen eine schmale Energiebarriere durchtunneln. Dabei zieht sie das starke elektrische Feld des Laserlichts vom Atomkern weg, während das magnetische Feld den Elektronen diesen zusätzlichen Impuls überträgt.“

Für das Experiment verwendete Hartung eine geschickte Messanordnung: Um sicher zu gehen, dass der kleine Zusatzimpuls der Elektronen nicht versehentlich durch eine Asymmetrie in der Apparatur erzeugt wird, hat er den Laserpuls von zwei Seiten auf das Gas treffen lassen – mal nur von rechts oder links, und dann gleichzeitig, was die größte Herausforderung an die Messtechnik darstellte. Diese neue Art der Präzisionsmessung verspricht, die bisher unerforschte Rolle der magnetischen Komponente des Laserlichts in der Atomphysik tiefgreifend zu verstehen.

Bilder zum Download finden Sie unter: http://www.uni-frankfurt.de/82277680
Bild 1:
Foto des COLTRIMS-Reaktionsmikroskops, das Alexander Hartung im Rahmen seiner Doktorarbeit aufgebaut hat, in der Experimentierhalle des FB Physik. Copyright: Alexander Hartung

Bild 2:
Technische Zeichnung des neu aufgebauten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops. Die Zeichnung zeigt einen Schnitt durch den experimentellen Aufbau. Einzelne Gas-Atome, die im Bild durch das senkrechte Rohr von oben nach unten fliegen, werden von einem hochintensiven Laser ionisiert. Der Strahlengang des Lasers ist auf dem hinteren Tisch dargestellt. Die Impulse der Elektronen und Ionen, die in der Reaktion entstehen, werden durch das waagerecht gezeigte bronzefarbene Spektrometer in der Vakuumkammer sehr präzise vermessen. Dadurch kann die Auswirkung des winzig kleinen Impulses des ionisierenden Laserlichts auf die Elektronen genau untersucht werden. Copyright: Alexander Hartung

Publikation:
A. Hartung, S. Eckart, S. Brennecke, J. Rist, D. Trabert, K. Fehre, M. Richter, H. Sann, S. Zeller, K. Henrichs, G. Kastirke, J. Hoehl, A. Kalinin, M. S. Schöffler, T. Jahnke, L. Ph. H. Schmidt, M. Lein, M. Kunitski, R. Dörner: Magnetic fields alter tunneling in strong-field ionization, in: Nature Physics, doi: 10.1038/s41567-019-0653-y.
https://www.nature.com/articles/s41567-019-0653-y
Informationen: Prof. Dr. Reinhard Dörner, Alexander Hartung, Institut für Kernphysik, Fachbereich Physik, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-47003 bzw. 47019; Email: doerner@atom.uni-frankfurt.de bzw. hartung@atom.uni-frankfurt.de.
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Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drei größten deutschen Universitäten. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist die Goethe-Universität Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main. www.goethe-universitaet.de

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Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Reinhard Dörner, Alexander Hartung, Institut für Kernphysik, Fachbereich Physik, Campus Riedberg, Tel.: (069) 798-47003 bzw. 47019; Email: doerner@atom.uni-frankfurt.de bzw. hartung@atom.uni-frankfurt.de.


Originalpublikation:

A. Hartung, S. Eckart, S. Brennecke, J. Rist, D. Trabert, K. Fehre, M. Richter, H. Sann, S. Zeller, K. Henrichs, G. Kastirke, J. Hoehl, A. Kalinin, M. S. Schöffler, T. Jahnke, L. Ph. H. Schmidt, M. Lein, M. Kunitski, R. Dörner: Magnetic fields alter tunneling in strong-field ionization, in: Nature Physics, doi: 10.1038/s41567-019-0653-y.
https://www.nature.com/articles/s41567-019-0653-y


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW