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05.10.2023 16:43
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wie männliche Moskitos das Vorhandensein nur eines X-Chromosoms kompensieren
Forschungsergebnisse könnten neue Lösungen zur Eindämmung von Malaria anstoßen – Publikation in der Fachzeitschrift Nature
Die Forschungsgruppe von Dr. Claudia Keller Valsecchi am Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz und ihre Kooperationspartner haben den Hauptregulator entdeckt, der für den Ausgleich der Expression von Genen auf dem X-Chromosom zwischen männlichen und weiblichen Malaria-Mücken verantwortlich ist. Diese Entdeckung hilft Forschenden beim besseren Verständnis der Evolution von epigenetischen Mechanismen, die für den Ausgleich der Genexpression zwischen den Geschlechtern verantwortlich sind. Diese Ergebnisse könnten zur Entwicklung neuer Lösungen beitragen, um die Verbreitung von Anopheles-Mücken und damit Malaria zu verhindern.
Molekulare Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Moskitos verstehen
Für die meisten von uns zählen Stechmücken wahrscheinlich zu den größten Plagegeistern unserer Erde. Mit ihrem quälenden Surren und ihren Versuchen, uns zu stechen und so unser Blut zu saugen, rauben sie uns den Schlaf. Dabei sind Mücken mehr als nur ein lästiges Übel: Sie können verschiedene schwere, manchmal sogar tödliche Krankheiten übertragen.
Zu den gefährlichsten Krankheiten, die Stechmücken übertragen können, zählt Malaria. Millionen Menschen sind von dieser Krankheit betroffen, die jährlich hunderttausende Todesfälle vor allem in afrikanischen Ländern verursacht. Malaria wird durch Plasmodium-Parasiten verursacht, die durch Mückenstiche von Anopheles-Mücken übertragen werden. Da nur weibliche Mücken stechen, weil sie Nährstoffe aus dem Blut zur Produktion der Eier benötigen, interessieren sich Forschende für molekulare Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Moskitos. Dies könnte bei der Entwicklung neuer Möglichkeiten im Kampf gegen Malaria hilfreich sein.
Genau wie beim Menschen wird das Geschlecht einer Mücke durch die Geschlechtschromosomen bestimmt: Weibchen weisen zwei X-Chromosomen (XX), Männchen ein X- und ein Y-Chromosom (XY) auf. Entsprechend weisen Männchen nur halb so viele X-Chromosomen wie Weibchen und damit auch nur eine halbe Gendosis der X-chromosomalen Gene auf. Dies wirkt sich entsprechend auf die Proteine aus und führt zu einem Ungleichgewicht. Unbalancierte Chromosomen können Entwicklungsverzögerungen und Erkrankungen auslösen, beispielsweise bei Down-Syndrom oder in vielen Krebsarten, wo unterschiedliche Chromosomen in fehlerhafter Anzahl vorliegen können. Um solche Probleme aufgrund der unterschiedlichen Kopien des X-Chromosoms in Männchen und Weibchen zu verhindern, haben viele Pflanzen und Tiere Wege gefunden, die Expression der X-chromosomalen Gene beim Männchen zu steigern. Dass dieser Prozess der Dosiskompensation in vielen Organismen existiert, ist schon länger bekannt. Wie dies aber auf molekularer Ebene bewerkstelligt werden kann, ist bislang erst in drei Modellorganismen verstanden. Bei den Anopheles-Mücken war der Balancierungsmechanismus bis jetzt völlig unbekannt. Das Forscherteam aus Mainz hat dieses Mysterium nun entschlüsselt.
SOA erkennt das männliche X-Chromosom und steigert dessen Expression
Agata Kalita, Hauptautorin der Studie und Stipendiatin des Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) in Keller Valsecchis Gruppe, leitete diese Forschungsarbeit. Das Team kooperierte mit den Forschungsgruppen von Dr. Maria Felicia Basilicata von der Universitätsmedizin Mainz, Dr. Eric Marois von der Universität Straßburg in Frankreich und Prof. Dr. Franjo Weissing von der Universität Groningen in den Niederlanden. Die Forschenden stießen auf ein völlig neues Gen, das spezifisch in Anopheles-Mücken vorhanden, aber nur in Männchen funktionell ist. Sie tauften dieses mysteriöse Gen „SOA“ – abgeleitet von Sex Chromosome Activation – und entschlüsselten, dass SOA der Hauptregulator für den Ausgleich der X-Chromosom-Genexpression bei männlichen Mücken ist. Das SOA-Protein wirkt durch Bindung an X-chromosomale Gene und steigert deren Expression – allerdings nur bei Männchen. In Weibchen hingegen wird die Vorstufe des SOA-Proteins (SOA-RNA) durch den Prozess des alternativen Spleißens auf andere Weise zusammengefügt und deshalb produzieren diese nur ein stark verkürztes, nicht-funktionales SOA-Protein.
„Der Ausgleich der Genexpression von Geschlechtschromosomen ist bei einigen Spezies entscheidend für die Entwicklung, bei anderen Spezies fehlt dieser Mechanismus jedoch komplett. Wir haben herausgefunden, dass SOA bei Mücken zwar nicht überlebenswichtig ist, den Männchen jedoch einen Vorteil bei der Entwicklung verschafft“, erklärt Agata Kalita. Claudia Keller Valsecchi ergänzt: „Dies ist ein entscheidender Hinweis darauf, wie die Mechanismen, die die Genexpression bei Geschlechtschromosomen ausgleichen, überhaupt in der Evolution der Arten entstehen können.“ Maria Felicia Basilicata fügt hinzu: „Erkenntnisse über die molekularen Prinzipien, die auf Geschlechtschromosomen wirken, helfen uns ganz allgemein, Unterschiede zwischen Männern und Frauen und deren Chromosomen zu verstehen. Geschlechtsunterschiede sind in vielen Krankheiten beim Menschen von zentraler Bedeutung.“
Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, sind ein entscheidender Durchbruch für das Verständnis, wie Genexpression auf den Geschlechtschromosomen ausgeglichen wird. Die Wissenschaftler*innen mutmaßen, dass sich Mechanismen und Faktoren, die sich ausschließlich bei einem Geschlecht auswirken, als nützliche Strategie zur Verringerung der Anzahl blutsaugender Mückenweibchen erweisen könnten. Damit liefert das Forscherteam wichtige Erkenntnisse, welche im Kampf gegen Malaria relevant sein können.
Für ihren Beitrag zu dieser Forschung erhielt Agata Kalita eine lobende Erwähnung beim International Birnstiel Award for Doctoral Research in Molecular Life Sciences 2023.
Über das Institut für Molekulare Biologie gGmbH
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) ist ein Exzellenzzentrum der Lebenswissenschaften, das 2011 auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eröffnet wurde. Die Forschung am IMB konzentriert sich auf drei aktuelle Gebiete: Epigenetik, Entwicklungsbiologie und Genomstabilität. Das Institut ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen einer privaten Stiftung und öffentlichen Einrichtungen: Die Boehringer Ingelheim Stiftung (BIS) hat sich verpflichtet, die Grundfinanzierung des IMB von 2009 bis 2027 mit insgesamt 154 Millionen Euro zu fördern. Das moderne Forschungsgebäude wurde mit 50 Millionen Euro durch das Land Rheinland-Pfalz finanziert. Von Herbst 2020 bis Mitte 2027 stellt das Land 52 Millionen Euro zur Grundfinanzierung des IMB bereit. Weitere Informationen zum IMB finden Sie unter https://www.imb.de/.
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 345.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Mehr als 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 670 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.700 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de.
Bildmaterial:
https://download.uni-mainz.de/presse/imb_chromosomen_soa.jpg
Zellkerne von Anopheles-Zellen, bei denen die DNA blau gefärbt ist. In Orange wurde SOA und in Grün eine X-chromosomale Transkriptionsstelle nachgewiesen.
Foto/©: Maria Felicia Basilicata
Weiterführende Links:
https://www.imb.de/ – Institut für Molekulare Biologie (IMB)
https://www.unimedizin-mainz.de/humangenetik/forschung/ag-basilicata.html – Dr. Maria Felicia Basilicata an der Universitätsmedizin Mainz
https://www.bifonds.de/de/stipendien-grants/phd-stipendien.html – Stipendien des Boehringer Ingelheim Fonds (BIF)
https://www.imp.ac.at/news/article/international-birnstiel-award-2023 – Auszeichnungen International Birnstiel Award 2023
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Claudia Keller Valsecchi
Institut für Molekulare Biologie (IMB)
55128 Mainz
Tel. +49 6131 39-21460
E-Mail: C.Keller@imb-mainz.de
https://www.imb.de/research/our-research-groups/keller-valsecchi/research
Originalpublikation:
Agata Izabela Kalita et al.
The sex-specific factor SOA controls dosage compensation in Anopheles mosquitos
Nature, 28. September 2023
DOI: 10.1038/s41586-023-06641-0
https://www.nature.com/articles/s41586-023-06641-0
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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