Nachwuchspreis: Zytostatika mit Fernzünder



Teilen: 

23.01.2024 10:49

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Nachwuchspreis: Zytostatika mit Fernzünder

Der Chemiker Dr. Johannes Karges (31) von der Ruhr-Universität Bochum wird mit dem Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2024 ausgezeichnet. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung am 23. Januar 2024 bekannt. Der Preisträger hat entdeckt, wie sich platinhaltige Chemotherapeutika nur im Tumorgewebe anreichern und erst dort aktivieren lassen. Als Trigger dafür nutzt er Licht oder Ultraschall. Präklinisch hat er den Nachweis dieser Verfahren bereits erbracht. Ihre Translation in die klinische Praxis könnte die gravierenden Nebenwirkungen dieser weltweit am häufigsten eingesetzten Krebsmedikamente drastisch verringern und ihre Wirksamkeit deutlich erhöhen.

Der Preis wird – zusammen mit dem Hauptpreis 2024 – am 14. März 2024 um 17 Uhr vom Vorsitzenden des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung in der Frankfurter Paulskirche verliehen.

Schlimme Nebenwirkungen

Rund die Hälfte aller Chemotherapien weltweit wird mit Cisplatin und zweien seiner Abkömmlinge vorgenommen. Es handelt sich um Zytostatika, die Krebszellen daran hindern, sich zu teilen. Seit Jahrzehnten zeigen sie gegen einige Krebsarten beeindruckende Erfolge. Allerdings rufen sie schnell Resistenzen hervor. Weil die Platinpräparate auch die Teilung gesunder Körperzellen hemmen, sind sie mit schweren Nebenwirkungen verbunden, die von Übelkeit und Erbrechen über Nieren-, Gehör- und Nervenschädigungen bis hin zur Hemmung der Blutbildung im Knochenmark reichen. Seit langem wird deshalb nach einer Möglichkeit gesucht, diese Zytostatika nur in den Krebszellen wirken zu lassen, die sie vernichten sollen. Dann wären sie im Sinne von Paul Ehrlich Zauberkugeln ähnlich, die ausschließlich die Krankheit kurieren, ohne dem Rest des Körpers zu schaden. Die Forschung von Johannes Karges und seinem Team haben diese Vision wiederbelebt.

Die beiden Ausgangsfragen dieser Forschung waren: Wie können wir das Zytostatikum oder eine Vorstufe davon selektiv im Tumor anreichern? Wie können wir es dort selektiv aktivieren? Die Antwort besteht in der Konstruktion von winzigen Kügelchen (Nanopartikeln), die zu groß sind, um gesundes Gewebe zu durchdringen, aber klein genug, um sich zwischen Krebszellen zu drängen. Gesunde Zellen sind nämlich eng miteinander verfugt, während der Zusammenhang von Tumorgewebe der hohen Teilungsgeschwindigkeit seiner Zellen wegen lückenhaft ist. Die Nanopartikel sind mit eingebauten Empfängern versehen, die durch externe Signale aktiviert werden. Als Empfänger eignen sich Photo- oder Sonosensibilisatoren. Das sind Moleküle, die über die Eigenschaft verfügen, die Energie von aufgenommenem Licht oder Schall in chemische Reaktionen umzusetzen, bei denen Elektronen abgegeben und aufgenommen werden (Redoxreaktionen).

Zeitzünder für Wirkstoffe

Zusammen mit seinem chinesischen Forschungspartner Prof. Dr. Haihua Xiao hat Karges – um im Bild zu bleiben – bisher mit Erfolg zwei Gemische erprobt, die durch diese Zeitzünder in den Krebszellen zur Explosion gebracht werden können. Im ersten Fall koppelte er den Wirkstoff Oxaliplatin an einen Photosensibilisator und band beide Moleküle in ein fettlösliches Polymer ein. Die Enden dieses Polymers versah er mit wasserlöslichen Peptiden, die als Adressetiketten für den Transport in den Zellkern fungierten. In Selbstorganisation lagerten sich die so entstandenen Ketten zu Kügelchen von 80 Nanometer Durchmesser zusammen. Wenn diese Kügelchen den Kern der Krebszelle erreicht hatten, geschah nichts, solange Dunkelheit herrschte. Aber in dem Moment, in dem sie mit rotem Licht bestrahlt wurden, zerfielen sie und setzten Oxaliplatin und hochaggressiven Sauerstoff frei, was die Krebszellen zerstörte.

Rotes Licht dringt allerdings nicht tiefer als einen Zentimeter in einen Organismus ein. Die meisten Tumoren des Menschen könnte es nicht erreichen. Ultraschallwellen legen im Körper die zehnfache Strecke zurück. Im zweiten Fall berechnete Karges deshalb am Computer, welche Sonosensibilisatoren eine ungiftige Vorstufe (Prodrug) von Cisplatin durch Bestrahlung mit Ultraschallwellen in den giftigen Wirkstoff umwandeln könnten. Er fand heraus, dass Hämoglobin sich dafür am besten eignet, und packte das Biomolekül mit der Prodrug auf die bewährte Weise in Nanopartikel zusammen. Wieder reicherten sich die Partikel selektiv in Krebszellen an. Während sie unter physiologischen Bedingungen stabil blieben, wurde die Prodrug dort nach Beschallung in Gegenwart von Ascorbinsäure innerhalb von wenigen Minuten vollständig in Cisplatin umgewandelt.

Ihre in Zellkulturen gewonnenen Erkenntnisse konnten Karges und Xiao in Versuchen mit Mäusen eindrucksvoll bestätigen. In beiden beschriebenen Fällen verschwanden die Tumore der Tiere, denen die Nanopartikel injiziert worden waren, nach externer Bestrahlung mit Rotlicht oder mit Ultraschall innerhalb kurzer Zeit fast vollständig.

Zur Person

Johannes Karges studierte von 2011 bis 2016 Chemie an der Philipps-Universität in Marburg und am Imperial College in London. Als Doktorand forschte er auf dem Gebiet der Bioanorganik an der École Nationale Supérieure de Chimie de Paris und an der Sun Yat-Sen-Universität in Guangzhou in China. Nach seiner Promotion arbeitete er von 2020 bis 2022 als Postdoktorand an der University of California, San Diego, in La Jolla. Seit November 2022 leitet er als Liebig Fellow des Fonds der Chemischen Industrie seine eigene Forschungsgruppe an der Ruhr-Universität Bochum.

Der Preis

Der 2006 erstmals vergebene Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis wird von der Paul Ehrlich-Stiftung einmal jährlich an einen in Deutschland tätigen Nachwuchswissenschaftler oder eine in Deutschland tätige Nachwuchswissenschaftlerin verliehen, und zwar für herausragende Leistungen in der biomedizinischen Forschung. Das Preisgeld von 60.000 Euro muss forschungsbezogen verwendet werden. Vorschlagsberechtigt sind Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen sowie leitende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an deutschen Forschungseinrichtungen. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch den Stiftungsrat auf Vorschlag einer achtköpfigen Auswahlkommission.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Joachim Pietzsch
Pressestelle Paul Ehrlich-Stiftung
Tel.: +49 69 36007188
E-Mail: j.pietzsch@wissenswort.com


Weitere Informationen:

http://Bilder des Preisträgers und ausführliche Hintergrundinformation: http://www.paul-ehrlich-stiftung.de/


Bilder

Die Arbeiten von Johannes Karges machen Furore. Sie könnten für die Behandlung von Krebs weitreichende Auswirkungen haben.

Die Arbeiten von Johannes Karges machen Furore. Sie könnten für die Behandlung von Krebs weitreiche

© RUB, Marquard


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Personalia
Deutsch


 

Quelle: IDW