18.05.2020 13:11
TU Berlin: Wenn aus Pilzen Zukunft wird – Weißbuch erschienen
Gemeinsame Pressemitteilung der TU Berlin und der TU München
Pilzbiotechnologie als Innovationsmotor für eine biobasierte Wirtschaft – Weißbuch erschienen
Wie können wir in der nicht mehr so fernen Zukunft zehn Milliarden Menschen ernähren und dabei Umweltschäden aller Art vermeiden? Wie stellen wir den steigenden Bedarf an Textilien oder Leder für eine wachsende Bevölkerung sicher, senken dabei jedoch erheblich den Wasserverbrauch und verzichten sogar auf Tierleid? Wie kommen wir weg vom Erdöl und stellen trotzdem Produkte der chemischen Industrie her? Wie bauen wir Häuser ohne klimaschädlichen Beton und klimaneutral? Diese sind nur einige der Zukunftsfragen, die die Menschheit heute bewegen. Potenzielle Antworten für all diese Fragen lassen sich in neuesten Entwicklungen der Pilzbiotechnologie sind nachlesbar in dem Weißbuch „Growing a circular economy with fungal biotechnology“.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Dieses Grundsatzpapier wurde kürzlich vom paneuropäischen Think Tank EUROFUNG unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer (TU Berlin) veröffentlicht und fasst die Diskussionen führender europäischer und amerikanischer Forscher*innen und global agierender Unternehmen zusammen. Die Expert*innen sind sich einig: Pilzbiotechnologie ist Innovations- und Wachstumsmotor für eine Vielzahl an Industrien und kann unsere erdölbasierte Wirtschaft in eine biobasierte Wirtschaft transformieren helfen. Investitionen in diese Zukunftstechnologie tragen nicht nur zur Erreichung von zehn der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele bei, sondern werden auch unsere Art zu leben und zu arbeiten nachhaltig verändern.
Bioökonomie ist das Thema des BMBF-Wissenschaftsjahres 2020. Es präsentiert dieses Jahr als „Köpfe des Wandels“ unter anderem die Erstautorin des Weißbuchs, Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer, Leiterin des Fachgebietes Angewandte und Molekulare Mikrobiologie an der TU Berlin, sowie Mitautor Prof. Dr. Philipp Benz, Leiter der Professur für Holz-Bioprozesse der TUM School of Life Sciences Weihenstephan an der TU München. „Weltweit gibt es etwa sechs Millionen verschiedene Pilzarten, alle mit spezifischen Eigenschaften“, sagt Vera Meyer. „Einige davon bieten uns heute die einmalige Chance, eine neuartige und innovative Wirtschaftsweise aufzubauen, die vollständig biobasiert ist und sich den Prinzipien Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit fest verschrieben hat.“
Zusammen mit ihrem Kollegen Philipp Benz und weiteren EUROFUNG Akteuren hat sie das Weißbuch „Growing a circular economy with fungal biotechnology“ veröffentlicht. Es ist das Resultat des zweiten internationalen EUROFUNG Think Tanks, den sie als Sprecherin des Konsortiums im Oktober 2019 an der TU Berlin organisiert hat und das sich der Erforschung industriell nutzbarer Pilze und der Entwicklung neuartiger Produktionsprozesse für Erzeugnisse der Bioökonomie widmet.
Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff, Verpackung und Kleidung – Pilze sind nachhaltige Alleskönner
„Die wenigsten Menschen wissen, dass Pilze heute schon eine große Rolle bei der Produktion von Enzymen in verschiedenen Industrien spielen“, erklärt Philipp Benz. „Dazu gehört die Produktion von Lebensmitteln, Waschmitteln, Papier, Kraftstoffen, Medikamenten und weiteren Produkten der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Unser heutiger Lifestyle ist daher ohne Pilzbiotechnologie undenkbar, auch wenn dies den meisten Menschen nicht bekannt ist.“ Vera Meyer ergänzt: „Umso wichtiger, dass wir jetzt im Weißbuch detaillierter beschreiben, welche potenziellen Sprunginnovationen der Pilzbiotechnologie uns nun als Nächstes erwarten. Wir halten es für ein realistisches Szenario, dass wir in naher Zukunft auch Textilien, Verpackungen, Möbel und selbst Baustoffe mit Hilfe von Pilzen herstellen können. Und dies auf Basis von nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen aus der Agrar- und Forstwirtschaft.“
Die Entwicklung von neuen Produkten und auch Produktionsprozessen ist äußerst komplex und erfordert große interdisziplinäre Anstrengungen und weitreichende Investitionen. Ein Ziel des Weißbuchs ist es daher, die Öffentlichkeit, Lehrende, Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft sowie Wissenschaftler*innen anderer Disziplinen zu informieren, welches zukunftweisendes Innovationspotenzial in der Pilzbiotechnologie steckt. So informieren die Forscher*innen in dem Weißbuch insbesondere darüber, dass diese Biotech-Branche mit der Entwicklung weiterer rohstoffbasierter Produkte und Wertstoffe zur Erreichung von zehn der 17 Nachhaltigkeitsziele beitragen kann, die von den Vereinten Nationen formuliert worden sind. Dazu gehören unter anderem die Produktion von ausreichenden Nahrungsmitteln für die Weltbevölkerung, sauberes Wasser, erschwingliche und saubere Energie aus nachwachsenden Rohstoffen und auch der Schutz des Klimas. Beispielsweise werden für die Herstellung von einem Kilo Baumwolle 10.000 Liter Wasser benötigt. Die gleiche Menge Textilien aus Pilzen verbraucht nur 100 Liter. Verbundstoffe, die biotechnologisch aus Pilzen und pflanzlicher Biomasse wie Stroh oder Holzspänen gewonnen werden, und in der Baustoffindustrie eingesetzt werden könnten, produzieren bei der Herstellung ungleich weniger CO2 als herkömmliche Baustoffe wie Beton und sind nach Gebrauch auch noch kompostierbar.
EUROFUNG – der Think Tank
Das EUROFUNG Konsortium vernetzt deutsche, europäische und amerikanische Top-Universitäten und global agierende Unternehmen, die in der Pilzbiotechnologie aktiv sind. An diesem virtuellen Forum sind insgesamt 35 Gruppen aus der Wissenschaft sowie zehn Gruppen aus der Industrie beteiligt. Das erste Weißbuch aus dem Jahr 2016 geht auf den 1. EUROFUNG Think Tank zurück, der ebenfalls an der TU Berlin unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer stattfand. Auch dieses war wegweisend und kann als Open Access Publikation nachgelesen werden: „Current challenges of research on filamentous fungi in relation to human welfare and a sustainable bio-economy: a white paper“.
Zum Wissenschaftsjahr 2020 „Bioökonomie“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): https://www.wissenschaftsjahr.de/2020/
Beide Weißbücher des EUROFUNG-Konsortiums wurden im BMC Verlag der Springer Nature Gruppe veröffentlicht:
Meyer, V., Basenko, E.Y., Benz, J.P. et al. Growing a circular economy with fungal biotechnology: a white paper. Fungal Biol Biotechnol 7, 5 (2020).
https://doi.org/10.1186/s40694-020-00095-z
Meyer, V., Andersen, M.R., Brakhage A.A. et al. Current challenges of research on filamentous fungi in relation to human welfare and a sustainable bio-economy: a white paper. Fungal Biol Biotechnol 3, 6 (2016).
https://doi.org/10.1186/s40694-016-0024-8
Fotomaterial zum Download: http://www.tu-berlin.de/?214525
Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer
Technische Universität Berlin
Fakultät III Prozesswissenschaften
Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie
E-Mail: vera.meyer@tu-berlin.de
Prof. Dr. J. Philipp Benz
Technische Universität München
TUM School of Life Sciences Weihenstephan
Holzforschung München
E-Mail: benz@hfm.tum.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Biologie, Medizin, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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