Optogenetische Gentherapie lässt Erblindeten partiell wieder Sehen



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24.05.2021 19:36

Optogenetische Gentherapie lässt Erblindeten partiell wieder Sehen

Ein internationales Forschungsteam konnte zeigen, dass eine optogenetische Genthera-pie bei einem wegen erblicher Retinitis pigmentosa erblindeten Patienten dazu beiträgt, einen Teil der Sehkraft wieder herzustellen. Dies ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Gen-therapien zur potenziellen Umkehr von Blindheit.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Paris, Pittsburgh, Basel, 24. Mai 2021 – Neu veröffentlichte klinische Daten zeigen erst-mals, dass optogenetische Methoden einem erblindeten Menschen eine gewisse Sehfähi-gkeit zurückgeben können. Dieser Erfolg ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung von Gentherapien für erbliche Erkrankungen von Lichtrezeptor-Zellen – und zwar unabhängig von den Mutationen, die diese Erbkrankheiten verursachen. Die Daten wurden in Nature Medicine publiziert. Sie stammen aus einer Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von José-Alain Sahel und Botond Roska. Zum For-schungsteam gehören Mitglieder des Institut de la Vision und Hôpital National des Quinze-Vingts in Paris, der Universität Pittsburgh, dem Institut für Molekulare und Klinische Oph-thalmologie Basel (IOB), StreetLab und GenSight Biologics (Euronext: SIGHT).

„Dass wir einem Erblindeten durch optogenetische Therapie das Augenlicht teilweise zu-rückgeben konnten war nur möglich durch die Mitarbeit des Patienten selbst, durch An-strengungen der multidisziplinären Teams im Institut de la Vision und bei GenSight sowie durch die langjährige Zusammenarbeit mit Botond Roska vom IOB, die den Grundstein und das Fundament für dieses Projekt legte“, sagt José-Alain Sahel. Er ist der erstgenann-te und Korrespondenz-Autor der klinischen Studie sowie Distinguished Professor und Lei-ter des Departements Ophthalmologie an der Universität Pittsburgh, Professor sowohl an der Universität Sorbonne, dem Hôpital National des Quinze-Vingts und Gründungsdirektor des Institut de la Vision.

„Die Studienergebnisse beweisen das Wirkkonzept, dass eine optogenetische Genthera-pie zur partiellen Wiederherstellung von Sehfähigkeit, machbar ist“, sagt Botond Roska, Gründungsdirektor des IOB und Professor an der Universität Basel.

Bei der Optogenetik werden Zellen genetisch so verändert, dass sie lichtempfindliche Pro-teine, sogenannte Channelrhodopsine, produzieren. Diese Technik existiert bereits seit fast 20 Jahren im Bereich Neurowissenschaften, aber bisher wurde der klinische Nutzen der Optogenetik nicht nachgewiesen. Die heute gemeldeten Ergebnisse widerspiegeln 13 Jahre multidisziplinärer Bemühungen und sind der Höhepunkt der Zusammenarbeit zwi-schen den Teams von José-Alain Sahel und Botond Roska.

Ziel der Forschung ist die Behandlung von erblichen Erkrankungen der Fotorezeptoren im Auge. Diese sind ein weitverbreiteter Grund für Erblindung beim Menschen. Fotorezepto-ren sind lichtsensible Zellen in der Netzhaut, die so genannte Opsin-Proteine nutzen, um visuelle Information via Sehnerv vom Auge ans Gehirn zu liefern. Die Fotorezeptoren de-generieren allmählich, und dann setzt die Erblindung ein. Um die Lichtsensibilität wieder-herzustellen, setzte das Team gentherapeutische Methoden ein, um Channelrhodopsine in die Ganglienzellen der Netzhaut einzubringen.

Für die aktuelle Studie lieferte das Team das Gen, das für ein Channelrhodopsin namens ChrimsonR kodiert in die Netzhaut. Dieses spezielle Protein empfängt bernsteinfarbenes Licht, das für Netzhautzellen sicherer ist als das blaue Licht, das für andere Arten der optogenetischen Forschung verwendet wird. Das Team entwickelte zudem eine spezielle Brille, die mit einer Kamera ausgestattet ist, die visuelle Bilder erfasst und in bernsteinfar-benen Lichtwellenlängen auf die Netzhaut projiziert.

Für die aktuelle Studie startete das Team das Training mit der Brille fast fünf Monate nach der Injektion. So konnte sich die die ChrimsonR-Expression in der Zeit in den Ganglienzel-len stabilisieren. Sieben Monate später begann der Patient über Anzeichen einer Sehver-besserung zu berichten.

Testresultate zeigten: Der Patient konnte Objekte auf einem weissen Tisch vor seinen Au-gen lokalisieren, berühren und zählen, jedoch nur mithilfe der Spezialbrille. Ohne die Brille gelangen ihm diese Übungen nicht. Ein Test beinhaltete die Wahrnehmung, Lokalisierung und Berührung eines grossen Notizbuchs oder einer kleinen Schachtel mit Heftklammern. Der Patient berührte in 36 von 39 voneinander unabhängigen Untersuchungen (also in 92% aller Tests) das Notizbuch. Bei der kleinen Schachtel gelang dies nur in 36% der Fäl-le. In einem zweiten Test zählte der Patient Gläser auf dem Tisch in 63% aller Fälle korrekt.

Während einer dritten Testreihe trug der Patient eine Kopfhaube mit Elektroden, die ein nicht-invasives Elektro-Enzephalogramm (EEG) seiner Gehirnaktivität aufzeichneten. Ein Glas wurde abwechselnd vom Tisch entfernt bzw. darauf platziert und der Patient musste Knöpfe drücken, um das Vorhandensein oder Fehlen des Glases zu bestätigen. Wichtig ist, dass die EEG-Messungen bei diesem Test zeigten, dass sich die korrelierten Aktivitäts-änderungen im visuellen Kortex konzentrierten.

Das Forschungsteam trainierte zudem einen Software-Decoder für die Auswertung der EEG Aufzeichnungen. Durch einfache Messungen der neuronalen Aktivität konnte der Decoder mit 78% Trefferquote feststellen, ob das Glas bei einer bestimmten Testreihe auf dem Tisch vorhanden war, oder nicht. Diese letzte Auswertung, so Roska, half dabei, zu bestätigen, dass die Gehirnaktivität tatsächlich mit einem visuellen Objekt in Verbindung steht, und „beweist, dass die Netzhaut nicht mehr blind ist.“

„Wichtig ist, dass blinde Patienten mit verschiedenen Arten von neurodegenerativen Foto-rezeptor-Erkrankungen und einem noch funktionierenden Sehnerv potenziell für die Be-handlung in Frage kommen. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis diese Therapie den Patienten angeboten werden kann“, kommentierte Sahel.

Link zur Publikation in Nature Medicine:
https://www.nature.com/articles/s41591-021-01351-4

Erstautor der Studie:
José-Alain Sahel, sahelja@upmc.edu
Medienkontakte:
Anastasia Gorelovaa: gorelovaa@upmc.edu (University Pittsburgh, Pittsburgh)
Emanuela de Luca: emanuela.de-luca@institut-vision.org (Institut de la Vision, Paris)

Letztgenannter Hauptautor der Studie:
Botond Roska, botond.roska@iob.ch
Medienkontakt IOB, Basel: Sandra Schlüchter, sandra.schluechter@iob.ch

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Über das IOB
Am Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) arbeiten Grundlagen-forscher und Kliniker täglich Hand in Hand an einem besseren Verständnis von Augen-krankheiten und an der Entwicklung neuer Therapien. IOB wurde im Dezember 2017 als Stiftung gegründet. Die Gründungspartner waren das Universitätsspital Basel, die Universi-tät Basel und Novartis. Der Kanton Basel-Stadt beteiligt sich mit substanziellen Mitteln an der finanziellen Unterstützung des neuen Instituts.

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Medienkontakt IOB, Basel: Sandra Schlüchter, sandra.schluechter@iob.ch


Originalpublikation:

Link zur Publikation in Nature Medicine:
https://www.nature.com/articles/s41591-021-01351-4


Weitere Informationen:

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Anhang

attachment icon Blinder Patient während extrakranieller Mehrkanal-Elektroenzephalo-Graphie (EEG)-Aufzeichnung


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW