Syphilis-ähnliche Erkrankungen haben sich bereits vor Kolumbus in Amerika ausgebreitet



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24.01.2024 17:00

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Syphilis-ähnliche Erkrankungen haben sich bereits vor Kolumbus in Amerika ausgebreitet

Forschende der Universitäten Basel und Zürich haben das Erbgut des Erregers Treponema pallidum in Knochen von Menschen entdeckt, die vor 2000 Jahren in Brasilien gestorben sind. Dieser bisher älteste gesicherte Fund des Erregers beweist, dass Menschen bereits lange vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus an Syphilis-ähnlichen Erkrankungen – sogenannten Treponematosen – gestorben sind. Die neuen Erkenntnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature, stellen bisherige Theorien zur Verbreitung von Syphilis durch die spanischen Eroberer in Frage.

Die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung von Infektionskrankheiten ist nicht erst seit der Covid-19 Pandemie von grosser Bedeutung für die globale Gesundheit. Mit modernen Labormethoden können Forschende heute kleinste DNA-Spuren von Krankheitserregern in prähistorischen Funden bestimmen. Damit zeichnen sie die historische Ausbreitung und die evolutionäre Entwicklung von Erregern nach.

Eine internationale Forschungsgruppe um Prof. Dr. Verena Schünemann von der Universität Basel, früher Universität Zürich, in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und den Universitäten Wien und Sao Paulo, hat prähistorische Knochen von vier Menschen untersucht, die vor 2000 Jahren in der Küstenregion Santa Catarina in Brasilien verstorbenen sind. Die sichtbaren pathologischen Veränderungen an den prähistorischen Knochen deuten auf eine Syphilis-ähnliche Erkrankung der Verstorbenen hin, die wahrscheinlich zum Tod geführt hat.

Prähistorische DNA aus über 2000 Jahre alten Knochen

Mit feinen Bohrwerkzeugen aus der Zahnmedizin entnahmen die Forscherinnen unter sterilen Bedingungen kleinste Knochenproben und isolierten daraus prähistorisches Erbgut der Syphilis-Erreger, so genannte Ancient DNA. Ihre im renommierten Fachmagazin Nature publizierte Studie zeigt, dass alle untersuchten Bakteriengenome dem Stamm der Treponema pallidum endemicum zuzuordnen sind, also den Erregern der endemischen Syphilis (englisch Bejel).

Treponematosen sind eine Gruppe von Infektionskrankheiten, zu denen auch die sexuell übertragene Syphilis gehört. Während Syphilis als Geschlechtskrankheit ein weltweites Gesundheitsrisiko darstellt, kommt die über Hautkontakt übertragene endemische Syphilis/Bejel nur noch in sehr trockenen Gebieten Afrikas und Asiens vor.

«Wir können mit unserer Untersuchung nachweisen, dass die endemische Syphilis bereits vor etwa 2000 Jahren in feuchten Zonen Brasiliens vorhanden war», sagt Verena Schünemann. Menschen haben sich also bereits mehr als 1000 Jahre vor der Ankunft von Kolumbus in der Neuen Welt mit der endemischen Syphilis angesteckt, wahrscheinlich über Hautkontakt.

Syphilis-ähnliche Erkrankungen sind präkolumbianischen Ursprungs

Bis heute wird in der Fachwelt und unter Medizinhistorikern intensiv darüber debattiert, ob Matrosen und Söldner des Christoph Kolumbus bei ihrer Rückkehr 1492 die sexuell übertragbare Syphilis aus der Neuen in die Alte Welt eingeschleppt haben. Ab Ende des 15. Jahrhunderts breitete sich die Krankheit insbesondere in Hafenstädten Europas rasant aus.

«Dass wir in den brasilianischen Knochen nur den Erreger der endemischen Syphilis gefunden haben und nicht den Erreger der sexuell übertragbaren Syphilis, lässt die Frage nach dem Ursprung derzeit zwar noch offen», sagt Kerttu Majander, Postdoktorandin an der Universität Basel und eine der Erstautorinnen der Studie. Für die Autoren der Studie spricht aber Vieles dafür, dass Treponematosen bereits vor der Rückkehr von Kolumbus in Europa verbreitet waren.

«Da wir in Südamerika keine sexuell übertragene Syphilis gefunden haben, erscheint die Theorie, dass Kolumbus Syphilis nach Europa gebracht hat, immer unwahrscheinlicher», sagt auch Verena Schünemann. Vielmehr deuten frühere Funde ihrer Gruppe zum Beispiel in Finnland und Polen darauf hin, dass es auch in Europa bereits Formen von Treponematosen gab.

Rekombination könnte die Entwicklung Syphilis-ähnlicher Erkrankungen angetrieben haben

Viele Bakterienarten tauschen evolutionär nützliche Eigenschaften über den so genannten horizontalen Gentransfer oder Rekombination aus. Der Vergleich der prähistorischen DNA in den Knochen aus Brasilien mit heutigen Krankheitserregern zeigt, dass solche Rekombinationsereignisse stattgefunden haben. «Wir können zwar nicht genau sagen, wann dieser Austausch stattgefunden hat, aber er ist wahrscheinlich der treibende Mechanismus für die Entstehung der heutigen Unterarten der Erregerfamilie», sagt Marta Pla-Díaz von der Universität Basel, die andere Erstautorin der Studie.

Der DNA-Vergleich erlaubt es auch, den Zeitpunkt der Entstehung der Treponema pallidum-Familie zu datieren. Die Untersuchungen zeigen, dass diese Erreger im Zeitraum zwischen 12’000 und 550 v.Chr. entstanden sein müssen. Die Entstehungsgeschichte dieser Erreger reicht damit sehr viel weiter zurück als bisher angenommen.

«Auch wenn der Ursprung der Syphilis noch Raum für Spekulationen lässt, wissen wir jetzt zumindest zweifelsfrei, dass Treponematosen den amerikanischen Ureinwohnern schon Jahrhunderte vor dem Kontakt mit den Europäern nicht unbekannt waren», sagt Verena Schünemann abschliessend. Sie und ihr Team sind zuversichtlich, dass dank den Fortschritten in der Bestimmung von prähistorischer DNA auch der Ursprung der Geschlechtskrankheit Syphilis geklärt werden kann.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dr. Verena Schünemann, Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften, Tel. +41 61 207 42 11 E-Mail: verena.schuenemann@unibas.ch


Originalpublikation:

Kerttu Majander, Marta Pla-Díaz et al.
Redefining the treponemal history through pre-Columbian genomes from Brazil
Nature (2024), doi: 10.1038/s41586-023-06965-x
https://doi.org/10.1038/s41586-023-06965-x


Bilder

Skelett auf der Fundstelle in Jubuicabeira II, Brasilien.

Skelett auf der Fundstelle in Jubuicabeira II, Brasilien.
Foto: Dr. Jose Filippini


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW