17.06.2020 17:00
Die Verwandtschaft der Proteine
Proteine steuern als eines der wichtigsten Biomoleküle das Leben – als Enzyme, Rezeptoren, Signal- oder Strukturmoleküle. Forscher am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie haben zum ersten Mal die Proteome von 100 verschiedenen Organismen entschlüsselt. Die ausgewählten Organismen stammen aus allen drei Domänen des Lebens: der Bakterien, der Archaeen oder der Eukaryoten. Mithilfe der Massenspektrometrie wurden 340.000 verschiedene Proteine gemessen. Verwandte, in der Evolution erhaltene Proteine können nun erstmals mengenmäßig miteinander verglichen werden. Die Ergebnisse wurden in Nature veröffentlicht.
Was haben die Hausmaus Mus Musculus, der in thermalen Quellen lebende Organismus Haloferax Mediterranei und das Darmbakterium Escherischia coli gemeinsam? Nichts sollte man meinen, denn diese drei Lebewesen sind in ihrer evolutionären Abstammung weit voneinander entfernt. Sie gehören jeweils zu einer der drei unterschiedlichen Domänen, die höchste Klassifizierungskategorie der Lebewesen: der Eukaryoten, der Archaeen oder der Bakterien. Alle drei Organismen nutzen bestimmte, ähnliche, Biomoleküle, Proteine, die für ihr Überleben wichtig sind.
Um neue Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Organismen zu entdecken, haben Forscher vom MPI für Biochemie, in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen aus München und Kopenhagen, neben diesen drei Organismen, das Proteom, von insgesamt 100 Organismen aus allen Domänen des Lebens analysiert. Das Proteom ist die Gesamtheit der Proteine einer Zelle oder eines Lebewesens.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Johannes Müller, einer der beiden Erstautoren der Studie erklärt: „Die evolutionäre Verwandtschaft wird heutzutage anhand der Ähnlichkeit von bestimmten Genabschnitten analysiert. Gene, sind die Bauanleitung für Proteine. Mit der aktuellen Studie haben wir die verschieden Genprodukte, die Proteine angeschaut. Wir können jetzt herausfinden, ob die einzelnen Organismen nicht nur die Bauanleitung der Proteine in sich tragen, sondern diese auch herstellen.“
Proteinanalyse
Matthias Mann, Leiter der Abteilung „Proteomics und Signaltransduktion“ und sein Team sind Experten für die Proteinanalyse. Mithilfe des Hochdurchsatzverfahrens der Massenspektrometrie, können bekannte und unbekannte Proteine identifiziert und ihrer Menge bestimmt werden. Bioinformatische Verfahren erlauben anschließend die Analyse und die Integration von zusätzlichen Informationen aus wissenschaftlichen Datenbanken.
Durch die Quantifizierung der gemessenen Proteine können Homologe, also evolutionäre verwandte Proteine, zwischen den Organismen verglichen werden. Die Daten erlauben es den Forschern grundlegende Fragen zu beantworten, wie beispielsweise: Worin investieren Lebewesen über alle Domänen hinweg am meisten ihrer Ressourcen? Verwandte, in der Evolution konservierte Proteine können nun erstmals mengenmäßig miteinander verglichen werden.
In keiner vorherigen Proteomics-Studie wurden so viele Proteine detektiert und quantifiziert. Es wurden
2 Millionen individuelle Peptide von insgesamt 340.000 Proteinen gemessen. Peptide sind Teilstücke von Proteinen. Die detektierten Proteinabschnitte wurden mithilfe von Datenbanken bekannter und vorhergesagter Genprodukte Proteinen zugeordnet und mit anderen bekannten Datenbankinformationen verknüpft. Dies führte zu einer unglaublichen Datensammlung von 8 Millionen Datenpunkten mit 53 Millionen Verbindungen.
Neue Erkenntnisse
„Wir konnten die Existenz von angenommenen, aber nie bestätigten Proteinen beweisen. Viele Proteine waren bisher nur als Vorhersage, anhand der bekannten Gensequenz, geläufig. 93% der von uns gemessenen Proteine waren bislang noch nicht experimentell bestätigt“, erklärt Johannes Müller.
Es war schon bekannt, dass es Gene gibt, die über alle Domänen hinweg sehr ähnlich sind. Dazu gehören die Gene von Proteinfaltungshelfern, der Proteinherstellungsmaschinerie oder des Energiestoffwechsels. Mithilfe der Studie konnten die Forscher jetzt zeigen, dass die dazugehörige Proteine in allen Organismen in hoher Konzentration hergestellt werden. Johannes Müller erläutert: „Es ist nachvollziehbar, dass beispielsweise die Proteinfaltungshelfer alle Organismen überlebenswichtig sind und deshalb über alle Domänen hinweg vorkommen. Damit Proteine ihre spezifische Funktion ausführen können, müssen diese in eine sehr individuelle dreidimensionale Form gefaltet werden. Dabei helfen die Faltungshelfer. Ein Rezeptorprotein kann, zum Beispiel, nur dann funktionieren, wenn er die richtige Form hat, um ein Signalmolekül zu binden.“
Aus dem jetzt zur Verfügung gestellten Rohdatensatz kann die Forschungsgemeinschaft in Zukunft noch viele weitere Erkenntnisse gewinnen. Matthias Mann fasst zusammen: „Wir stellen der Öffentlichkeit eine bisher nicht dagewesene Ressource an proteomischen Daten zur Verfügung um das biologische Wissen zu vermehren. Bildlich gesprochen: Mit den Proteomdaten der 100 verschiedenen Organismen haben wir neues molekulares Detailwissen generiert. Wie auf 100 Landkarten können wir nun in viele Teilbereiche hineinzoomen und neue Zusammenhänge entdecken und die Daten miteinander vergleichen. Sowohl für jeden Proteinforscher, der seine zu untersuchenden Proteine in anderen Organismen überprüfen will, als auch der Bioinformatiker, der von unseren Rohdaten bis zu unseren systembiologischen Erkenntnissen profitieren, sind diese Ergebnisse eine Ressource von unschätzbarem Wert. Unter der großen Menge an noch nicht charakterisierten Proteinen befinden sich bestimmt noch viele, die besonders wichtig für das Leben sind und somit für die Medizin von Interesse sein könnten und für die Biotechnologie um die ‚Grüne Chemie‘ zu vorran zu treiben.“ Die Daten der Studie können online unter der neuen Webseite www.proteomesoflife.org. abgerufen werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Matthias Mann
Protemics und Signaltransduktion
Max-Planck-Institut für Biochemie
Am Klopferspitz 18
82152 Martinsried
E-Mail:mmann@biochem.mpg.de
www.biochem.mpg.de/mann
Originalpublikation:
J.B. Müller*, P.E. Geyer*, A.R. Colaço, P. V. Treit, M. T. Strauss, S. Doll, S. Virreira Winter, J. Bader, N. Köhler, F. Theis, A. Santos, M. Mann: The Proteome Landscape of the Kingdoms of Life, Nature, Juni 2020
* geteilte Erstautorenschaft
DOI: 10.1038/s41586-020-2402-x
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch