18.05.2020 10:00
Ketamin: Neue Erkenntnisse zur Wirkweise gewonnen
Der Wirkstoff Ketamin ist ein erprobtes Narkosemittel und kann auch bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Neurobiologie Magdeburg (LIN) zeigt, dass Ketamin zu einer stärkeren Aktivierung und Reiz-gekoppelten Reaktion im Gehirn führt. Mittels räumlich hoch aufgelöster Ableitungen von Nervensignalen aus der Hörrinde von Wüstenrennmäusen konnte das Magdeburger Forscherteam neue Wirkmechanismen identifizieren. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe des „Journal of Physiology“ erschienen.
„Ketamin gilt unter Experten als potenzieller Wirkstoff, um Depressionen zu behandeln“, sagt PD Dr. Max Happel, Arbeitsgruppenleiter und Leiter der Studie am Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN). „Bislang ist allerdings unklar, wie Umweltreize vom Gehirn und den neuronalen Netzwerken verarbeitet werden, wenn dem Patienten Ketamin verabreicht wird.“
Die Wissenschaftler vom LIN haben deshalb im Tiermodell untersucht, ob und wie sich die Verarbeitung von Tonsignalen in der Hörrinde verändert.
Die Experimente mit den Mongolischen Wüstenrennmäusen zeigen, dass sich gegenseitig erregende Nervenzellen deutlich aktiver sind, wenn die Tiere mit Ketamin narkotisiert sind und dann Tonreize aufnehmen. Zudem deutet die Analyse der zeitlichen Struktur der Nervensignale, sogenannte „wavelet analysis“, darauf hin, dass Ketamin die Aktivität der erregenden Nervenzellen synchronisiert. Inhibitorische Prozesse werden hingegen weniger gut kontrolliert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wirkmechanismus im Tiermodell
„Die Anatomie und Funktionsweise der Hörrinde ist bei Wüstenrennmäusen außerordentlich gut erforscht und die Tiere haben einen dem Menschen sehr ähnlichen Hörbereich“, erläutert Katrina Deane, Erstautorin der Studie. „So helfen die Erkenntnisse über die veränderten sensorischen Filtereigenschaften bei der Verarbeitung von Umweltreizen, ein besseres Verständnis von der pharmakologischen Wirkung des Ketamins zu entwickeln“. Dennoch bedarf es weiterer Forschung, etwa um die längerfristigen Effekte von Ketamin auf unser seelisches Wohlbefinden oder die Einflüsse auf die menschliche Wahrnehmung zu verstehen. So ist die längerfristige Anwendung des Wirkstoffs bei Depressionen derzeit nur unter strengen Bedingungen im Einzelfall möglich. Als Narkosemittel ist Ketamin hingegen schon länger zugelassen und wird bereits seit vielen Jahren auch in der neurowissenschaftlichen Forschung eingesetzt. Illegal wird Ketamin als Partydroge missbraucht, die unter Synonymen wie „Vitamin K“ auf dem Schwarzmarkt angeboten wird und eskapistische bis psychodelische Trips verheißt. Über Risiken, Neben- und Langzeitwirkungen ist derzeit jedoch wenig bekannt.
Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg
Das LIN ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das sich Lern- und Gedächtnisprozessen im Gehirn widmet. Das LIN wurde 1992 als Nachfolgeeinrichtung des Institutes für Neurobiologie und Hirnforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gegründet und ist seit 2011 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es bildet einen der Eckpfeiler des Neurowissenschaftsstandortes Magdeburg. Das LIN beherbergt moderne Labore für die neurowissenschaftliche Forschung – vom Hightech-Mikroskop bis zum Kernspintomographen.
Aktuell arbeiten rund 230 Personen am LIN, davon ungefähr 150 Wissenschaftler aus rund 28 Ländern. Sie erforschen kognitive Prozesse und deren krankhafte Störungen im Gehirn von Mensch und Tier.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Max Happel
Katrina Deane
Originalpublikation:
https://physoc.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1113/JP279705
Weitere Informationen:
https://physoc.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1113/JP279705
https://www.lin-magdeburg.de/forschung/forschungseinheiten/ag-cortxplorer
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch