06.05.2020 17:24
Umfassende genetische Charakterisierung primärer Immundefekte
Internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Exzellenzclusters PMI erforscht die Genetik Primärer Immundefekte (PID) in noch nie dagewesenem Umfang
Sogenannte primäre Immundefekte (Englisch: primary immunodeficiencies, kurz: PID) sind eine Gruppe seltener Immunschwächen, die auf einer Fehlsteuerung des Immunsystems beruhen. Bei den Betroffenen kann es unter anderem zu wiederkehrenden und oft lebensbedrohlichen Infektionen kommen. Zudem ist ihr Risiko für Autoimmunreaktionen, bei denen sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper richtet, sowie Krebs erhöht. Primäre Immundefekte zählen zu den seltenen Erkrankungen: Schätzungsweise eine Person von 10.000 erkrankt. Sie können sich individuell sehr in Ausprägung und Verlauf unterscheiden. Das macht es bisher besonders schwer, die primären Immundefekte zu diagnostizieren. Man geht derzeit davon aus, dass den meisten PIDs ein genetischer Defekt zugrunde liegt. Die genetischen Veränderungen werden zum Teil vererbt, zum Teil spontan erworben. Doch oft ist es schwierig, den Immundefekt einer einzigen Genveränderung zuzuordnen, da so eine Genveränderung nicht bei allen Menschen zum Ausbruch der Krankheit führt. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Forschenden des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun eine umfassende Genomanalyse von PID-Erkrankten vorgelegt, die neue Erkenntnisse über mit PID zusammenhängende genetische Veränderungen liefert. Die neuen Erkenntnisse veröffentlichte das Team um Forschende der Cambridge University am heutigen Mittwoch in Nature.
In der Arbeit konnten die Forschenden durch die detaillierte Analyse kompletter Genome von Erkrankten eine Vielzahl seltener Genveränderungen aus vorangegangenen Studien an PID bestätigen und weitere Gene identifizieren, die bei Erkrankten im Vergleich zu Gesunden verändert sind. Des Weiteren wurden nun auch Veränderungen des Erbguts in sogenannten genregulatorischen Bereichen identifiziert, die zur Krankheitsentstehung beitragen. Diese Bereiche kodieren nicht wie die eigentlichen Gene für Proteine, sondern regulieren die Übersetzung der Gene in Proteine. Der beobachtete Einfluss von Veränderungen in den genregulatorischen Bereichen liefert eine Erklärung dafür, warum die Krankheit nicht bei allen Menschen ausbricht, die bekannte, eigentlich krankheitsverursachende Genveränderungen aufweisen. Die neu-identifizierten genetischen Muster von Genveränderungen, die PID verursachen, sind die Grundlage für eine bessere genetische Diagnose von PID in Zukunft. „So umfassend und in so einer Analysetiefe wie in dieser Arbeit ist diese diverse Erkrankung bisher noch nicht untersucht worden“, erklärt Ko-Autor Professor David Ellinghaus, Wissenschaftler am IKMB und Mitglied des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI). „Damit ist ein wichtiger Schritt für ein genaueres Verständnis der primären Immundefekte getan. Je genauer wir die genetischen Ursachen dieser Erkrankung kennen, desto besser und gezielter können PID-Erkrankte zukünftig diagnostiziert und behandelt werden“, so Ellinghaus weiter.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Anhand von Analysen des kompletten Genoms einzelner Erkrankter und ihrer direkten Verwandten haben die Forschenden im Detail untersucht, wie sich häufig vorkommende, bekannte Genvarianten zusammen mit seltenen Genvarianten auf das Immunsystem auswirken und gegenseitig beeinflussen. So haben sie beispielsweise das Genom eines Patienten analysiert, dessen Mutter eine seltene Genvariante trug, aber nicht an PID litt, stattdessen jedoch eine Autoimmunerkrankung hatte. Zusätzlich zu der seltenen Genvariante der Mutter hatte der PID-Patient vom Vater eine häufige Genvariante geerbt, die bisher mit rheumatoider Arthritis in Verbindung gebracht worden war. Der Bruder des untersuchten PID-Erkrankten hat dagegen nur diese häufige Genvariante vom Vater geerbt und zeigt keine PID-Symptome. Das gemeinsame Auftreten einer häufigen und einer seltenen Risikovariante hat vorrausichtlich zu der ausgeprägten Immunschwäche geführt. Dieses Beispiel verdeutlicht, warum die Ausprägung und Symptome der Erkrankung von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ausfallen und auch familiär unterschiedlich ausfallen können.
Ko-Autorin Dr. Eva Ellinghaus, Wissenschaftlerin am IKMB und Mitglied im Exzellenzcluster PMI, hatte bereits in einer vorangegangenen internationalen Forschungsarbeit gemeinsam mit weiteren PMI-Clustermitgliedern Patientinnen und Patienten mit CVID (common variable immunodeficiency, eine der häufigsten Erkrankungen aus der Gruppe der PID, genetisch untersucht. Die Daten wurden für die nun vorliegende Arbeit neu analysiert und lieferten dabei wichtige zusätzliche Erkenntnisse über die Genetik von PID. „Unsere Analyse war zu dem Zeitpunkt die größte genetische Untersuchung zu CVID. Wir haben mehr als 770 Erkrankte genetisch analysiert und ein neues Risikogen, genannt CLEC16A, für die Erkrankung identifiziert. In der aktuellen Studie haben wir festgestellt, das genetische Risikovarianten in CLEC16A das Risiko sowohl für PID als auch für Autoimmunität erhöhen“, sagt Dr. Eva Ellinghaus.
Auf Basis der neuen Forschungsergebnisse könnte es in Zukunft gelingen, mittels individueller Analysen der gesamten Erbinformationen bei einzelnen Patientinnen und Patientinnen bestimmte Genvariationen und -muster zu erkennen und so das Vorliegen einer PID-Erkrankung besser als bisher zu diagnostizieren. „Die vorliegende Arbeit ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer Präzisionsmedizin, also einer individualisierten Medizin, für primäre Immundefekte“, sagt Prof. David Ellinghaus. „Da diese Erkrankungen so divers sind in ihrer Ausprägung und gleichzeitig so selten sind, ist es umso wichtiger, dass jede Patientin und jeder Patient individuell betrachtet wird“, so Ellinghaus weiter.
Fotos stehen zum Download bereit:
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BU: Durch die detaillierte Analyse kompletter Genome von Menschen mit einem primären Immundefekt (PID) konnte das Forschungsteam eine Vielzahl seltener Genveränderungen aus vorangegangenen Studien bestätigen und weitere Gene identifizieren, die bei Erkrankten im Vergleich zu Gesunden verändert sind.
© Oliver Franke, IKMB Uni Kiel
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BU: Professor David Ellinghaus, Nachwuchsgruppenleiter Biomedizinische Informatik am Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB), CAU und UKSH, und Mitglied des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).
© privat
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BU: Dr. Eva Ellinghaus, Wissenschaftlerin am Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB), CAU und UKSH, und Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).
© privat
Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum).
Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.
Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen
Wissenschaftliche Geschäftsstelle, Leitung: Dr. habil. Susanne Holstein
Postanschrift: Christian-Albrechts-Platz 4, D-24118 Kiel
Telefon: (0431) 880-4850, Telefax: (0431) 880-4894
Twitter: PMI @medinflame
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. David Ellinghaus
Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB), CAU und UKSH, Campus Kiel.
Tel.: 0431-500 15131
Mail: d.ellinghaus@ikmb.uni-kiel.de
Originalpublikation:
James E. D. Thaventhiran et al.: Whole genome sequencing of a sporadic primary immunodeficiency cohort. Nature (2020). DOI 10.1038/s41586-020-2265-1
Weitere Informationen:
https://www.precisionmedicine.de/de/06-pid-charakterisierung-nature Link zur Meldung
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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