Schlüssel-Initiative der WHO zeigt, dass eine Erhöhung der Alkoholsteuern jährlich 130 000 Menschenleben retten könnte



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28.02.2022 14:25

Schlüssel-Initiative der WHO zeigt, dass eine Erhöhung der Alkoholsteuern jährlich 130 000 Menschenleben retten könnte

Jedes Jahr könnten in der Europäischen Region der WHO durch eine Erhöhung der Alkoholsteuern in den Mitgliedsstaaten Tausende Menschenleben gerettet werden, das hat eine Studie unter Beteiligung der TU Dresden ergeben. In allen Teilen der Region wird Alkohol derzeit deutlich niedriger besteuert als Tabakprodukte. Um das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern zu erhöhen, hat der Fachliche Beirat des WHO-Regionaldirektors für Europa für Innovationen im Bereich der nichtübertragbaren Krankheiten, dem auch Prof. Jürgen Rehm von der TU Dresden angehört, eine neue Schlüssel-Initiative zum Thema Steuern vorgeschlagen, die in der Steuerpolitik der Länder Berücksichtigung finden könnte.

In der gesamten Europäischen Region führt Alkoholkonsum zu nahezu einer Million Todesfällen pro Jahr, bedingt durch vielfältige Ursachen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und andere nichtübertragbare Krankheiten, aber auch Infektionskrankheiten und Verletzungen. Jeden Tag sterben in der Region ungefähr 2500 Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum.

Jahrzehntelange Forschung und Erfahrungen aus Ländern auf der ganzen Welt haben gezeigt, dass die Erhöhung der Preise für alkoholische Getränke durch eine entsprechende Besteuerung eine der kostengünstigsten und effektivsten Maßnahmen ist, um den Alkoholkonsum und die dadurch verursachten Schäden in der Bevölkerung zu senken. Dies wurde auch von der WHO als eine der vielversprechendsten („best buy“) Interventionen anerkannt, die größere gesundheitliche Auswirkungen im Hinblick auf die Reduzierung von Krankheit, Behinderung und vorzeitigem Tod erzielt als andere Handlungsoptionen.

Dennoch ist die Besteuerung von Alkohol nach wie vor eine der am schwächsten umgesetzten Maßnahmen, in erster Linie aufgrund von Widerständen bei Wirtschaftsakteuren und der Tatsache, dass Preiserhöhungen generell in der Bevölkerung als unbeliebt gelten.

Aus diesem Grund hat der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten diese Schlüssel-Initiative ins Leben gerufen, bei der fünf zentrale Bereiche in den Mittelpunkt gerückt werden, die das unausgeschöpfte Potenzial von Gesundheitssteuern auf Alkohol in der Europäischen Region auf beispiellose Weise steigern sollen.

„Wir haben errechnet, inwiefern sich eine Erhöhung der Alkoholsteuern auf die Sterblichkeit in der Europäischen Region der WHO auswirken würde. Und die Daten zeigen deutlich, wie vorteilhaft diese Maßnahme für die Gesundheit der Menschen wäre“, erläutert Prof. Dr. Jürgen Rehm, Mitglied des Fachlichen Beirats für nichtübertragbare Krankheiten und Professor am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden. „Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass höhere Steuern auch von der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn klar wird, dass sie wirklich in Gesundheit investiert werden.”

Wie die aktuelle Studie zeigt, könnten durch die Einführung einer Mindeststeuer von 15% auf den Einzelhandelspreis pro Einheit Alkohol, das heißt unabhängig von der Art des Getränks, in der Europäischen Region der WHO jährlich 133 000 Menschenleben gerettet werden.

„Die Umsetzung der WHO Schlüssel-Initiative würde die durch Alkoholkonsum allein verursachten Todesfälle wie Alkoholvergiftungen, alkoholische Leberzirrhosen, etc. um fast 25% in der Gesamtregion senken. In Deutschland wären das knapp 20% – und das pro Jahr“, erklärt Dr. Carolin Kilian, Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie.
Diese Zahl könnte mit Einführung eines höheren Steuersatzes erheblich ansteigen.

Das bedeutet, dass die Erhöhung der Verbrauchssteuern auf Alkoholprodukte als vorrangige Maßnahme für die öffentliche Gesundheit angesehen werden sollte. „Alkohol ist in der Europäischen Region der WHO sehr erschwinglich. Es besteht ein erheblicher Spielraum für Alkoholsteuern, um die Preise für alkoholische Getränke zu erhöhen und dadurch das Trinkverhalten zu mäßigen und den alkoholbedingten Schaden zu verringern. Alkohol ist wie Tabak keine gewöhnliche Ware und sollte auch anders behandelt werden. Dazu gehört eine Besteuerung, die sich an den Zielen der öffentlichen Gesundheit orientiert“, kommentiert Maria Neufeld, Doktorandin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Mitarbeiterin im WHO-Regionalbüro für Europa.

Was zählt, ist der Endpreis für Alkohol

Die Kosten pro Mengeneinheit reinen Alkohols sollten unabhängig von der Art des Getränks gleich hoch sein – so das Fazit der Arbeitsgruppe zur Schlüssel-Initiative. „Wir müssen bedenken, dass es auf den vom Verbraucher zu zahlendem Endpreis pro Flasche ankommt. Verbraucher kaufen nicht etwa 10 Gramm reinen Alkohol. Sie kaufen eine Flasche Bier oder Wein oder Spirituosen – der Preis für jedes Getränk sollte sich also nach der Alkoholmenge richten“, erläutert Dr. Jürgen Rehm.

Der Fachliche Beirat für nichtübertragbare Krankheiten trägt das beste Fachwissen zum Thema Prävention nichtübertragbarer Krankheiten zusammen und will die Mitgliedstaaten dazu inspirieren, die Ziele für nachhaltige Entwicklung mit Bezug zu nichtübertragbaren Krankheiten zu verwirklichen. Mit der Förderung der weiteren Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums stehen die Aktivitäten des Beirats im Einklang mit dem Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 der WHO – „Gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa“.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Carolin Kilian
Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie (IKPP)
TU Dresden
Email: carolin.kilian@tu-dresden.de

Maria Neufeld
Doktorandin am IKPP
TU Dresden und WHO
Email: neufeldm@who.int


Originalpublikation:

Maria Neufeld, Pol Rovira, Carina Ferreira-Borges, Carolin Kilian, Franco Sassi, Aurelijus Veryga, Jürgen Rehm. Impact of introducing a minimum alcohol tax share in retail prices on alcohol-attributable mortality in the WHO European Region: A modelling study. The Lancet , Open Access Published: February 23, 2022. DOI:https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2022.100325


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW