Neue Einsichten in Lungengewebe bei Covid-19-Erkrankungen: Team unter Göttinger Leitung entwickelt neue Bildgebung



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21.08.2020 11:37

Neue Einsichten in Lungengewebe bei Covid-19-Erkrankungen: Team unter Göttinger Leitung entwickelt neue Bildgebung

Röntgenphysikerinnen und -physiker der Universität Göttingen haben zusammen mit Pathologen und Lungenspezialisten der Medizinischen Hochschule Hannover ein neues Bildgebungsverfahren entwickelt, mit dem geschädigtes Lungengewebe nach Erkrankung an Covid-19 hochaufgelöst und dreidimensional dargestellt werden kann. Dafür wird eine besondere Röntgenmikroskopietechnik genutzt, um die durch das Virus hervorgerufenen Veränderungen der Lungenbläschen, der so genannten Alveolen, und der Blutgefäße darzustellen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift eLife erschienen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

(pug) Bei schweren Krankheitsverläufen von Covid-19 beobachten die Forschenden starke Veränderungen der Gefäßarchitektur, zahlreiche Entzündungen, Thromben und so genannte hyaline Membranen, die sich durch Ausscheidung von Protein- und Zellresten auf die Alveolarwände legen und den Gasaustausch erheblich erschweren. Mit dem neuen zerstörungsfreien Verfahren lassen sich diese Schäden erstmals großräumig und dreidimensional darstellen, ohne das Gewebe durch Schnitte und Färbung zu verändern. Das Verfahren eignet sich damit besonders zur Darstellung der Verästelung kleinster Gefäße, zur Bestimmung der räumlichen Verteilung von Immunzellen im Gewebe und zur Messung der Trennschichten zwischen Blutzellen und den Luftbläschen, etwa für die Simulation des Gasaustausches.

„Die in Wachs eingebetteten Lungengewebeproben konnten vor einer Detail-Untersuchung auch großräumig durchstrahlt werden, um besonders interessante Bereiche um Entzündungen, Blutgefäße oder Bronchien herum zu lokalisieren“, sagt der leitende Autor Prof. Dr. Tim Salditt von Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen. Da die Röntgenstrahlung tief genug eindringt, kann die Brücke von der makroskopischen zur mikroskopischen Struktur geschlagen werden. Die räumliche Anordnung von Blutgefäßen bis hinunter zu den kleinsten Kapillaren kann damit für die Pathologen sichtbar gemacht werden.

Die Autoren sprechen von einer virtuellen dreidimensionalen Histologie. Die Histologie als die Lehre des Aufbaus von Geweben und die Histopathologie als Lehre der krankheitsbedingten Veränderungen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Mikroskopie rasante Fortschritte gemacht hatte. Noch heute nutzt man in der Pathologie die damals entwickelten Grundtechniken der Gewebefixierung, der Anfertigung von Dünnschnitt-Präparaten, die Anfärbungen und schließlich die Betrachtung im Mikroskop. Die klassische Technik ist aber nicht mehr ausreichend, wenn man vollständige dreidimensionale Darstellungen braucht, die man mit Computer-Programmen „durchforsten“ und analysieren will.

Dreidimensionale Bildgebung kennt man aus der herkömmlichen Computer-Tomographie (CT). Bei der Phasenkontrast-Methode entsteht das Bild aber nicht wie bei der klassischen CT durch unterschiedliche Abschwächung der Röntgenstrahlung im Gewebe, sondern durch winzige Laufzeitunterschiede der Röntgenwelle und den daraus resultierenden Verschiebungen der Wellenfront. Durch Ausbreitung der Röntgenwelle zwischen Probe und Detektor entsteht ein wellenartiges Muster, aus dem dann allerdings erst noch ein scharfes Bild errechnet werden muss. Salditt und seine Arbeitsgruppe haben nun speziellen Algorithmen und Beleuchtungsoptiken entwickelt, mit denen sich die Gewebestruktur scharf und dreidimensional darstellen lässt. Dabei kann die Vergrößerung stufenlos eingestellt werden und auch Millimeter oder Zentimeter-große Gewebeproben können ohne Schnitte oder Anfärbung dargestellt werden. Je nach Einstellung, können damit auch Strukturen sichtbar gemacht werden, die mit herkömmlicher Lichtmikroskopie nicht mehr aufgelöst werden können. Um dies zu erreichen, nutzt das Göttinger Team hochbrillante Röntgenstrahlung, welche am Speicherring PETRAIII des Deutschen Elektronen-synchrotrons (DESY) in Hamburg erzeugt wird.

Wie schon von 150 Jahren nach Erfindung des modernen Mikroskops ergibt sich ein wesentlicher Fortschritt aus der Verbindung physikalischer und medizinischer Forschung. Das interdisziplinäre Forschungsteam hofft, dass mit der neuen Methode die Entwicklung von Behandlungsmethoden und Wirkstoffen unterstützt werden kann, um schwere Lungenschäden bei Covid-19 zu verhindern, zu lindern oder die Regeneration zu fördern. „Erst wenn man sieht was passiert, kann man Mittel und Eingriff zielgerichtet entwickeln“, so Prof. Dr. Danny Jonigk von der Medizinischen Hochschule Hannover, der den medizinischen Teil der Studie geleitet hat.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Tim Salditt
Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Röntgenphysik
Friedrich-Hund-Platz 1, 37077 Göttingen
Telefon: 0551 39 29918/25556
E-Mail: tsaldit@gwdg.de
www.roentgen.physik.uni-goettingen.de


Originalpublikation:

M . Eckermann, J.Frohn, M. Reichardt, M. Osterhoff, M. Sprung, F. Westermeier, A. Tzankov, C. Werlein, M. Kühnel, D. Jonigk, T. Salditt et al. 3d Virtual Patho-Histology of Lung Tissue from Covid-19 Patients based on Phase Contrast X-ray Tomography. eLife (2020). Doi: https://doi.org/10.7554/eLife.60408


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW