11.05.2020 17:00
Wie Pflanzen vergessen
Wie vergessen Pflanzen? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrzehnten. Nun hat ein internationales Team um Michael Borg aus dem Labor von Frederic Berger am Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das Rätsel gelöst. Das Forschungsergebnis wurde im renommierten Fachmagazin Nature Cell Biology publiziert.
Obwohl es anders als beim Menschen funktioniert haben auch Pflanzen ein Gedächtnis. So können beispielsweise viele Pflanzen verlängerte Kälteperioden im Winter fühlen und sich daran erinnern. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Pflanze rechtzeitig im Frühling blüht. Dieses sogenannte epigenetische Gedächtnis funktioniert, indem spezialisierte Proteine, die Histone, modifiziert werden. Histone sind für die Verpackung und Indexierung der DNA in der Zelle wichtig. Eine dieser Histon-Modifikationen, H3K27me3, markiert Gene, die abgeschaltet sind. In der Blütephase bringen kalte Umweltbedingungen H3K27me3 dazu, sich an den Genen anzusammeln, die die Blüte kontrollieren. Frühere Arbeiten aus dem Labor von Berger haben gezeigt, wie H3K27me3 von Zelle zu Zelle übertragen wird. Im Frühling kann sich die Pflanze dadurch erinnern, dass es kalt war und der Winter vorüber ist. Die Pflanze kann so zum richtigen Zeitpunkt blühen. Wenn die Pflanze dann erblüht ist und Samen produziert hat ist es aber genauso wichtig, dass die Samen die Erinnerung an die Kälte vergessen. Dadurch wird eine zu frühe Blüte bei einem erneuten Wintereinbruch verhindert. Da H3K27me3 zuverlässig von Zelle zu Zelle kopiert wird stellt sich die Frage, wie Pflanzen diese Erinnerung in den Samen vergessen.
Um diese Frage zu beantworten hat das internationale Team um Postdoc Michael Borg begonnen Histone in Pollen zu analysieren. Die Hypothese war, dass der Prozess des Vergessens wahrscheinlich in der eingebetteten Keimzelle passiert. Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher fest, dass das H3K27me3 komplett aus der Keimzelle verschwunden war. Sie fanden heraus, dass die Keimzelle ein spezielles Histon ansammelt, dass kein H3K27me3 transportieren kann. Dadurch wird sichergestellt, dass die Modifikation von hunderten Genen gelöscht wird – nicht nur von denjenigen, die das Blühen verhindern, sondern auch von denjenigen, die ein breites Feld an wichtigen Aufgaben im Samen kontrollieren, der erzeugt wird wenn die Keimzelle des Pollen transportiert wird um mit der Eizelle der Mutter-Pflanze zu verschmelzen. Dieses Phänomen wird epigenetisches Resetting genannt und ist vergleichbar mit der Neuformatierung einer Computer-Festplatte.
„Von einer ökologischen Warte aus betrachtet ist das sehr sinnvoll“, sagt Borg: „Pollen kann über weite Strecken durch Wind oder Bienen übertragen werden. Ein großer Teil dieses Gedächtnisses, das von H3K27me3 transportiert wird, hängt mit der Anpassung an die Umwelt zusammen. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Samen die Umwelt ihres Vaters vergessen und sich stattdessen an die Umwelt ihrer Mutter erinnern, da sie sich wahrscheinlich in der Nähe der Mutter verbreiten und wachsen.“
Frederic Berger: „Wie Pflanzen löschen auch Tiere dieses epigenetische Gedächtnis im Sperma, allerdings ersetzen sie Histone durch ein komplett unterschiedliches Protein. Dies ist eines der ersten Beispiele wie eine spezialisierte Histonvariante eine einzige epigenetische Markierung neu programmieren und zurücksetzen kann, während andere davon unberührt bleiben. Es gibt sehr viel mehr noch nicht untersuchte Histonvarianten in Pflanzen und Tieren. Wir erwarten uns daher, dass manche Aspekte dieses von uns entdeckten Resetting-Mechanismus’ auch in anderen Organismen und Entwicklungskontexten zu finden sind.“
Die Mitglieder des internationalen Team stammen vom österreichischen Gregor Mendel Institut, vom Cold Spring Harbor Laboratory, der Yale University, der University of Kentucky, der Purdue University (USA), der Nagoya University in Japan, der University of Edinburg (Großbritannien) und dem Instituto Gulbenkian Ciência in Portugal. Die Arbeit wurde unterstützt durch den FWF – Der Wissenschaftsfonds, ERA-CAPS, das Howard Hughes Medical Institute, NIH, die Japan Society for the Promotion of Science, den Wellcome Trust und den Europäischen Forschungsrat.
Borg M, Jacob Y, Susaki D, et al. (2020) Targeted reprogramming of H3K27me3 resets epigenetic memory in plant paternal chromatin. Nature Cell Biology.
https://www.nature.com/articles/s41556-020-0515-y
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Über das GMI
Das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Jahr 2000 gegründet, um Spitzenforschung in der molekularen Pflanzenbiologie zu fördern. Das GMI gehört zu den weltweit wichtigsten Pflanzenforschungseinrichtungen. Mit mehr als 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 35 Ländern erforschen die neun Forschungsgruppen des GMI Grundlagen der Pflanzenbiologie, vor allem molekulargenetische Aspekte wie epigenetische Mechanismen, Populationsgenetik, Zellbiologie, Stressresistenz und Entwicklungsbiologie. Das GMI befindet sich am Vienna BioCenter, einem der führenden Life-Science-Standorte Europas.
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Thomas Kvicala
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41556-020-0515-y
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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