13.08.2020 09:40
Durchbruch in Leukämiebehandlung älterer Patienten | Klinische Studie mit Beteiligung des UKU zeigt große Erfolge
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist die häufigste akut verlaufende Leukämieform in Deutschland und tritt meist bei älteren Patient*innen auf. Betroffene sprechen oft nur begrenzt auf die bisherigen Standardtherapien an. Die internationale Studie „VIALE-A“ mit Beteiligung der Ulmer Universitätsmedizin zeigt nun, dass eine Behandlung mit dem neuen Medikament Venetoclax zu einem signifikant verbesserten Therapieansprechen und einer Verlängerung des Überlebens von älteren Patient*innen führt. Co-Autor der Studie, die im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, ist Professor Dr. Hartmut Döhner vom Universitätsklinikum Ulm.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
An der VIALE-A Studie nahmen zwischen 2017 und 2019 431 international rekrutierte Patient*innen teil, die an einer AML erkrankt waren und die aufgrund ihres hohen Alters oder bestimmter Vorerkrankungen für eine intensive Chemotherapie nicht in Frage kamen. Die Studienteilnehmer*innen erhielten entweder die derzeitige Standardbehandlung mit dem Medikament Azacitidin oder die Kombination aus Azacitidin plus Venetoclax. Bei Venetoclax handelt es sich um einen selektiven Hemmstoff des BCL-2 Proteins, welches im programmierten Zelltod, der sogenannten Apoptose, eine wichtige Rolle spielt. Zellen vieler Krebsarten, so auch der AML, zeigen eine verstärkte Expression des Proteins, was zum Überleben der entarteten Zellen beiträgt. Venetoclax hemmt BCL-2 und begünstigt so das Absterben der Krebszellen. Bei Patient*innen, die sowohl Azacitidin als auch Venetoclax erhielten, konnte nun eine deutlich verbesserte Gesamtüberlebenszeit sowie ein signifikant verbessertes Therapieansprechen festgestellt werden. So betrug die mediane Lebenserwartung 14,7 Monate gegenüber der Kontrollgruppe mit 9,7 Monaten. Das heißt, die Hälfte der Venetoclax-Patient*innen überlebte länger als 14,7 Monate. Zusätzlich stieg die Häufigkeit des Therapieansprechens von 28 auf 66 Prozent durch die zusätzliche Gabe von Venetoclax, das heißt die Rate an Remissionen der Erkrankung erhöhte sich um mehr als das Doppelte. Die Kombination der beiden Medikamente stellt so einen neuen Behandlungsstandard für ältere Patient*innen mit AML dar. Die Zulassung dieser neuen Kombinationsbehandlung durch die Europäische Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) wird für nächstes Jahr erwartet.
„Seit vielen Jahren gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten für die Behandlung von älteren Patienten mit akuter Leukämie. Die Ergebnisse mit dem BCL-2 Inhibitor Venetoclax aus der internationalen VIALE-A Studie stellen einen Meilenstein in der Leukämiebehandlung dar und werden den Therapiestandard für ältere Patienten neu definieren,“ erläutert Professor Hartmut Döhner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Ulm und Co-Autor der Studie. „Die Ergebnisse sind so eindrucksvoll, dass wir mit unserer Studiengruppe jetzt auch eine Studie mit Venetoclax bei jüngeren Patienten mit AML in Planung haben“, ergänzt Professor Döhner.
Die Erforschung der zellulären und molekularen Grundlagen der Leukämieentstehung sowie die Entwicklung neuer Medikamente für eine personalisierte Behandlung von Leukämien-Patient*innen ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Ulmer Universitätsmedizin. „Erst kürzlich wurde die Förderung des Sonderforschungsbereiches 1074 über Leukämien von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wieder für vier weitere Jahre verlängert, was die enorme Bedeutung dieses Forschungsschwerpunkts für unseren Standort erneut aufzeigt“, sagt Professor Thomas Wirth, Dekan der Medizinischen Fakultät.
Erst vor etwa zwei Jahren waren es Wissenschaftler*innen der Klinik für Innere Medizin III, die maßgeblich zur erfolgreichen Entwicklung von Venetoclax bei einer anderen Form der Leukämie, der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL), beigetragen haben. „Die klinische Forschung ist integraler Bestandteil der universitären Krankenversorgung. Nur mit Durchführung von kontrollierten klinischen Studien ist Fortschritt in der Krebsmedizin möglich. Wieder einmal haben wir gezeigt, dass wir an dieser Entwicklung eng beteiligt sind und unseren Patientinnen und Patienten derartige innovative Medikamente auch sehr früh anbieten können“, ergänzt Professor Udo X. Kaisers, Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Ulm.
Die Ergebnisse der Studie, an der Institutionen aus 27 Ländern beteiligt waren wurden in der aktuellen Ausgabe der renommierten Zeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Originalpublikation:
C.D. DiNardo, B.A. Jonas, V. Pullarkat, M.J. Thirman, J.S. Garcia, A.H. Wei, M. Konopleva, H. Döhner, A. Letai, P. Fenaux, E. Koller, V. Havelange, B. Leber, J. Esteve, J. Wang, V. Pejsa, R. Hájek, K. Porkka, Á. Illés, D. Lavie, R.M. Lemoli, K. Yamamoto, S.-S. Yoon, J.-H. Jang, S.-P. Yeh, M. Turgut, W.-J. Hong, Y. Zhou, J. Potluri, and K.W. Pratz: Azacitidine and Venetoclax in Previously Untreated Acute Myeloid Leukemia, The new england journal of medicine, August 13, 2020, DOI: 10.1056/NEJMoa2012971
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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