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21.08.2023 11:11
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Studie belegt Qualität von Krebsbehandlung an zertifizierten Zentren
– Gemeinsame Pressemitteilung vom Zentrum für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung an der Universität Regensburg, dem Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren
– Versorgungsforscher aus Dresden und Regensburg werten deutschlandweite Daten von Betroffenen aus.
– Vergleich des Gesamtüberlebens bei Therapie an zertifizierten und nicht-zertifizierten Zentren.
– Ergebnisse sind Beweis für großes Potenzial von Zertifizierungsprozessen auf Versorgungsqualität
Krebspatientinnen und -patienten, die sich in zertifizierten Krebszentren erst-behandeln lassen, haben Vorteile beim Gesamtüberleben. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen), deren Ergebnisse jetzt im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurden. Versorgungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus dem Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) und dem Zentrum für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung an der Universität Regensburg haben dafür in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) die Daten von Betroffenen aus ganz Deutschland ausgewertet. Auf Basis kontrollierter Kohortenstudien wurde ermittelt, ob die Erstbehandlung in Krankenhäusern mit und ohne Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) ein unterschiedliches Gesamtüberleben zur Folge hat. Die Grundlage bildeten Daten von rund 22 Millionen volljähriger AOK-Versicherter, sowie von vier großen klinischen Krebsregistern aus Bayern, Berlin, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Für alle 11 untersuchten Krebsarten zeigen sich demnach Vorteile im Gesamtüberleben bei der Erstbehandlung in einer zertifizierten Klinik. Jedoch wurden außer beim Brustkrebs (Mammakarzinom) die meisten Patientinnen und Patienten in nicht DKG-zertifizierten Krankenhäusern erst-behandelt.
Jährlich erkrankten bundesweit rund 500.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Mehr als 200.000 Männer und Frauen versterben jährlich an Krebs. Damit ist Krebs in Deutschland die zweithäufigste Todesursache und eine der häufigsten chronischen Erkrankungen, die zu enormen Belastungen der Betroffenen sowie der Angehörigen aber auch des Gesundheitssystems führt. Der Nationale Krebsplan des Bundesministeriums für Gesundheit, sowie der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren als Mitinitiatoren, sieht bereits seit vielen Jahren vor, dass alle in Deutschland an Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten eine qualitativ hochwertige Versorgung entsprechend evidenzbasierter Behandlungsleitlinien erhalten. Dafür sind Zertifizierungsprogramme etabliert, aber bislang noch nicht übergreifend evaluiert worden.
Die Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) hat sich diesem Defizit angenommen. Betrachtet wurden die elf Krebsdiagnosen: Kolonkarzinom (Dickdarm), Rektumkarzinom (Enddarm), Lungenkarzinom, Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüse, Mammakarzinom (Brust), Zervixkarzinom (Gebärmutterhals), Prostatakarzinom, Endometriumkarzinom (Gebärmutter), Ovarialkarzinom (Eierstock), Kopf-Hals-Malignome und neuroonkologische Tumore (Hirn). Das Projekt wurde gefördert durch den Innovationsfonds am G-BA.
„Die WiZen-Studie zeigt für die untersuchten Entitäten, dass eine Behandlung in einem zertifizierten Zentrum mit einer niedrigeren Mortalität assoziiert ist“, sagt Prof. Dr. Jochen Schmitt, Leiter des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) an der Technischen Universität Dresden. „Das ist umso bemerkenswerter, da trotz der Empfehlungen des Nationalen Krebsplans noch immer rund 40 Prozent aller an Krebs-Erkrankten in nichtzertifizierten Krankenhäusern erstbehandelt werden.“ „Eine vorrangige Versorgung von Krebsbetroffenen in zertifizierten Krankenhäusern hätte damit ein hohes Potenzial, sehr viele Menschen mit Krebs in Deutschland besser zu behandeln, das Überleben zu verbessern und das Leid für betroffene Patientinnen und Patienten und deren Angehörige zu verringern“, sagt Prof.in Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Direktorin des Instituts für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren.
„Zuallererst freut es mich, dass die vor beinahe zwei Jahrzehnten von der Deutschen Krebsgesellschaft entwickelte Vision heute Realität geworden ist, dass nämlich – wie die Ergebnisse der WiZen Studie es zeigen – durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in Tumorboards, durch leitliniengerechte Therapien und durch Erfüllen von Qualitätsindikatoren die Heilungschancen von Patientinnen und Patienten mit Krebs signifikant verbessert werden. Und es freut mich auch, dass wir am Universitätsklinikum und am Klinikum St. Josef diese Vision frühzeitig aufgegriffen haben und mit unseren Partnern in Ostbayern den Patientinnen und Patienten seit ebenfalls beinahe 20 Jahren eine Therapie in zertifizierten Zentren anbieten können“, erklärt Prof. Dr. Oliver Kölbl, ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Regensburg.
„Der Hochschulmedizin Dresden ist es seit langem ein Anliegen, den Patientinnen und Patienten eine zertifizierte Krankenversorgung zu bieten – nicht nur in der Krebsmedizin. Die Ergebnisse der Studie WiZen bekräftigen uns auf diesem Weg und motivieren uns, die Standards in Diagnostik, Therapie und auch Prävention weiter auszubauen und zu verbessern. Die Studie bekräftigt uns aber auch in unserem Engagement bei der Kooperation und dem Austausch mit Kliniken in der Region – zum Wohle der Patientinnen und Patienten“, sagt Prof. Dr. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Universitätsklinikum Dresden.
Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren (WiZen)“
Die ADT als Netzwerk für Versorgung, Qualität und Forschung zeigt seit mehr als 20 Jahren die Bedeutung der Krebsregistrierung für die onkologische Versorgung in Deutschland durch die Nutzung von versorgungsnahen Daten aus allen Sektoren auf. Die WiZen Studie ist ein wichtiger Schritt zur konkreten Verbesserungsmöglichkeit für die Behandlung krebskranker Menschen. Der 2008 durch das Bundesgesundheitsministerium etablierte Nationale Krebsplan hat die Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und Orientierung der Patientinnen und Patienten insbesondere auf die Optimierung der Versorgung im Fokus. Bestandteil ist die Zertifizierung etablierter Zentren. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Zertifizierung im Nationalen Krebsplan und des hohen Aufwands der Zertifizierung für die Kliniken ist eine umfassende, kontrollierte Untersuchung der Effekte der Krebsbehandlung in zertifizierten Zentren geboten. Dies wurde jetzt erstmals im Rahmen der Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren (WiZen)“ evaluiert. Die Studie hat für elf Krebsentitäten anhand kontrollierter Kohortenstudien den Effekt der Erstbehandlung in Krankenhäusern mit und ohne Zertifikat der DKG auf das Gesamtüberleben untersucht. Die Wahl der Krebsentitäten richtete sich nach dem Vorhandensein eines implementierten Zertifizierungsprogramms der DKG zum Zeitpunkt der Studienkonzeption und der Abbildbarkeit der adressierten Entitäten in Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie in Klinischen Krebsregistern (KKR). Die Basis bildeten bundesweite, pseudonymisierte GKV-Daten aller AOK-Versicherten für den Zeitraum 2009 bis 2017 die vom wissenschaftlichen Institut der AOK als Projektpartner der Studie zur Verfügung gestellt wurden. Daten zur DKG-Zertifizierung von Krankenhäusern zu Beginn, Ende und Aussetzung der Zertifikatsgültigkeit stellte die DKG zur Verfügung. Es war das erste Mal, dass Krebsregisterdaten mit Routinedaten der Krankenkassen in diesem Umfang verbunden werden konnten. Die ADT war dabei als Vertrauensstelle für das Datenlinkage zuständig und konnte erfolgreich ein Vorgehen für eine zuverlässige Verknüpfung zwischen beiden Datenquellen entwickeln.
Die Datenanalyse erfolgte am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) der TU Dresden. Eingeschlossen wurden Patientinnen und Patienten mit Diagnosealter von mindestens 18 Jahren und Erstdiagnose der betrachteten Krebsentität.
Daten von 22 Millionen Versicherten sind Basis für Studie
Ausgehend von einer Gesamtpopulation von rund 22 Millionen volljährigen AOK-Versicherten im Jahr 2017 konnten nach Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien Kohorten mit Patientinnen und Patienten mit inzidenter Krebserkrankung für die untersuchten Entitäten in die Untersuchung eingeschlossen werden. Die Kohorten sind in einer Größe zwischen 10.596 Betroffenen (Zervixkarzinom) und 172.901 Patientinnen und Patienten (Lungenkarzinom). Entitätsübergreifend bestand hinsichtlich der Merkmale der Erkrankten kein deutlicher Unterschied zwischen zertifizierten und nichtzertifizierten Krankenhäusern, jedoch waren größere Krankenhäuser häufiger und kleinere Krankenhäuser seltener DKG-zertifiziert. Trotz eines meist im Zeitverlauf moderaten Anstiegs des Anteils, der in DKG-zertifizierten Kliniken Behandelten, wurde mit Ausnahme des Mammakarzinoms bei allen Tumorentitäten die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten im Untersuchungszeitraum in nicht-DKG-zertifizierten Krankenhäusern behandelt. Für alle Entitäten zeigte sich konsistent ein längeres Gesamtüberleben bei Erkrankten mit Erstbehandlung in einem zertifizierten Krankenhaus. Das längere Gesamtüberleben von Patientinnen und Patienten in DKG-zertifizierten Krankenhäusern betrug in den vollständig adjustierten Regressionsanalysen zwischen drei Prozent (Lungenkarzinom) und 23 Prozent (Mammakarzinom), beziehungsweise zwischen 0,62 Monaten (Lungenkarzinom) und 4,61 Monaten (Zervixkarzinom). Überlebensvorteile waren auch zu konkreten Nachbeobachtungszeitpunkten (30 Tage, 1,5 Jahre) konsistent für alle Tumorentitäten nachweisbar.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Zentrum für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung Universität Regensburg
Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Direktorin
Tel.: +49 (0)941 943-1803
E-Mail: monika.klinkhammer-schalke@ur.de
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung
Prof. Dr. Jochen Schmitt, Direktor
Tel.: + 49 (0)351 458-6495
E-Mail: Jochen.Schmitt@uniklinikum-dresden.de
Originalpublikation:
Schmitt J, Klinkhammer-Schalke M, Bierbaum V, Gerken M, Bobeth C, Rössler M, Dröge P, Ruhnke T, Günster C, Kleihues-van Tol K, Schoffer O, on behalf of the WiZen Study Group: „Initial cancer treatment in certified versus non-certified hospitals: results of the WiZen comparative cohort study.” Dtsch Arztebl Int 2023; 120.
DOI:10.3238/arztebl.m2023.0169
https://www.aerzteblatt.de/archiv/inhalt?heftid=7291
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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