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15.06.2023 14:49
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Darm als 3D-Modell: Insektenanatomie per VR-Brille
Gießener Forschende erkunden Tabakschwärmer von innen – Virtuelle Realität ermöglicht Entdeckung bisher unbekannter Darmstrukturen und eröffnet Studierenden neue Einblicke
Per Video oder 3D-Brille durch den Körper scrollen und virtuell die Anatomie entdecken – das ist dank moderner bildgebender Verfahren mittlerweile möglich: Ein Forschungsteam um den Gießener Biologen Dr. Anton Windfelder hat mithilfe von Mikro-Computertomographie erstmals die Raupen des Tabakschwärmers gescannt und eröffnet mit dreidimensionalen Modellen neue Einblicke in deren innere Anatomie. Das Team entdeckte bisher unbekannte anatomische Strukturen im Darm der Insektenlarven, etwa einen Kropf und mehrere Blinddärme. Tabakschwärmer werden als Modellorganismen in der Erforschung von menschlichen Darmkrankheiten wie Morbus Crohn eingesetzt. Die Forschungsergebnisse fließen in die Lehre an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ein: Studierende können in Kursen nun per VR-Brille die Anatomie der Raupen erkunden.
Der Tabakschwärmer (Manduca sexta) ist eine amerikanische Nachtfalterart, deren bis zu acht Zentimeter lange Larven eine wichtige Rolle in der biomedizinischen Forschung spielen. „Der Darm von Säugetieren und Insekten ist in vielen Bereichen miteinander vergleichbar. Dies gilt insbesondere für das angeborene Immunsystem. Wenn wir chronische entzündliche Darmerkrankungen beim Tabakschwärmer verstehen, bringt das wichtige Erkenntnisse für die Humanmedizin mit sich – das wissen wir auch aus unseren früheren Studien“, sagt Dr. Windfelder, der an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der JLU forscht und lehrt sowie am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME arbeitet.
„Mit bildgebenden Verfahren aus der Radiologie wie der Computertomographie können wir beispielsweise neue Medikamente gegen chronische Darmerkrankungen erforschen“, sagt Prof. Dr. Gabriele Krombach, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Ko-Autorin der Studie, die das internationale Fachmagazin iScience (Cell Press) veröffentlicht hat. Mittels Computertomographie können Entzündungen in der Darmwand mithilfe von Kontrastmitteln sichtbar gemacht und dadurch die Wirksamkeit von Medikamenten untersucht werden. Die Studie hilft dabei, diese Untersuchungen besser zu planen und die Ergebnisse zu quantifizieren.
Die Studie liefert zudem Einblicke in die Struktur von Verdauungsorganen bei Insekten. „Wir sind vom komplexen hexagonalen Faltenmuster überrascht – es zieht sich durch den gesamten Mittel- und Hinterdarm und hängt womöglich mit der Wasserresorption im Hinterdarm zusammen“, sagt Prof. Dr. Andreas Vilcinskas, Professor am Institut für Insektenbiotechnologie der JLU und Institutsteilleiter des Fraunhofer IME in Gießen. „Mit traditioneller Lichtmikroskopie war das bisher so nicht darstellbar.“ Auf Grundlage der Daten war es zudem erstmals möglich, das Darmvolumen der Raupen zu berechnen. Mit 1,4 Millilitern entspricht es in etwa dem Darmvolumen einer Maus.
Die Forschungsergebnisse kommen auch den Studierenden der JLU zugute. Anton Windfelder lehrt im Medizinstudium innovative Methoden der biomedizinischen Forschung anhand von alternativen Tiermodellen und lässt Studierende im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen die dreidimensionalen Modelle der Raupen per VR-Brille erkunden. Für alle Interessierten sind animierte 3D-Videos zudem online verfügbar.
Virtual Reality oder künstliche Wirklichkeit ist eine Technologie, durch die Benutzerinnen und Benutzer mit virtuellen Objekten interagieren können. Mit dieser Technik ist es auch möglich, durch den Darm der Tabakschwärmer zu scrollen. Für die Übertragung der Forschungsdaten in die virtuelle Realität arbeitet das Gießener Team mit dem VR-Experten Viet Duc Vu und dem NWTmed-Team der JLU zusammen. NWTmed – kurz für (Natur)Wissenschaft und Technik in der Medizin – ist eine interdisziplinäre Lehr- und Lernplattform unter der Projektleitung von Dr. Johannes Lang und Dr. Holger Repp, die sich unter anderem für die Nutzung der virtuellen Realität in der naturwissenschaftlichen und medizinischen Lehre stark machen. Studienleiter Dr. Windfelder ist überzeugt: „Die virtuelle Realität ist ein Game-Changer und wird die Lehre revolutionieren.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Anton Windfelder
Telefon: 0641 97219166
E-Mail: Anton.G.Windfelder@radiol.med.uni-giessen.de
Justus-Liebig-Universität Gießen
Fachbereich 11 – Medizin
Biomedizinisches Forschungszentrum Seltersberg
Labor für Experimentelle Radiologie
Schubertstraße 81
35392 Gießen
Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME
Institutsteil Bioressourcen
Ohlebergsweg 12
35392 Gießen
Originalpublikation:
Windfelder, A.G., Steinbart, J., Flögel, U., Scherberich, J., Kampschulte, M., Krombach, G.A., and Vilcinskas, A. (2023). A quantitative micro-tomographic gut atlas of the lepidopteran model insect Manduca sexta iScience 26. https://doi.org/10.1016/j.isci.2023.106801.
Weitere Informationen:
http://Videos: https://youtube.com/playlist?list=PLtL43oYX4J36My_U7ndmQg719PDbaOTlF
Bilder
Die Gießener Biologen und Studienautoren Dr. Anton Windfelder (mittig) Dr. Jan Scherberich (links) s …
Fraunhofer IME / Kim Weigand
Biologe und Studienautor Dr. Jan Scherberich trägt eine VR-Brille und hält eine Tabakschwärmerlarve …
Fraunhofer IME / Kim Weigand
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch