Zucker fürs Fein-Tuning



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06.07.2023 17:05

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Zucker fürs Fein-Tuning

Auf Antikörpern kann die Stärke der von ihnen ausgelösten Immunreaktion geregelt werden

Nicht nur bei der Behandlung von Tumoren und Infektionen sind Antikörper längst unverzichtbar. Manchmal aber kann die so ausgelöste Immunreaktion über das Ziel hinausschießen und zum Beispiel mit Covid-19 infizierte Menschen zusätzlich schädigen. Vermeiden lassen sich solche Probleme oft mit einem Fein-Tuning am Antikörper, berichten jetzt Prof. Dr. Falk Nimmerjahn von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und zwei seiner Kollegen in den Niederlanden und in Großbritannien in der Fachzeitschrift Nature Immunology.*

In seinen Labors untersucht der FAU-Forscher das Immunglobulin G oder kurz IgG, das im Körper von Menschen und Tieren für einen langfristigen Schutz vor Infektionen sorgt. Diese in der modernen Medizin häufig eingesetzten Biomoleküle bestehen aus zwei langen und zwei kürzeren Proteinketten, die sich paarweise so aneinanderheften, dass eine Y-förmige Struktur entsteht. Lange Jahre haben Forschung und Medizin sich aus guten Gründen auf die beiden oberen Äste dieses Y konzentriert: Ihre beiden Enden bilden eine Art Tasche, in die kleinere Strukturen auf der Oberfläche von Bakterien und anderen Erregern ähnlich perfekt passen, wie ein Schlüssel in ein Schloss.

Schlüssel-Schloss-Prinzip bei der Immunabwehr

Genau wie ein Schlüsseldienst mit wenigen Veränderungen sehr viele unterschiedliche Schlösser und die jeweils dazu passenden Schlüssel herstellen kann, produziert auch das Immunsystem sehr viele unterschiedliche Strukturen an den Enden von Immunglobulinen, die so zu vielen verschiedenen Erregern passen. Nach einer Infektion mit einem bestimmten Bakterium oder Virus patrouillieren die im Rahmen der Abwehrreaktionen entstandenen IgG für diese Erreger sehr lange im Körper und können bei einer erneuten Infektion sehr schnell reagieren.

Wenn der Schlüssel ins Schloss passt, hängt das Immunglobulin am Erreger und markiert ihn so für andere Abwehrspezialisten des Immunsystems. Der Antikörper hat also die Funktion einer Markierung, die Tumorzellen oder Krankheitserreger in einer riesigen Menge von Körperzellen und harmlosen Mikroorganismen, die im Organismus von Menschen und Tieren wichtige Funktionen übernehmen, erkennbar macht.

Mit Erbgut-Kleber gegen Bakterien

Hat das geklappt, kommt der Stamm des Y-förmigen IgG ins Spiel, den Falk Nimmerjahn an seinem Lehrstuhl für Genetik genau unter die Lupe nimmt. Jetzt übernehmen nämlich Makrophagen, Killerzellen und Granulozyten die Endphase im Kampf gegen eine Infektion. „Und das kann durchaus ein Teamwork sein, in dem Granulozyten in die Rolle eines Selbstmord-Attentäters schlüpfen“, erklärt Falk Nimmerjahn. Angelockt vom Antikörper, der sein Ziel gefunden hat, sprengen diese Zellen sich selbst in die Luft und schleudern dabei auch ihr Erbgut aus dem Kern, das relativ klebrig ist. Genau dort bleiben daher die Bakterien kleben, die das IgG vorher als schädlich identifiziert hatte.

Diese oft sehr gefährlichen, jetzt aber hilflosen Mikroorganismen sind ein gefundenes Fressen für die ebenfalls angelockten Makrophagen, die von den Antikörpern aufgestöberte und markierte Bakterien vertilgen. Dabei nehmen die Fresszellen oft wenig Rücksicht auf Verluste. Wenn bei diesem Wettlauf zwischen Leben und Tod die Zeit drängt, nimmt man eben Kollateralschäden in Kauf – und setzt zum Beispiel Sauerstoff-Radikale und andere gefährlichen Produkte frei, die sonst unschädlich gemacht werden. Bei den meisten Patientinnen und Patienten spielt das keine Rolle: In erster Linie soll der Mensch überleben, dabei entstandene Schäden lassen sich später sicher noch reparieren.

Geregelt wird eine solche Immunreaktion unter anderem mit kleinen Veränderungen am Stamm des Immunglobulins, die nach der eigentlichen Montage des Antikörpers von den Zellen dort noch nachträglich angebracht werden. Dabei werden unter anderem kleine Zuckermoleküle an den Stamm des Immunglobulins angefügt. Genau die aber scheinen für das Fein-Tuning der Immunabwehr wichtig zu sein: „Fehlen die richtigen Komponenten, fällt die Immunreaktion viel stärker aus“, nennt Falk Nimmerjahn eine wichtige Stellschraube.

Das aber kann fatal sein, wenn zum Beispiel eine Virusinfektion das Gewebe ohnehin bereits stark geschädigt hat. Steht der Regler am Stamm des Immunglobulins dann auf wenig Zucker und damit auf einer starken Reaktion, kann das eine bereits ohnehin bis an ihre Grenzen strapaziertes Organ, wie etwa die Lunge im Rahmen einer Virusinfektion, gefährlich stark schädigen. „Der Organismus stellt diese Regler daher sehr fein ein“, schildert Falk Nimmerjahn die Situation. Für solche Fälle stellen sie die Modulation daher auf eine schwache Reaktion mit vielen Zuckerketten. Die genaue Kenntnis dieses Antikörper-Tunings im Rahmen einer Immunantwort ist die Grundlage, um Antikörper für die Behandlung von Tumor- und Autoimmunerkrankungen noch besser und verträglicher zu machen.

* Direkt zu den Ergebnissen: https://www.nature.com/articles/s41590-023-01544-8

Ansprechpartner für Medien:
Prof. Dr. Falk Nimmerjahn
Lehrstuhl für Genetik
falk.nimmerjahn@fau.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Falk Nimmerjahn
Lehrstuhl für Genetik
falk.nimmerjahn@fau.de


Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s41590-023-01544-8


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW