Das verborgene Talent der Pilze



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04.10.2021 10:13

Das verborgene Talent der Pilze

An der TU Wien wurde eine Methode entwickelt, um die Genome von Pilzen zu interpretieren. Das Ziel: Vorhersagen, welche Gene für die Herstellung wertvoller Substanzen wichtig sind und bei welchen es sich um Lückengene handelt.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Neben uns Menschen existieren mehrere Millionen Pilze-Stämme auf der Erde, wobei die meisten von ihnen in der Lage sind, sogenannte Sekundärmetaboliten herzustellen. Sekundärmetaboliten sind Stoffe, die für das Überleben nicht primär notwendig sind, aber zum Beispiel der chemischen Verteidigung dienen. Manche Sekundärmetaboliten, wie etwa Penicillin, sind auch für den Menschen von großem Nutzen, weshalb Forschende gezielt nach solchen Substanzen suchen. Ein vielversprechender Ansatz dazu ist, innerhalb der Genome von Pilzen nach zuständigen Genen zu suchen und diese zu aktivieren.

Ein Team unter der Leitung von Christian Derntl, TU Wien, entwickelte daher eine bioinformatische Methode, um die dafür notwendigen Gene und sogenannte Gap Genes (dt. Lückengene) auseinanderzuhalten. Dazu werden die genomischen Daten von Pilzen auf einen ähnlichen evolutionären Hintergrund hin untersucht. Die Methode mit dem Namen „FunOrder“ publizierte das Forschungsteam in der Fachzeitschrift PLOS Computational Biology.

Heilmittel durch Stress

Im Labor produzieren Pilze von Natur aus eher selten Sekundärmetaboliten – unter anderem, da sie nicht für lebensnotwendige Prozesse wie Zellwachstum benötigt werden. In ihrem natürlichen Lebensraum dagegen produzieren Pilze Stoffe wie Antibiotika, wenn sie in Stress geraten und sich gegenüber konkurrierenden Organismen verteidigen müssen. Aufgrund der optimalen Wachstumsbedingungen im Labor ist es daher notwendig, die entsprechenden Gene gezielt einzuschalten und den Organismus so zur Synthese des gewünschten Sekundärmetabolits zu bewegen. Das wiederum setzt das Wissen über die dafür kodierenden Gene voraus. „Vor allem bei Pilzen ist das Potenzial groß, neue Sekundärmetaboliten zu finden. Dass diese nicht ohne Weiteres unter Laborbedingungen produziert werden, erschwert jedoch die Suche danach“, schildert Christian Derntl den Weg zu neuen Heilmitteln.

Gezielte Gen-Aktivierung

Gene, die für Sekundärmetaboliten zuständig sind, clustern oft zusammen. Das heißt, sie befinden sich in unmittelbarer Nähe auf der DNA. So gibt es ein Hauptgen, das die chemische Grundstruktur des Sekundärmetaboliten vorgibt und sich aufgrund seiner Größe gut erkennen lässt. Enzyme modifizieren dann dieses chemische Grundgerüst, um so den fertigen Sekundärmetabolit zu erhalten. In den Clustern befinden sich aber auch oft Gap Genes, die nur zufällig in den Gen-Clustern liegen, für die Synthese der Sekundärmetaboliten jedoch nicht notwendig sind. Um nun neue Sekundärmetaboliten zu finden, verfolgt das Team um Christian Derntl einen Bottom-up-Ansatz. „Dazu versuchen wir die Cluster einzuschalten und so neue Substanzen zu finden,“ erklärt Derntl. Logischerweise sollen dafür nur die essentiellen Gene, nicht jedoch die Gap Genes aktiviert werden. Ganz genau dafür wurde die Methode FunOrder entwickelt. „Wir wollen vorhersagen, welche Gene wir im Labor berücksichtigen müssen und welche nicht“ fasst der Erst-Autor der Studie, Gabriel Vignolle, zusammen. Denn bestehende Methoden ermöglichen es zwar, die Cluster zu identifizieren, können aber nicht vorhersagen, welche Gene notwendig sind und welche nicht.

FunOrder bringt mehr als Spaß

Eine zentrale Frage, die sich die Wissenschaftler_innen um Christian Derntl stellten, war, wie sich genetische Daten sinnvoll interpretieren lassen. „Wir leben in einem Zeitalter, in dem sich Genome ganz einfach und kostengünstig sequenzieren lassen“, erklärt Derntl. „Auch im Internet sind unzählige Datensätze vorhanden. Da stehen wir eher vor der Herausforderung, die Daten sinnvoll auszuwerten und zu strukturieren. Die Bioinformatik kann uns dabei helfen.“ So entwickelte das Team das Computerprogramm FunOrder, das als Input verschiedene Gene erhält. Mit Hilfe einer speziell dafür entwickelten Datenbank kann FunOrder Gene mit ähnlichem evolutionären Hintergrund identifizieren. “Wir konnten in Folge zeigen, dass genau diese ko-evoluierten Gene funktionell notwendig sind und sich so von den Gap Genes unterscheiden lassen“, erklärt Gabriel Vignolle.

Dabei eignet sich die Methode nicht nur zur Analyse und Strukturierung vorhandener Daten, auch die Genome neu entdeckter Pilze können so untersucht werden. Der Quellcode für das Programm ist öffentlich zugänglich, die Analysen können also von Wissenschaftler_innen weltweit durchgeführt werden.

Das Projekt ist aus dem Doktoratskolleg „Bioactive – Technologies for Drug Discovery and Production“ heraus entstanden, in dem Vignolle aktiv ist.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Christian Derntl
Forschungsgruppe Synthetische Biologie und Molekulare Biotechnologie
Technische Universität Wien
+43 1 58801 166565
christian.derntl@tuwien.ac.at


Originalpublikation:

Gabriel A. Vignolle, Denise Schaffer, Leopold Zehetner, Robert L. Mach, Astrid R. Mach-Aigner, Christian Derntl: FunOrder: A robust and semi-automated method for the identification of essential biosynthetic genes through computational molecular co-evolution, PLOS Computational Biology, 2021, https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1009372


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW