Herzkinder sitzen zu viel – WHO-Empfehlungen werden kaum befolgt

Herzkinder sitzen zu viel – WHO-Empfehlungen werden kaum befolgt


Teilen: 

09.06.2020 09:08

Herzkinder sitzen zu viel – WHO-Empfehlungen werden kaum befolgt

Sport bei angeborenen Herzfehlern? Das ist sogar lebenswichtig. Eine neue Studie des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler zeigt: Ärzte beraten übervorsichtig.

Eine Stunde täglich. So lautet das von der WHO empfohlene Minimum an körperlicher Bewegung. Doch davon bekommen die meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu wenig. Laut KiGGS Motorik Modul-Studie halten sich nur etwa 13 Prozent der sechs- bis 17-Jährigen täglich eine Stunde fit. Das ist die Vergleichsgruppe, die das Forscherteam um den Kinderkardiologen Christian Apitz am Universitätsklinikum Ulm gemeinsam mit der Sportwissenschaftlerin Claudia Niessner vom Karlsruher Institut für Technologie und dem Kinderkardiologen Jannos Siaplaouras für die weltweit bislang umfassendste Studie zur sportlichen Betätigung von Herzkindern herangezogen hat.

Herzkinder treiben zu wenig Sport

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Gefördert wurde die S-BAHn (Sport bei angeborenen Herzfehlern)-Studie am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler von der Fördergemeinschaft Deutsche Kinderherzzentren. Das Ergebnis: Nur neun Prozent der von angeborenen Herzfehlern betroffenen Kinder und Jugendlichen treiben täglich eine Stunde Sport. Bei den Herzkindern mit schweren angeborenen Herzfehlern waren es gerade noch acht Prozent. „Das sind noch einmal drei bis vier Prozent weniger als in der gleichaltrigen herzgesunden KiGGS-Vergleichsgruppe“, stellt Claudia Niessner fest. Die Wissenschaftler haben dazu die vollständigen Datensätze von 1.198 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Nationalen Registers im Alter zwischen 6 und 17 Jahren mit leichten, moderaten und komplexen angeborenen Herzfehlern ausgewertet und sie mit den Daten von 3.385 gleichaltrigen Teilnehmern aus der KiGGS Motorik-Modul Studie verglichen. Bundesweit haben im Rahmen der S-BAHn-Studie rund 1.700 minderjährige Herzpatientinnen und -patienten sowie ihre Eltern bzw. Fragen zur körperlichen Aktivität, zur medizinischen Versorgung sowie zu den Sportempfehlungen der behandelnden Ärzte beantwortet.

Ärzte beraten übervorsichtig

Überrascht hat das Forscherteam die hohe Anzahl der Studienteilnehmer, die angaben, ihre körperliche Aktivität auf ärztlichen Rat hin eingeschränkt zu haben. Bei Kindern und Jugendlichen mit komplexen angeborenen Herzfehlern war das bei der Hälfte der Fall, bei Patienten mit moderaten angeborenen Herzfehlen gab das jeder Dritte an. Bei Patienten mit einfachen angeborenen Herzfehlern machte noch immer jeder Achte diese Angabe.
Die Wissenschaftler sehen hier dringenden Handlungsbedarf: „Dass vor allem Eltern und Sorgeberechtigte dazu neigen, die jungen Herzpatienten in Watte zu packen, war uns aus anderen Studien bekannt. Dass sich ein ähnliches Verhalten auch bei den behandelnden Ärzten abzeichnet, erfüllt uns mit Sorge. Hier liegt eine Beratungslücke vor, die dringend geschlossen werden muss“, sagt Christian Apitz.

Bewegungsangebote ausbauen, Aufklärung intensivieren

Für Kinder und Jugendliche mit angeborenen Herzfehlern sei der tägliche körperliche Ausgleich besonders wichtig. Was bei allen Menschen nachweislich für mehr Wohlbefinden sorge, Nerven, Muskeln und Abwehrkräfte stärke und die Konzentration fördere, wirke bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern auch dem erhöhten Risiko lebensbedrohlicher Folgeerkrankungen entgegen. Die Forscher empfehlen daher unisono, die Bewegungsangebote insbesondere auch für Kinder und Jugendliche mit schweren angeborenen Herzfehlern deutlich auszubauen. Zudem sei eine intensivierte Aufklärung durch die behandelnden Ärzte wichtig. „Ärztinnen und Ärzte müssen sich genügend Zeit für den einzelnen Patienten nehmen dürfen. Der Klinikalltag heute gestattet das kaum noch. Sie sollten sich untereinander regelmäßig über die sportliche Aktivität der Patienten beraten und diese individuell dazu ermutigen, sich regelmäßig sportlich zu betätigen“, mahnt Studienerstautor Jannos Siaplaouras.

Leserservice:

Sie oder Ihr Kind haben einen angeborenen Herzfehler? Mit Ihrer Anmeldung im Nationalen Register für angeborene Herzfehler unterstützen Sie den medizinischen Fortschritt. Hier erhalten Sie auch wichtige Informationen zu aktuellen Forschungsprojekten und Unterstützungsangeboten. Mehr dazu unter: www.herzregister.de. Die Mitgliedschaft ist kostenlos und jederzeit widerrufbar. https://www.kompetenznetz-ahf.de/patienten/service-fuer-patienten/am-register-te…


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. med. Jannos Siaplaouras, Praxis am Herz-Jesu-Krankenhaus, Fulda
Tel.: + 49 661 70025
E-Mail: praxis@kinderkardiologie-fulda.de

Prof. Dr. med. Christian Apitz, Universitätsklinikum Ulm
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Kardiologie
Tel.: +49 731 50057127
E-Mail: christian.apitz@uniklinik-ulm.de

Dr. med. Ulrike Bauer, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler e. V. und des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler e. V.
Tel.: +49 30 45937277
E-Mail: ubauer@kompetenznetz-ahf.de


Originalpublikation:

Physical Activity Among Children With Congenital Heart Defects in Germany: A Nationwide Survey.

Siaplaouras J, Niessner C, Helm PC, Jahn A, Flemming M, Urschitz MS, Sticker E, Abdul-Khaliq H, Bauer UM, Apitz C

Frontiers in pediatrics 8, 170, (2020).

DOI: 10.3389/fped.2020.00170


Weitere Informationen:

http://Mehr zur Studie: https://www.kompetenznetz-ahf.de/forscher/forschung/ergebnisse/herzkinder-sitzen…


Anhang

attachment icon Pressemitteilung “Herzkinder sitzen zu viel”

Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Sportwissenschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW