COVID-19: Berliner Forschende legen Grundstein für eine passive Impfung

COVID-19: Berliner Forschende legen Grundstein für eine passive Impfung



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24.09.2020 09:50

COVID-19: Berliner Forschende legen Grundstein für eine passive Impfung

Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben hochwirksame Antikörper gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 identifiziert und verfolgen nun die Entwicklung einer passiven Impfung. Gleichzeitig entdeckten sie dabei, dass manche SARS-CoV-2-Antikörper auch an Gewebeproben verschiedener Organe binden, was möglicherweise unerwünschte Nebenwirkungen auslösen könnte. Sie berichten über diese Erkenntnisse im Fachjournal „Cell“.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Aus dem Blut von Menschen, die eine durch SARS-CoV-2 ausgelöste COVID-19-Erkrankung überstanden hatten, isolierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst fast 600 verschiedene Antikörper. Durch Labortests konnten sie diese Zahl auf einige besonders wirksame Exemplare eingrenzen und diese dann mittels Zellkulturen – quasi in der Petrischale – künstlich nachbilden. Die identifizierten sogenannten neutralisierenden Antikörper binden, wie Strukturanalysen belegen, an das Virus und verhindern damit, dass es in Zellen eindringen und sich vermehren kann. Überdies trägt die Virus-Erkennung durch Antikörper dazu bei, dass der Erreger von Immunzellen beseitigt wird. Untersuchungen an Hamstern – diese sind ähnlich wie Menschen anfällig für eine Infektion durch SARS-CoV-2 – belegen die hohe Wirksamkeit der letztlich ausgewählten Antikörper: „Wurden die Antikörper nach einer Infektion verabreicht, entwickelten die Hamster allenfalls milde Krankheitssymptome. Erfolgte die Gabe der Antikörper präventiv – vor einer Infektion –, dann erkrankten die Tiere nicht“, sagt Dr. Jakob Kreye, Koordinator des aktuellen Forschungsprojektes. Der DZNE-Wissenschaftler ist einer der beiden Erstautoren der aktuellen Veröffentlichung.

Antikörper für passive Impfung

Die Behandlung von Infektionserkrankungen mit Antikörpern hat eine lange Geschichte. Für COVID-19 wird dieser Ansatz auch im Zusammenhang mit der Verabreichung von Plasma aus dem Blut genesener Patientinnen und Patienten untersucht. Mit dem Plasma werden Antikörper der Spender übertragen. „Idealerweise produziert man gezielt den wirksamsten Antikörper im industriellen Maßstab und in gleichbleibender Qualität. Das ist das Ziel, das wir verfolgen“, sagt Dr. Momsen Reincke, ebenfalls Erstautor der aktuellen Veröffentlichung.

„Drei der bisher identifizierten Antikörper sind für eine klinische Entwicklung besonders vielversprechend“, sagt Prof. Dr. Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter am DZNE und Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. „Anhand dieser Antikörper haben wir nun begonnen, eine passive Impfung gegen SARS-CoV-2 zu entwickeln.“ Das geht nur in Kooperation mit einem Partner aus der Industrie. Deshalb arbeiten die Forschenden mit dem Unternehmen Miltenyi Biotec zusammen.

Neben der Behandlung von Erkrankten ist auch der vorsorgliche Schutz von gesunden Personen, die Kontakt zu Infizierten hatten, eine mögliche Anwendung. Wie lange der Schutz besteht, muss im Rahmen klinischer Studien untersucht werden: „Denn im Unterschied zur aktiven Impfung werden bei der passiven Impfung fertige Antikörper verabreicht, die nach einer gewissen Zeit abgebaut werden“, so Prof. Prüß. In der Regel ist der Schutz durch eine passive Impfung weniger beständig, als durch eine aktive. Dafür ist die Wirkung einer passiven Impfung quasi sofort vorhanden, bei einer aktiven Impfung muss diese sich erst aufbauen. „Es wäre ideal, wenn es beide Möglichkeiten der Impfung gäbe, um je nach Situation flexibel reagieren zu können.“

Modernste Technologien

Das Team um Kreye, Reincke und Prüß befasst sich für gewöhnlich mit Erkrankungen des Gehirns und mit Antikörpern, die irrtümlicherweise Nervenzellen attackieren. „Angesichts der COVID-19-Pandemie lag es jedoch auf der Hand, unsere Ressourcen auch anderweitig zu nutzen“, sagt Prof. Prüß. Für das aktuelle Vorhaben profitieren die Forschenden von einem Förderprojekt der Helmholtz-Gemeinschaft, dem „BaoBab Innovation Lab“. In dessen Rahmen entwickeln und verfeinern sie Technologien zur Charakterisierung und Herstellung von Antikörpern, die sie nun anwenden. „Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unserem Industriepartner die Voraussetzungen zu schaffen, um die von uns identifizierten Antikörper am effektivsten in großen Mengen herzustellen“, so Prof. Prüß. „Der darauf folgende Schritt sind klinische Studien, also die Erprobung am Menschen. Zu rechnen ist damit frühestens Ende dieses Jahres. Die Planungen dafür haben schon begonnen.“

Potentielle Nebeneffekte

Im Rahmen der Untersuchungen machten die Forschenden eine zusätzliche Entdeckung: Manche der besonders wirksamen Antikörper gegen das Coronavirus hefteten sich spezifisch an Proteine des Gehirns, Herzmuskels und der Blutgefäße. In Tests mit Gewebeproben von Mäusen zeigten mehrere der neutralisierenden Antikörper eine solche Kreuzreaktivität. Sie wurden daher von der Entwicklung einer passiven Impfung ausgeschlossen. „Diese Antikörper binden nicht nur an das Virus, sondern auch an Proteine im Körper, die mit dem Virus nichts zu tun haben. Weitere Forschungen werden nun prüfen müssen, ob die zugehörigen Gewebe damit möglicherweise Ziele von Angriffen des eigenen Immunsystems werden könnten“, erklärt Prof. Prüß. Ob diese Laborbefunde für den Menschen von Bedeutung sind, ist derzeit nicht absehbar: „Auf der einen Seite müssen wir wachsam sein, um eventuell auftretende Autoimmunreaktionen im Rahmen von COVID-19 und von Impfungen früh zu erkennen. Auf der anderen Seite können diese Erkenntnisse dazu beitragen, die Entwicklung eines Impfstoffs noch sicherer zu machen“, so der Wissenschaftler.

Forschungspartner

Für die aktuellen Untersuchungen kooperierte die DZNE-Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Prüß eng mit der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité sowie dem Institut für Virologie am Campus Charité Mitte. Maßgeblich beteiligt waren zudem die Institute für Virologie und Veterinärpathologie der Freien Universität Berlin und das Scripps Research Institute in den USA.

Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)
Das DZNE erforscht sämtliche Aspekte neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS), um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene. Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. www.dzne.de

Über die Charité – Universitätsmedizin Berlin
Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit rund 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.001 Betten eine der größten Universitätskliniken Europas. Forschung, Lehre und Krankenversorgung sind hier eng miteinander vernetzt. Mit Charité-weit durchschnittlich rund 15.500 und konzernweit 18.700 Beschäftigten aus über 100 Nationen gehört die Berliner Universitätsmedizin zu den größten Arbeitgeberinnen der Hauptstadt. Dabei waren 4.553 der Beschäftigten im Pflegebereich und 4.454 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich tätig. An der Charité wurden im vergangenen Jahr 154.261 voll- und teilstationäre Fälle sowie 700.819 ambulante Fälle behandelt. Im Jahr 2019 hat die Charité Gesamteinnahmen von rund 2,0 Milliarden Euro, inklusive Drittmitteleinnahmen und Investitionszuschüssen erzielt. Mit den 179,1 Millionen Euro eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An der medizinischen Fakultät, die zu den größten in Deutschland gehört, werden mehr als 8.000 Studierende in Humanmedizin, Zahnmedizin sowie Gesundheitswissenschaften ausgebildet. Darüber hinaus gibt es 644 Ausbildungsplätze in 9 Gesundheitsberufen. www.charite.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Harald Prüß
DZNE, Standort Berlin
Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
E-Mail: harald.pruess@dzne.de


Originalpublikation:

A therapeutic non-self-reactive SARS-CoV-2 antibody protects from lung pathology in a COVID-19 hamster model, Jakob Kreye, S Momsen Reincke et al., Cell (2020), URL: https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.09.049


Weitere Informationen:

https://www.dzne.de/en/news/press-releases/press/covid-19-berlin-scientists-lay-… Englische Fassung


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW