16.06.2020 11:35
Antidepressivum hemmt Coronavirus
Ein gängiges Medikament gegen Depressionen bietet sich möglicherweise auch als Mittel zur Behandlung von Covid-19 an. Das zeigt eine neue Studie von Wissenschaftlern der Universität Würzburg, die jetzt auf einem Preprint-Server veröffentlicht wurde.
Seit mehr als vier Jahrzehnten wird der Wirkstoff Fluoxetin beim Menschen zur Behandlung von Depressionen und weiteren psychischen Erkrankungen eingesetzt. Jetzt könnte das Medikament auch im Kampf gegen Covid-19 zum Einsatz kommen. Wie eine Studie von Virologen und Chemikern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) zeigt, hemmt Fluoxetin die Vermehrung der Viren vom Typ SARS-CoV-2 deutlich. Nach Ansicht der Wissenschaftler bietet es sich deshalb vor allem zur frühen Behandlung von infizierten Patienten an, die einer der bekannten Risikogruppen angehören.
Verantwortlich für diese Studie sind Professor Jochen Bodem und sein Team vom Institut für Virologie und Immunbiologie der JMU; unterstützt wurden sie von Professor Jürgen Seibel vom Institut für Organische Chemie. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Wissenschaftler jetzt auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlicht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wirkstoffsuche unter Zeitdruck
Seit Dezember 2019 breitet sich SARS-CoV-2 rund um den Erdball aus. Weltweit wurden bislang mehr als sieben Millionen Infizierte registriert und mehr als 400.000 Todesfälle. Bei der Behandlung schwer erkrankter Patienten ist Remdesivir immer noch das einzige Medikament, das gezeigt hat, dass es den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Weitere, im Idealfall besser wirksame Substanzen sind deshalb dringend gesucht, und weltweit arbeiten Forscher mit Hochdruck an dieser Aufgabe.
Das Problem dabei: Bevor neue Wirkstoffe beim Patienten zum Einsatz kommen, müssen sie diverse Stufen klinischer Studien durchlaufen, die sehr zeitaufwändig sind. Weil diese Zeit fehlt, haben die Würzburger Wissenschaftler einen anderen Weg gewählt: „Wir haben uns in unseren Untersuchungen auf bereits zugelassene Medikamente konzentriert und erforscht, ob diese sich als wirksame Inhibitoren von SARS-CoV-2 eignen“, erklärt Jochen Bodem.
Ein Medikament zeigt Wirkung
So genannte „Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer“ (SSRI) standen im Mittelpunkt einer ihrer Studien. SSRI bilden eine der bedeutendsten Wirkstoffgruppen gegen Depressionen und weitere psychische Erkrankungen. Fluoxetin beispielsweise wurde in den 1970-Jahren in Kliniken eingeführt und ist ein sehr gut erforschtes Medikament.
Im Labor haben die Wissenschaftler nun menschliche Zellen mit dem Wirkstoff in Kontakt gebracht in Konzentrationen, die üblicherweise bei der Therapie von Depressionen erreicht werden. Anschließend wurden die Zellen mit SARS-CoV-2 infiziert. Nach einigen Tagen wurde die Auswirkung auf das Virus kontrolliert. Die Ergebnisse sind vielversprechend: „Fluoxetin hemmt SARS-CoV-2 bereits in einer sehr geringen Konzentration“, sagt Bodem.
Eingriff in die Proteinexpression
Verantwortlich dafür scheint allerdings nicht die eigentliche Aufgabe von Fluoxetin zu sein – der Eingriff in den Serotin-Wiederaufnahme-Prozess. Dafür spricht unter anderem die Tatsache, dass in der Studie andere Medikamente aus der Gruppe der SSRI wie Paroxetin und Escitalopram die Vermehrung von SARS-CoV-2 nicht behinderten. Die antivirale Wirkung hängt also nicht mit dem Serotonin-Wiederaufnahme-Rezeptor zusammenhängt. Stattdessen hemmt Fluoxetin die Proteinexpression in dem Virus, wie Untersuchungen mit Immunfluoreszenz an einem vom Patienten gewonnenen Antiserum zeigten. Es hindert damit das Virus daran, die Bausteine zu bilden, die es für seine Vermehrung in der menschlichen Zelle benötigt.
Was die Studie ebenfalls zeigt: Fluoxetin wirkt sehr speziell auf Viren vom Typ SARS-CoV-2. Bei anderen Viren, wie etwa dem Tollwutvirus, dem Humanen Respiratorischen Synzytial-Virus, dem humanen Herpesvirus 8 oder dem Herpes-simplex-Virus Typ 1, konnten die Wissenschaftler keine Effekte beobachten. „Es spricht also alles dafür, dass Fluoxetin virusspezifisch wirkt, dennoch muss die Wirkung im Erkrankten bestätigt werden“, so der Virologe.
Seit mehr als 40 Jahren im klinischen Einsatz, gut erforscht, das Patent längst abgelaufen, von verschiedenen Firmen erhältlich und relativ günstig. Aus Sicht der Wissenschaftler spricht danach vieles dafür, Fluoxetin bei der frühen Behandlung von SARS-CoV-2-infizierten Patienten in Heilversuchen und Studien einzusetzen, zumal bekannt ist, dass Fluoxetin die Zytokin-Ausschüttung stark vermindert und somit einen zusätzlichen Nutzen für Erkrankte hätte.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jochen Bodem, Institut für Virologie und Immunbiologie, T: +49 931 31-81509, jochen.bodem@vim.uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
The serotonin reuptake inhibitor Fluoxetine inhibits SARS-CoV-2. Melissa Zimniak, Luisa Kirschner, Helen Hilpert, Juergen Seibel, Jochen Bodem. doi: 10.1101/2020.06.14.150490. Posted June 14, 2020. https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.06.14.150490v1
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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