Positives Sozialverhalten durch zarte Berührungen



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28.07.2020 18:42

Positives Sozialverhalten durch zarte Berührungen

Neue Erkenntnisse darüber, wie das Neuropeptid Oxytocin das Sozialverhalten koordiniert liefert eine nun erschienene Publikation in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience. Die Ergebnisse eines internationalen Teams aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern können die Basis für neue Therapieansätze bilden.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Von der sanftesten Liebkosung bis zum härtesten Schlag steht die Berührung im Mittelpunkt unserer sensorischen Erfahrung der Welt. Sie prägt die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, insbesondere bei engen Beziehungen mit anderen Menschen. Der Tastsinn ist eine der zentralen Formen der Wahrnehmungserfahrung, obwohl er in der Philosophie, der wissenschaftlichen Forschung und der Psychologie oft der visuellen Wahrnehmung untergeordnet wird. Während der Evolution entwickelten Wirbeltiere eine Vielzahl komplexer sensorischer Systeme, die einen klaren evolutionären Vorteil darstellten und dazu führten, dass höhere Säugetiere in der Lage waren, zwischen Schmerzen, moderaten und sanften Berührungsformen zu unterscheiden.

Da soziale Berührungen eine Voraussetzung für Intimität und von größter Bedeutung für die Bildung vertrauensbasierter Beziehungen sind, können im gesamten Säugetierreich (Nagetiere, Katzen, Hunde oder Primaten) verschiedene Formen sanfter Berührungen, Pflege und Streicheln beobachtet werden. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Hierarchien werden durch verschiedene Neurotransmitter im Gehirn moduliert. In Bezug auf soziale Interaktionen hat während des letzten Jahrzehnts ein bestimmtes Molekül in der Neurowissenschaft für viel Furore gesorgt: das Neuropeptid Oxytocin. Oxytocin beeinflusst nicht nur die Geburt und Stillzeit, sondern optimiert direkt das Gehirn, um Emotionen, Geschlechtsverkehr, Paarbindung und elterliches Verhalten zu ermöglichen. Wie genau Oxytocin diese prosozialen Verhaltensweisen fördert und was die tatsächliche Freisetzung des Neuropeptids auslöst, blieb jedoch ein Rätsel.

Diese Frage wurde nun durch internationale Zusammenarbeit von Forschungsteams aus Deutschland, Frankreich, Israel, den USA und dem Vereinigten Königreich unter Beteiligung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim angegangen. Erstmals gelang es ForscherInnen elektrophysiologische Aufnahmen einzelner Oxytocin-Neuronen in sich frei bewegenden, weiblichen Ratten zu machen. So konnte nachgewiesen werden, dass Oxytocin-Neuronen speziell bei körperlicher Berührung aktiviert werden. Der Artikel, der in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht wurde, enthüllte, dass eine kleine Gruppe von Oxytocin-Neuronen, sogenannte parvozelluläre Oxytocin-Neuronen, für die Umwandlung von sensorischen Signalen in soziale Interaktionen verantwortlich sind.

Die AutorInnen verwendeten eine Vielzahl neuartiger Techniken und konnten zeigen, dass diese kleine Gruppe von Oxytocinzellen durch sensorische Information angesteuert wird, anschließend das gesamte Oxytocinsystem aktiviert und so schlussendlich die Kommunikation zwischen weiblichen Ratten fördert. „Diese Ergebnisse liefern grundlegend neue Erkenntnisse darüber, wie das Neuropeptid das Sozialverhalten koordiniert und bilden die Basis für Therapieansätze, bei denen Oxytocin als wirksames Mittel zur Behandlung von psychischen Störungen eingesetzt werden könnte“, sagt Prof. Dr. Valery Grinevich, Leiter der Abteilung Neuropeptidforschung in der Psychiatrie am ZI. Eine Kombination aus sensorischer Körperstimulation (zum Beispiel durch Massage) und Oxytocin-Verabreichung in die Nase könnte krankhafte sozial-emotionale Veränderungen beim Menschen synergistisch abschwächen. Auf diese Weise könnte es PatientInnen helfen, die von psychischen Erkrankungen wie der Autismus-Spektrum-Störung und posttraumatischer Belastungsstörung betroffen sind.


Originalpublikation:

Tang, Y., Benusiglio, D., Lefevre, A. et al. Social touch promotes interfemale communication via activation of parvocellular oxytocin neurons. Nat Neurosci (2020). DOI: 10.1038/s41593-020-0674.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW