Therapie-Fortschritt nur durch Registerforschung – Angeborene Herzfehler erfordern solide Wissenschaftsbasis



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04.07.2023 09:05

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Therapie-Fortschritt nur durch Registerforschung – Angeborene Herzfehler erfordern solide Wissenschaftsbasis

Die Zahl der Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) wächst kontinuierlich. Doch über das Altern mit der häufigsten Organfehlbildung ist noch zu wenig bekannt. Nur ein Prozent der für EMAH empfohlenen Behandlungsmaßnahmen beruht auf kontrollierten Studien. Forschende am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler drängen auf die gezielte Förderung der multizentrischen Forschung. Diese bleibt auf Daten und Proben aus großen Registern und Biobanken angewiesen.

Es ist ein enormer Fortschritt der Forschung in der Herzmedizin: Über 90 Prozent der Menschen mit angeborenem Herzfehler erreichen das Erwachsenenalter. Mit der häufigsten angeborenen Fehlbildung kommt eins von einhundert Kindern zur Welt. Dank verbesserter chirurgischer und interventioneller Verfahren lassen sich heute selbst schwere Herzfehlbildungen gut korrigieren. Infolgedessen nimmt die Zahl der Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern stetig zu. Schätzungen zufolge wächst die Gruppe der Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern jährlich um fünf Prozent. Schon heute stellen erwachsene Patienten mehr als zwei Drittel aller Betroffenen.

Ein angeborener Herzfehler bleibt

Doch geheilt sind die meisten nicht. Insbesondere bei mittelschweren oder schweren Herzfehlern ist das Risiko hoch, vorzeitig an Herzversagen, an Herzrhythmusstörungen, einer infektiösen Endokarditis oder in Folge einer erneuten Operation zu versterben. Die auf diesem Gebiet noch junge Forschung konzentriert sich daher zunehmend auf die Beantwortung von Fragen nach der optimalen Art und Weise der Versorgung, den besten Behandlungsoptionen für verbleibende Komplikationen oder der Risikoabschätzung für nachteilige Folgen.

Erschwerte Forschung

Für verlässliche Ergebnisse sind die Forschenden auf eine breite Datengrundlage angewiesen. Und genau hier liegt die Krux, wie der Vorstandsvorsitzende des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler Professor Anselm Uebing erläutert: „Bei angeborenen Herzfehlern haben wir es mit einer Vielzahl von Diagnosen zu tun, die für sich genommen selten sind. Die Krankheitsbilder reichen von einfachen Ventrikelseptumdefekten bis hin zu komplexen Fehlbildungen wie Einkammerherzen. Einige gehen mit weiteren Organfehlbildungen einher und verursachen extrakardiale Begleiterkrankungen. Dabei haben die Betroffenen jeweils ihre eigene, einzigartige Patientengeschichte von Operationen und Eingriffen, Folgeerkrankungen, Komplikationen oder Wechselwirkungen mit anderen altersbedingten Erkrankungen. Entsprechend schwierig ist es, an genügend Daten für aussagefähige Studienergebnisse heranzukommen.“

Evidenzlücke mit Folgen

Dabei gibt es längst große multizentrische Register, die solche Forschungs-grundlagen zur Verfügung stellen, wie das Nationale Register für angeborene Herzfehler. Seit mehr als zwanzig Jahren sammelt die international renommierte Forschungsinstitution freiwillig gespendete, medizinische Daten von Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern und bereitet diese für die Forschung auf. Mehr als 50.000 Kindern und Erwachsene unterstützen auf diese Weise die internationale Forschung. Die Biobank des Nationalen Registers verfügt über Biomaterial von über 10.000 Patientinnen und Patienten.

„Das Register am Kompetenznetz ist eine weltweit einmalige Forschungsbasis. Doch noch wird die Aufrechterhaltung solcher Strukturen einer patientenorientierten Forschung auf unserem Spezialgebiet nicht nachhaltig genug finanziert und gefördert. Damit hinkt die Wissenschaft auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler teils gezwungener Maßen den durch sie ermöglichten Fortschritten hinterher“, stellt Professor Anselm Uebing fest. Das hat Folgen: „Weniger als ein Prozent aller Empfehlungen für das Therapieregime bei angeborenen Herzfehlern beruhen auf Daten aus kontrollierten Studien. Diese Evidenzlücke macht uns zunehmend Sorge“, so der Kinderkardiologe.

Forschungskooperationen mit den Kassen

Hinzu käme, dass es für eine bestmögliche Versorgung der Patienten bis ins hohe Alter entscheidend sei, vergleichende Analysen durchführen zu können, die auch die Allgemeinbevölkerung berücksichtigen. Große Hoffnungen werden inzwischen in den Einsatz von Big Data und Künstlicher Intelligenz für entsprechende Langzeitstudien auf breiter Datengrundlage, etwa auch mit den systematisch erfassten Versorgungsdaten von Krankenkassen, gesetzt.

Wie wichtig solche neuen Wege in der Forschung sind, zeigt auch das jüngste einer Reihe von Studienergebnissen der Forschungsgruppe um den EMAH-Spezialisten Professor Gerhard-Paul Diller aus Münster, die das European Heart Journal in den vergangenen zwei Jahren veröffentlicht hat.

Alarmierendes Ergebnis

Die unlängst publizierte Studie auf Grundlage von Daten der Barmer Krankenkasse hat ergeben, dass ein Immunschwächedefizit bei angeborenen Herzfehlern häufiger vorkommt als bislang angenommen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten dafür auf medizinische Daten von mehr als 50.000 Versicherten mit angeborenen Herzfehlern zugreifen und sie mit denen von entsprechenden Kohorten ohne angeborene Herzfehler aus der Gruppe der insgesamt rund 9 Millionen Versicherten vergleichen.

„Immundefekte kennen wir von genetisch bedingten syndromalen Erkrankungen wie beispielsweise dem DiGeorge-, dem Down- oder dem CHARGE-Syndrom. Dass das Risiko dafür über das gesamte Spektrum von angeborenen Herzfehlern hinweg bedeutend höher liegt als bei Menschen ohne angeborenen Herzfehler, ist neu und hat uns überrascht. Vor allem aber zeigt die Studie, dass ein Immundefekt ein klarer Risikofaktor für die Notfalleinweisung ins Krankenhaus und ein frühzeitiges Versterben ist“, betont der auf strukturelle Herzerkrankungen spezialisierte Humangenetiker und Kinderarzt Professor Marc-Phillip Hitz. „Das verdeutlicht einmal mehr, wie entscheidend sowohl die hoch spezialisierte Nachsorge bei angeborenen Herzfehlern als auch eine fachübergreifende Zusammenarbeit, in diesem Fall mit den Immunologen, ist.“

Tiefere Erforschung ist Muss

Die Erkenntnisse solcher Studien helfen, die Gesundheitsversorgung und das Patientenmanagement bei angeborenen Herzfehlern zu verbessern. Sie geben zudem wichtige Hinweise für die weitere Forschung: „Die bei 5,6 Prozent der Patienten diagnostizierten Immundefekte könnten eine gemeinsame genetische Ursache mit den angeborenen Herzfehlern haben. Denkbar ist, dass bestimmte Veränderungen in den Genen sowohl für die Beeinträchtigung der Immunzellen als auch für die Fehlentwicklung des Herzens verantwortlich sind“, erklärt Professor Marc-Phillip Hitz.

Auch sei nicht auszuschließen, dass die Entfernung des Thymus, die üblicherweise Teil der neonatalen Herzchirurgie bei angeborenen Herzfehlern ist, zu einer veränderten Immunfunktion beiträgt. „So etwas müssen wir dringend genauer wissen, um therapeutisch gegensteuern zu können.“

Ohne Zusammenspiel mit der Registerforschung kein Therapiefortschritt

Dazu benötigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allerdings detailliertere Daten als sie den Krankenkassen zur Verfügung stehen. „Ohne phänotypisch gut beschriebene Patientenkohorten, detaillierte Angaben zum jeweiligen klinischen Verlauf, zum Beispiel zu den infektiösen Episoden, den Symptomen, zur Abfolge und Art der Eingriffe, zu begleitenden Erkrankungen oder zu den Blutbefunden und ohne Zugang zu Biomaterial für die molekular-biologische Forschung kommen wir nicht weiter“, so der Humangenetiker. Das bleibt Aufgabe multizentrischer Register und Biobanken.

Auf das kluge Zusammenspiel der Forschung mit den breiten Datensätzen der Krankenkassen und der multizentrischen Registerforschung wird es in Zukunft für die Lebensqualität und Prognose von immer mehr Menschen ankommen. Es geht um eine evidenzbasierte Patientenversorgung und damit um viel.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Anselm Uebing, Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Tel.: +49 (0) 431 50025602, E-Mail: anselm.uebing@uksh.de
Prof. Dr. med. Marc-Phillip Hitz, Direktor des Universitätsinstituts für Medizinische Genetik am Klinikum Oldenburg der Universitätsmedizin Oldenburg, Tel.: +49 (0) 441 4032408, E-Mail: medizinische.genetik@klinikum-oldenburg.de


Originalpublikation:

How can we improve the evidence base for the treatment and care for patients with congenital heart disease?
Uebing A, Hitz MP
European heart journal, (2023).


Weitere Informationen:

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36747474/


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW