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02.05.2023 11:56
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Knorpelregeneration: Forschungen mit elektrisch aktiven Implantaten in Rostock kommen voran
Leuchtturmprojekt an der Universität Rostock:
Auf die Industriegesellschaften kommen nach Experteneinschätzungen massive Probleme bei der Gesundheitsversorgung zu. Die Menschen bewegen sich immer weniger und werden schwergewichtiger. Die Kosten für die Behandlung von Folgen des Übergewichts könnten demnach explodieren. Neben der Prävention muss der Fokus auf einer frühen Behandlung der Folgeerkrankungen liegen.
Mit Sorge schauen Mediziner und Soziologen auf die wachsende Zahl von übergewichtigen Kindern und Jugendlichen. Mögliche Folgen können neben Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schwere Gelenkschädigungen sein. „Das oft viel zu hohe Gewicht führt im Zusammenspiel mit zu wenig Bewegung zur Überbeanspruchung vor allem des Knorpelgewebes in den Knien und Sprunggelenken“, sagt Prof. Rainer Bader von der Orthopädischen Klinik der Universitätsmedizin Rostock. Das könne schon in jüngeren Jahren zu Schädigungen der Knorpelstrukturen führen, die in Folge bereits etwa ab dem 50. Lebensjahr den Einsatz von künstlichen Gelenken erzwingen können. „Das zu verhindern ist eines der Ziele des Sonderforschungsbereichs 1270 ELAINE der Universität Rostock“, erklärt der Mediziner und Ingenieur Bader, er ist stellvertretender Sprecher des Sonderforschungsbereichs. ELAINE ist die Abkürzung für elektrisch aktive Implantate.
Defekte des Gelenkknorpels, die bis zum darunter liegenden Knochen reichen, müssen früh behandelt werden. „Wenn die daraus resultierende überaus schmerzhafte Arthrose größere Teile des Gelenks befallen hat, wird eine Therapie mit elektrisch aktiven Implantaten nicht mehr möglich sein“, sagt Bader. Auch wenn sich diese Therapie noch im Stadium der Grundlagenforschung befinde, zeichne sich der mögliche Weg hin zur klinischen Behandlung schon ab.
Wie die Biologin Dr. Anika Jonitz-Heincke erklärt, werde in einer Operation zunächst das defekte Gewebe entfernt. In die entstandene Leerstelle, die den etwa drei Millimeter dicken Knorpel und das angrenzende Knochengewebe umfasst, wird ein Ersatzmaterial eingebracht. Dieses soll als Gerüststruktur für die umliegenden Knorpelzellen sowie Stammzellen aus dem Knochenmark dienen, wie Jonitz-Heincke berichtet.
Der Ansatz in ELAINE ist, die Zellen bei ihrer Ausdifferenzierung durch ein elektrisch stimulierendes Implantat zu unterstützen, das in der Nähe der defekten Stelle positioniert wird. Das Implantat sendet dabei ein elektrisches Feld aus. „Durch Einbringen eines Knorpelersatzmaterials in den Defekt sollen die einwachsenden Zellen durch eine elektrisch-mechanische Stimulation dazu angeregt werden, hochwertiges, sogenanntes hyalines Knorpelgewebe zu bilden“, sagt Jonitz-Heincke. Die Bildung von „minderwertigem Faserknorpel“ soll dagegen verhindert werden. Das elektrisch stimulierende Implantat werde nach erfolgter Regeneration des Knorpels entfernt.
Noch sind viele elementare Fragen zur Knorpelregeneration mittels elektrisch-mechanischer Stimulation zu beantworten, zum Ende der dritten und letzten DFG-Förderperiode im Jahr 2029 soll aber der Weg in die klinische Behandlung geebnet werden.
„Der Sonderforschungsbereich arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medizin und Technik“, sagt Wissenschaftsministerin Bettina Martin. Hier ist der Universitätsstandort Rostock besonders stark. „Die Themen, die hier erforscht werden, haben großes Potenzial, zukünftig das Leben und die Gesundheit der Menschen zu verbessern.“ Der schnelle Wissens- und Technologietransfer ist entscheidend, um gesellschaftliche Herausforderungen und deren Folgen bewältigen zu können. ELAINE vereint auf einzigartige Weise Humanwissenschaften, Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Versorgungsforschung, klinisch-therapeutische Anwendungen, einschließlich neuer Materialen, Elektrotechnik und Elektronik kommen zusammen. Der jüngst eröffnete Neubau der Elektrotechnik auf dem Campus Südstadt stärkt diese Vorteile noch weiter. „Das Land unterstützt solche wissenschaftlichen Innovationskerne gezielt mit Investitionen“, sagte Martin.
Hintergrund Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE
An dem 2017 gestarteten Sonderforschungsbereich 1270 ELAINE, der sich aktuell in der zweiten Förderperiode befindet, sind neben der Universität und der Universitätsmedizin Rostock die Universitäten Greifswald, Leipzig und Erlangen, die Universitätsmedizin Mainz sowie die Hochschule Wismar beteiligt. Ein Team aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten hauptsächlich in Rostock arbeitet an der Forschung und Entwicklung von elektrisch aktiven Implantaten. Diese Implantate sollen unter anderem bei der Regeneration von Knochen- und Knorpelgewebe eingesetzt werden und Zellen zum Wachstum und zur Differenzierung anregen. Im SFB 1270 ELAINE wird zudem die Tiefe Hirnstimulation erforscht. Diese Methode wird unter anderem bei der Therapie der Parkinson-Erkrankung eingesetzt.
Der Sonderforschungsbereich gilt als eines der Leuchtturmprojekte in der Wissenschaftslandschaft von Mecklenburg-Vorpommern. Die Forschungen laufen nach Angaben der Leiterin von ELAINE, der Elektrotechnikerin Prof. Ursula van Rienen, sehr erfolgreich. Die Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beträgt in der ersten und zweiten Förderperiode rund 24,1 Millionen Euro inklusive der Programmpauschale. Die Universität und Universitätsmedizin Rostock unterstützen das Projekt seit 2017. Bis Ende 2025 werde sich die Förderung auf 2,3 Millionen Euro belaufen. Im Jahr 2026 soll die dritte und damit letzte Förderperiode beginnen.
(https://www.elaine.uni-rostock.de/en)
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Nadine Rudolph
Gesamtkoordinatorin/General Manager SFB 1270 ELAINE
Fakultät für Informatik und Elektrotechnik
Tel.: +49 381/498 – 7082
E-Mail: nadine.rudolph@uni-rostock.de
Weitere Informationen:
https://www.elaine.uni-rostock.de/en
Bilder
An der Universität Rostock wird der Einsatz von elektrisch aktiven Implantaten erforscht. V.l.n.r. D …
Marie-Luise Sellin
Marie-Luise Sellin/Universität Rostock
Neuartige, elektrisch aktive Implantate regen geschädigte Knochen und Knorpel zur Heilung an.
Universität Rostock
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Elektrotechnik, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch