27.04.2020 10:33
Insulinwirkung im Gehirn bestimmt das Körpergewicht und die Fettverteilung
Wo sich Fett im Körper anlagert und wie stark man von einer Lebensstil-Intervention profitiert, hängt unter anderem von der Insulin-Sensitivität des Gehirns ab. Reagiert das Gehirn empfindlich auf das Hormon, nimmt man deutlich ab, reduziert ungesundes Bauchfett und kann auch langfristig das Gewicht halten. Reagiert das Gehirn nur wenig oder gar nicht auf Insulin, verliert man nur zu Beginn der Maßnahme etwas Gewicht und nimmt dann wieder zu. Auch das viszerale Fett steigt langfristig weiter an. Das sind Ergebnisse einer Langzeitstudie des DZD, die jetzt in ‘Nature Communications’ veröffentlicht wurde.
Wie ungesund Köperfett ist, hängt vor allem davon ab, wo es gespeichert wird. Lagert sich Fett im Bauch an, ist das besonders ungünstig. Denn das viszerale Fett setzt zahlreiche Botenstoffe frei, die sich unter anderem auf den Blutdruck auswirken, die Freisetzung des Hormons Insulin beeinflussen und Entzündungen auslösen können. Dies erhöht das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und bestimmte Krebsarten. Das Unterhaut-Fett (subkutanes Fett), das sich am Po, Oberschenkeln und Hüften anlagert, hat dagegen keine bekannten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit.
Bisher ist aber unklar, warum die Fettspeicherung nicht bei allen Menschen am gleichen Ort erfolgt. Untersuchungen im Tübinger Lebensstil Interventionsprogramm [1] deuteten darauf hin, dass die Insulinwirkung im Gehirn hier eine wichtige Rolle spielen könnte. Sie zeigten, dass Menschen mit einer hohen Insulin-Sensitivität im Gehirn deutlich stärker von einer Lebensstil-Intervention mit einer ballaststoffreichen Ernährung und Sport profitieren als Menschen mit einer Insulin-Resistenz im Gehirn. Reagiert das Gehirn empfindlich auf das Hormon, verloren die Menschen nicht nur mehr Gewicht, sondern wiesen auch eine gesündere Fettverteilung auf.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Doch wie wirkt sich die Insulin-Sensitivität langfristig auf die Verteilung des Körperfetts und das Gewicht aus? Diese Frage untersuchten Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), des Helmholtz Zentrums München und der Universitätsklinik Tübingen in einer Langzeitstudie. Dazu erfassten sie über einen Zeitraum von neun Jahren die Follow-up-Daten von 15 Teilnehmenden, bei denen vor Beginn einer 24-monatigen Lebensstil-Intervention die Insulin-Sensitivität im Gehirn durch Magnetoenzephalographie bestimmt wurde.
Hohe Insulin-Sensitivität mit Reduktion des Bauchfetts und des Gewichts assoziiert
Dabei zeigte sich, dass Insulinwirkung im Gehirn nicht nur das Körpergewicht, sondern auch die Verteilung von Fett im Körper bestimmt. „Probanden mit einer hohen Insulin-Sensitivität im Gehirn profitierten von der Lebensstil-Intervention mit einer ausgeprägten Reduktion des Gewichts und des viszeralen Fettgewebes. Auch nach Ende der Lebensstil-Intervention lagerten sie während der neunjährigen Nachbeobachtung nur wenig Fettmasse wieder an“, berichtet der Leiter der Studie Prof. Dr. Martin Heni vom Universitätsklinikum Tübingen. Im Gegensatz dazu zeigten Personen mit einer Insulin-Resistenz im Gehirn nur in den ersten neun Monaten des Programms eine leichte Gewichtsabnahme. „Danach stiegen das Körpergewicht und das viszerales Fett noch während der folgenden Monate der Lebensstil-Intervention wieder an“, sagt Erstautorin PD Dr. Stephanie Kullmann.
Da die Insulinwirkung im Hypothalamus entscheidend für die Regulation des peripheren Energiestoffwechsels ist, prüften die Forschenden auch, wie die Insulin-Empfindlichkeit in diesem Hirnareal mit der Verteilung des Körperfetts zusammenhängt. Dafür untersuchten sie eine Querschnittskohorte von 112 Teilnehmern. Die Auswertung der Daten zeigte, dass Personen mit hoher Insulin-Sensitivität im Hypothalamus nur wenig viszerales Fettgewebe bilden. Auf die Masse des Unterhautfettgewebes hat die Insulin-Sensitivität jedoch keinen Einfluss.
„Unsere Studie zeigt einen neuen und zentralen Mechanismus, der die Fettverteilung beim Menschen steuert. Die Insulin-Sensitivität im Gehirn bestimmt, wo sich Fett anlagert“, fasst Heni die Ergebnisse zusammen. Da viszerales Fett nicht nur bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes eine Rolle spielt, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs erhöht, können die Studien-Ergebnisse vielleicht auch neue Ansätze für Therapieoptionen über Stoffwechselerkrankungen hinaus eröffnen. Die Forschenden in Tübingen arbeiten bereits an neuen Therapien, um die Insulin-Resistenz im Gehirn aufzuheben und so die Körperfettverteilung günstig zu beeinflussen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Martin Heni
Universitätsklinikum Tübingen, Innere Medizin IV
Otfried Müller Straße 10
72076 Tübingen
Phone: +49 (0)7071 29-82714
E-Mail: martin.heni(at)med.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Kullmann et al. (2020): Brain insulin sensitivity is linked to adiposity and body fat distribution. Nature Communications, DOI: doi.org/10.1038/s41467-020-15686-y
1) Tschritter, O. et al. High cerebral insulin sensitivity is associated with loss of body fat during lifestyle intervention. Diabetologia 55, 175–182 (2012).
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch