03.09.2020 15:38
„Hotspots“ einer Corona-Infektion im menschlichen Körper
Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann verschiedene Organe beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund haben Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der US-amerikanischen Cornell University zelluläre Faktoren untersucht, die für eine Infektion von Bedeutung sein könnten. Sie analysierten dazu die Aktivität von 28 spezifischen Genen in einer Vielzahl menschlicher Gewebe. Ihre im Fachjournal „Cell Reports“ veröffentlichten Studienergebnisse zeichnen eine Karte potenziell krankheitsrelevanter Faktoren innerhalb des menschlichen Körpers.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
„SARS-CoV-2 infiziert nicht nur die Atemwege, sondern hat das Potenzial, viele andere Organe im Körper zu beeinträchtigen. Selbst wenn das Virus zuerst das Atmungssystem infiziert, ist es wichtig, vorhersagen zu können, wohin es als nächstes gehen könnte. Das hilft, Therapien zu entwickeln. Wir wollten deshalb mehr darüber erfahren, was die verschiedenen Organe für eine Infektion anfällig macht“, erläutert Dr. Vikas Bansal, Datenwissenschaftler am DZNE-Standort Tübingen. „Deshalb haben wir uns bei verschiedenen Geweben angeschaut, welche Elemente der zellulären Maschinerie für eine Infektion relevant sein können und auch welche Zelltypen besonders anfällig erscheinen.“ Bansal teilt sich die Autorenschaft der aktuellen Veröffentlichung mit Dr. Manvendra Singh und Prof. Cedric Feschotte von der Cornell University.
Kandidaten-Suche
Gemeinsam mit seinem Forscherkollegen aus den USA ermittelte Bansal zunächst 28 menschliche Gene beziehungsweise zelluläre Faktoren, die den Eintritt des Virus in Körperzellen ermöglichen oder anderweitig für eine Infektion von Bedeutung sein könnten. Dabei handelt es sich neben Rezeptoren auf der Zelloberfläche beispielsweise um Proteine, die der Erreger mutmaßlich benötigt, um sich innerhalb einer Zelle zu vermehren. Die Liste der untersuchten Faktoren enthält auch Enzyme, die das Eindringen von Krankheitserregern in die Zelle blockieren – sogenannte Restriktionsfaktoren. Zusammengefasst werden die 28 analysierten zellulären Merkmale als „SCARFs“ bezeichnet. Das Kürzel steht für den englischen Ausdruck “SARS-CoV-2 and coronavirus associated receptors and factors”.
„Das Virus zweckentfremdet bekanntlich den sogenannten ACE2-Rezeptor, der auf der Oberfläche menschlicher Zellen vorkommt, um anzudocken und sich einzuschleußen. Diesem Rezeptor und anderen Faktoren, die damit zusammenhängen, gilt daher viel Aufmerksamkeit. Sie sind mögliche Ansatzpunkte für Therapien“, sagt Bansal. Allerdings wisse man von verwandten Coronaviren, dass sie vielfältige Möglichkeiten nutzen, um Zellen zu infizieren. Hinweise dafür gäbe es auch bei SARS-CoV-2, so der Forscher. „Deshalb haben wir unsere Analyse auf zelluläre Faktoren ausgedehnt, die bei anderen Coronaviren erwiesenermaßen relevant sind und deshalb für SARS-CoV-2 ebenfalls wichtig sein könnten.“
Ob dies tatsächlich zutreffe, müssten künftige Experimente klären, erläutert Bansal. Für solche Untersuchungen habe man ausrichtsreiche Kandidaten identifizieren wollen. „Unsere Studie ist allerdings nur eine Momentaufnahme. Die Forschung entwickelt sich rasant. Wir lernen daher ständig Neues über dieses Virus.“
Profile der Genaktivität
Anhand von Informationen aus wissenschaftlichen Datenbanken analysierten die Forscher die Genaktivität – Fachleute sprechen auch von „Expression“ – in rund 400.000 menschlichen Zellen aus verschiedenen Gewebetypen. Dazu gehörten Nasenschleimhaut, Lunge, Darm, Nieren, Herz, Gehirn und Geschlechtsorgane. Die Analyse geschah auf Einzelzell-Ebene und unter Einsatz ausgefeilter bioinformatischer Methoden. „So konnten wir untersuchen, in welchen Körperzellen die SCARFs exprimiert werden und auch wie viel Prozent der Zellen innerhalb eines bestimmten Gewebes diese Faktoren exprimieren“, sagt Bansal. „Einschränkend muss man bei unseren Ergebnissen sicherlich beachten, dass sich Expressionsmuster im Zuge einer Infektion verändern können und das solche Aktivitätsprofile nicht direkt die Häufigkeit von Proteinen, etwa von Zellrezeptoren, widerspiegeln. Allerdings sind Expressionsmuster gute Indikatoren.“
Schlachtfelder und Hotspots
Im Einklang mit der bekannten Tatsache, dass SARS-CoV-2 insbesondere die Atemwege attackiert, weisen die Expessionsmuster die Nasenschleimhaut als ein „Schlachtfeld“ aus. Demnach enthalten die Zellen der Nasenschleimhaut sowohl Faktoren, die eine Infektion begünstigen, wie den ACE2-Rezeptor, als auch Faktoren, die den Eintritt des Virus hemmen, wie IFITM3 und LY6E. „IFITM3 ist ein Protein, von dem bekannt ist, dass es andere Coronaviren daran hindert, die Zellmembran zu durchqueren. Dasselbe könnte für SARS-CoV-2 gelten. LY6E wirkt ebenfalls als Abwehrmechanismus“, so Bansal. „Es scheint daher, dass der Kontakt des Virus mit der Nasenschleimhaut zu einem Tauziehen führt. Es geht also um die Frage, wer daraus als Sieger hervorgeht. Interessanterweise deuten unsere Daten darauf hin, dass sich im menschlichen Nasengewebe das Expressionsniveau der Eintrittsfaktoren mit dem Alter verschiebt. Das könnte ein Grund dafür sein, wieso ältere Menschen für eine Infektion mit SARS-CoV-2 anfälliger sind.“
Darm, Nieren, Hoden und Plazenta sind der aktuellen Studie zufolge potentielle Hotspots. Diese Bereiche scheinen durch eine ausgeprägte, gemeinsame Expression von ACE2 und TMPRSS2 gekennzeichnet zu sein. TMPRSS ist ein Enzym, das in Kombination mit ACE2 am viralen Eintritt in die Zelle beteiligt ist. „Wir konnten zudem eine Reihe zellulärer Faktoren identifizieren, die alternativ zum ACE2-Rezeptor dazu beitragen könnten, dass SARS-CoV-2 in Lunge, Herz und zentrales Nervensystem gelangt“, so Bansal. „Es ist bekannt, dass SARS-CoV-2 neurologische Störungen auslösen kann. Zwar wurde das Virus bisher nicht in Neuronen nachgewiesen, das Nervensystem umfasst jedoch andere Zellen wie Astrozyten und Perizyten, die zum Beispiel an der Regulation der sogenannten Blut-Hirn-Schranke beteiligt sind. Das ist die Schnittstelle zwischen Gehirn und Blutkreislauf. Gemäss unserer Studie könnten diese Zellen durchaus für eine Infektion anfällig sein. Dabei könnte möglicherweise ein Rezeptor namens BSG eine Rolle spielen. Alles in allem liefert unsere Studie daher eine Fülle von Daten und konkrete Ansatzpunkte für künftige Studien über das Coronavirus.“
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Über das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)
Das DZNE erforscht sämtliche Aspekte neurodegenerativer Erkrankungen (wie beispielsweise Alzheimer, Parkinson und ALS), um neue Ansätze der Prävention, Therapie und Patientenversorgung zu entwickeln. Durch seine zehn Standorte bündelt es bundesweite Expertise innerhalb einer Forschungsorganisation. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, Universitätskliniken und anderen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene. Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. Web: http://www.dzne.de
Originalpublikation:
A single-cell RNA expression map of human coronavirus entry factors, Manvendra Singh et al., Cell Reports (2020), DOI: DOI: 10.1016/j.celrep.2020.108175, URL: http://www.cell.com/cell-reports/fulltext/S2211-1247(20)31164-5
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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