Epigenetisch wirkende Medikamenten könnten Krebs-Immuntherapie unterstützen



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24.10.2023 17:05

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Epigenetisch wirkende Medikamenten könnten Krebs-Immuntherapie unterstützen

Epigenetisch wirkende Medikamente ermöglichen, dass in der Zelle Bereiche des Erbguts abgelesen werden, die vorher blockiert und unzugänglich waren. Das führt zur Bildung neuer mRNA-Abschriften und auch neuer Proteine, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Universitätsklinikum Tübingen jetzt veröffentlichten. Diese „therapieinduzierten Epitope“ könnten das Immunsystem beim Erkennen von Krebszellen unterstützen.

Bei vielen Krebsarten sind Immuntherapien fester Bestandteil des Behandlungsspektrums. Doch nicht alle Patienten profitieren davon. Einer der Gründe für das Versagen dieser Behandlungsform kann sein, dass das Immunsystem des Patienten die Krebszellen nicht als solche erkennt. Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg dieser Therapien ist, dass Krebszellen auf ihrer Oberfläche Proteinstrukturen, so genannte Antigene, tragen, an denen die T-Zellen des Immunsystems sie von gesunden Körperzellen unterscheiden können.

Solche Antigene können etwa krebsassoziierte Proteine sein („tumorassoziierte Antigene“) oder durch Mutationen veränderte Eiweiße. Es kann sich aber auch um ganz neue Genprodukte handeln, die in Tumorzellen entstehen, weil ganz neue Bereiche von Genen abgelesen werden.

Wissenschaftler um Christoph Plass, DKFZ, und Juliane Walz, Universität und Universitätsklinikum Tübingen, hatten nun die Idee, Krebszellen noch sichtbarer für das Immunsystem zu machen: Sie statten die Zellen mit ganz neuen Antigenen aus – mithilfe epigenetisch wirkender Krebsmedikamente.

Diese Wirkstoffe werden bei vielen Krebserkrankungen verordnet. Sie wirken auf die so genannten epigenetischen Markierungen an der DNA oder an DNA-Verpackungsproteinen, den Histonen. Epigenetische Markierungen entscheiden darüber, ob die Zelle bestimmte Bereiche des Erbguts in mRNA ablesen kann oder nicht.

Zu diesen Wirkstoffen zählen etwa demethylierende Medikamente wie z.B. Decitabine oder die so genannten HDAC-Inhibitoren*. Sie bewirken, dass bisher blockierte, unzugängliche Bereiche des Erbguts abgelesen werden können und dadurch neue mRNA-Transkripte in der Zelle entstehen.

Die Behandlung einer Lungenkrebs-Zelllinien in der Kulturschale mit Decitabine und HDAC-Inhibitoren induzierte tatsächlich mehrere tausend neuer Transkripte, wie das Team um Plass durch RNA-Analysen herausfand. Die Mehrheit dieser neuen Transkripte entstammte endogenen Retroviren. Diese Sequenzen, die bis zu acht Prozent des menschlichen Genoms ausmachen, gelten als Relikte retroviraler Infektionen aus längst vergangenen Zeiten. Normalerweise ist ihre Transkription durch epigenetische Mechanismen blockiert. Der Effekt der durch Decitabine und den HDAC-Inhibitoren induzierten Neoepitope fällt in Krebszellen weitaus stärker aus als in gesunden Zellen. Experten sehen die Ursache für diesen Unterschied in der hohen Proliferationsrate der Krebszellen.

Die spannende Frage war nun, ob diese „therapieinduzierten Transkripte“ tatsächlich für immunogene Proteinabschnitte, sogenannte Peptide, kodieren. Das prüfte das Team um Juliane Walz mithilfe der Massenspektrometrie. So konnten die Forscher 45 „Neoepitope“ identifizieren, die nach Behandlung auf der Oberfläche der Krebszellen präsentiert wurden. Vergleichbare Ergebnisse konnten die Forschenden mit einem großen Spektrum unterschiedlicher Krebszelllinien erzielen. Mit den therapieinduzierten Neoepitopen ließen sich zytotoxische T-Zellen in der Kulturschale aktivieren.

Decitabine wird unter anderem häufig zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) eingesetzt. Auch im Blut von AML-Patienten unter Decitabine-Therapie entdeckten die Forscher therapieinduzierte Neoepitope – ein wichtiger Hinweis darauf, dass dieses Phänomen kein Artefakt aus der Kulturschale ist.

„Die Induktion von Neoantigenen durch epigenetische Wirkstoffe könnte ein neuer Weg sein, um mit Medikamenten-Kombinationen die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien zu steigern. Mit weiteren Untersuchungen wollen wir herausfinden, ob es möglich ist zielgerichtete Immunotherapien gegen diese Neoantigene zu entwickeln“, sagt Studienleiter Christoph Plass.

Goyal A, Bauer J, Hey J et al.: DNMT and HDAC inhibition induces immunogenic neoantigens from human endogenous retroviral element-derived transcripts
Nature Commmunications 2023

* HDAC-inhibitoren = Histon-Deacetylase-Inhibitoren

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW