Hörschaden im Gehirn



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18.12.2020 15:11

Hörschaden im Gehirn

Eine neue Studie zeigt, wie akute, hochgradige Lärmbelästigung zu langfristigen Änderungen im Gehirn führt. Das Forscherteam aus Göttingen, Magdeburg und Erlangen hat entdeckt, dass sich die Aktivität von Nervenzellen in der Hörrinde von Wüstenrennmäusen nach akuter Lärmbelästigung stark einschränkt, aber Wochen später deutlich verstärkt ist. Das Team vermutet hier einen dem Hörschaden entgegenwirkenden Kompensationsmechanismus und eine mögliche neurologische Ursache von Schwerhörigkeit oder Tinnitus. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe von „Frontiers in Neuroscience“ erschienen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Wir alle bemerken, wie unsere Welt immer lauter wird. Starke Lärmbelästigungen, die zu Schäden der Haarsinneszellen in der Hörschnecke führen, sind eine der Hauptursachen für Hörstörungen. „Beinahe 20 Prozent unserer Bevölkerung leidet unter Einschränkungen beim Hören“, sagt einer der Studienleiter, Prof. Dr. Holger Schulze vom Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg. Dafür sind nicht nur die geschädigten Haarsinneszellen verantwortlich, sondern auch Änderungen der Verschaltungen von Nervenzellen im Gehirn. Doch welche Rolle diesen zukommt, ist noch nicht genau verstanden.
„Wenn wir die Ursachen lärmbedingter Hörschäden besser verstehen und behandeln können, wäre dies für unser Gesundheitssystem von immenser Bedeutung“, resümiert Dr. Marcus Jeschke von der Universität Göttingen.

Langfristige Veränderungen im Gehirn nach akutem Lärmschaden

Die Wissenschaftler haben im Tiermodell untersucht, was im Gehirn von Wüstenrennmäusen nach Beschallung mit einem lauten Ton über eine Zeitspanne von etwas über einer Stunde passiert. Das Forscherteam hat dazu in der Hörrinde die Aktivität vieler tausend Nervenzellen gemessen. Die Hörrinde ist, obwohl die akustische Information sie erst nach mehreren Stationen der Verarbeitung im Gehirn erreicht, grundlegend an der auditiven Wahrnehmung beteiligt. Zwar sind Nervenzellen nach einem Schalltrauma nicht direkt geschädigt, doch die Befunde der Studie zeigen, dass es durch die lokale Schädigung von Haarsinneszellen zu einer generell reduzierten Verarbeitung von Tönen in der zentralen Hörrinde kommt. „Diese Form des lärmbedingten Hörverlustes kennen viele von uns, wenn sie nach einem Konzert oder Clubbesuch ein dumpfes Hörempfinden oder sogar Klingeln im Ohr feststellen“, fasst Dr. Max Happel vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg zusammen.

Die verringerte Reizinformation, welche nach dem Schaden vom Ohr in die Hörrinde gelangt, scheinen die Nervenzellen in der Hörrinde durch vermehrt unkoordinierte Aktivität zu kompensieren. Misst man die Aktivität Wochen nach der akuten Schädigung, so fand das Forscherteam eine Kompensation der Verarbeitung der Tonfrequenzen, welche durch das Schalltrauma geschädigt wurden. Es kam zu bleibenden Änderungen der Nervenschaltkreise in der Hörrinde. „Wie genau solche Änderungen zur Pathophysiologie des lärminduzierten Hörverlustes oder womöglich zu Phantomgeräuschen, also Tinnitus, führt, ist Gegenstand aktueller Forschung“, so Prof. Frank Ohl vom LIN.

Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg

Das LIN ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das sich Lern- und Gedächtnisprozessen im Gehirn widmet. Das LIN wurde 1992 als Nachfolgeeinrichtung des Institutes für Neurobiologie und Hirnforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR gegründet und ist seit 2011 Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es bildet einen der Eckpfeiler des Neurowissenschaftsstandortes Magdeburg. Das LIN beherbergt moderne Labore für die neurowissenschaftliche Forschung – vom Hightech-Mikroskop bis zum Kernspintomographen. Aktuell arbeiten rund 230 Personen am LIN, davon ungefähr 150 Wissenschaftler aus über 25 Ländern. Sie erforschen kognitive Prozesse und deren krankhafte Störungen im Gehirn von Mensch und Tier.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Max Happel


Originalpublikation:

https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnins.2020.598406/abstract


Weitere Informationen:

http://www.lin-magdeburg.de


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW