Elektronen gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten

Nach einem grundlegenden Theorem der Quantenmechanik sind bestimmte Elektronen in ihrem Ort nicht eindeutig bestimmbar. Zwei Physikern der Universität Kassel ist nun gemeinsam mit Kollegen in einem Experiment der Beweis gelungen, dass sich diese Elektronen tatsächlich an zwei Orten gleichzeitig aufhalten.

„Vermutet hat man dieses für den Laien schwer verständliche Verhalten schon lange, aber hier ist es zum ersten Mal gelungen, dies experimentell nachzuweisen“, erläuterte Prof. Dr. Arno Ehresmann, Leiter des Fachgebiets „Funktionale dünne Schichten und Physik mit Synchrotronstrahlung“ an der Universität Kassel. „In umfangreichen Versuchen haben wir an Elektronen von Sauerstoff-Molekülen die zum Beweis dieser Aussage charakteristischen Oszillationen nachgewiesen.“ Dr. André Knie, Mitarbeiter am Fachgebiet und Geschäftsführer des LOEWE-Forschungs-Schwerpunkts „Elektronendynamik chiraler Systeme“, ergänzte: „Dieses Experiment legt einen Grundstein für das Verständnis der Quantenmechanik, die uns wie so oft mehr Fragen als Antworten gibt. Besonders die Dynamik der Elektronen ist ein Feld der Quantenmechanik, dass zwar schon seit 100 Jahren untersucht wird, aber immer wieder neue und verblüffende Einsichten in unsere Natur ermöglicht.“

Die theoretischen Grundlagen für die Entdeckung gehen auf Albert Einstein zurück. Er erhielt für die Beschreibung des sogenannten Photoeffekts 1922 den Physik-Nobelpreis. Danach können Elektronen aus Atomen oder Molekülen mit Hilfe von Licht dann entfernt werden, wenn die Energie des Lichts größer ist als die Bindungsenergie der Elektronen. Einstein hat schon 1905 die mathematische Beschreibung dieses sogenannten Photoeffekts abgeleitet, in dem er damals Unerhörtes annahm: Licht wird dazu als ein Strom aus Lichtteilchen beschrieben und je ein Lichtteilchen („Photon“) übergibt seine Energie an je ein Elektron. Übersteigt diese Energie die Energie, mit dem das Elektron an das Atom gebunden ist, wird das Elektron freigesetzt. Soweit wurde diese Annahme später auch experimentell bestätigt.

Einstein weitergedacht

Darauf aufbauend lässt sich das Verhalten von Elektronen weiter untersuchen. In einem zweiatomigen Molekül, das aus zwei gleichen Atomen zusammengesetzt ist (z. B. das Sauerstoffmolekül O2) gibt es Elektronen, die sehr eng an das jeweilige Atom gebunden sind. Im Teilchenbild könnte man sich vorstellen, dass diese Elektronen um das jeweilige Atom kreisen. Nach der Quantenmechanik sind diese Elektronen allerdings nicht zu unterscheiden. Für ein Photon mit einer Energie, die größer ist als die Bindungsenergie dieser Elektronen (für beide Elektronen ist die Bindungsenergie gleich) stellt sich nun die Frage: An welches dieser beiden für mich als Photon nicht zu unterscheidenden Elektronen gebe ich meine Energie ab? Die Antwort der Quantenmechanik lautet: Das Photon gibt seine Energie zwar an ein einziges Elektron ab, aber dieses befindet sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gleichzeitig nahe bei Atom 1 und nahe bei Atom 2 (das Gleiche gilt für das andere Elektron). Und: Elektronen sind auch als Welle verstehbar, genauso wie damals Einstein zur Beschreibung des Lichts Teilchen angenommen hat. Wird nun ein einziges Elektron vom Atom entfernt, so laufen die zugehörigen Wellen sowohl von Atom 1 aus, als auch von Atom 2, da sich dieses Elektron ja gleichzeitig da und dort befindet. Seit langem wurde daher schon vorhergesagt, dass sich diese beiden Wellen überlagern müssen und damit interferieren. Experimentell war der Nachweis dieser Interferenzmuster bis dato noch nicht gelungen.

Genau dies glückte jedoch nun der Forschungsgruppe, an der die Kasseler Physiker Ehresmann und Knie beteiligt waren – ein eindeutiger Beleg, dass sich ein Elektron gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten aufhält. Die Experimente wurden an den Synchrotronstrahlungsanlagen DORIS III bei DESY in Hamburg sowie BESSY II in Berlin durchgeführt. Dabei wurde monochromatische Synchrotronstrahlung auf gasförmige Moleküle fokussiert. Diese wurden durch die Strahlung ionisiert und die bei der Ionisation freiwerdenden Elektronen durch sogenannte Elektronenspektrometer winkel- und energieaufgelöst detektiert. (Quelle: idw)

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