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06.11.2023 17:35
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wichtige Erkenntnis für die Therapie der Alzheimer Demenz: APOE4 beschleunigt die Entstehung der Krankheit
Etwa die Hälfte aller Patientinnen und Patienten mit der Alzheimer-Demenz trägt die problematische e4-Variante des Apolipoprotein-Gens im Erbgut. Wie genau diese Genvariante das Fortschreiten des Erkrankungsprozesses beeinflusst, hat ein Team von Forschenden des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums unter Leitung von Dr. Nicolai Franzmeier erforscht. „Unser Befund könnte Auswirkungen auf die zeitliche Planung neuer Anti-Amyloid-Therapien haben, die wahrscheinlich bald auch in Europa zugelassen werden“, sagt Anna Mary Steward, die Erstautorin der neuen Publikation, die jetzt im renommierten Fachjournal „JAMA Neurology“ erscheint.
Die Alzheimer-Krankheit (AK) zählt zu den häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems und ist die Hauptursache für Demenz im Alter. Ihre Kennzeichen: Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Sprachstörungen, Störungen des Denk- und Urteilsvermögens sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Sie machen die Bewältigung des Alltagslebens immer schwieriger.
Für die Entstehung der Erkrankung wesentlich ist zunächst die Verklumpung von Amyloid-Eiweißen im Gehirn, die zeitlich verzögert zur Entstehung von fehlgefalteten Tau-Eiweißen führen. Im Zuge der amyloid-assoziierten Entstehung und Ausbreitung der Tau-Ablagerungen werden schließlich die Nervenzellen und die Kontaktstellen zwischen den Neuronen, die Synapsen, immer weiter zerstört, was letztlich zur Demenz führt. „Die zeitliche Verzögerung, mit der Amyloid die Tau-Ausbreitung anstößt, variiert aber von Mensch zu Mensch“, sagt Dr. Nicolai Franzmeier vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums.
Die Forschenden haben fast 370 Patient:innen, Durchschnittsalter 70plus, näher beleuchtet. Sie wussten dabei genau, wer schon welche kognitiven Einschränkungen hatte und wer nicht – und wer die APOE-e4-Variante in den Genen trägt. Über einen Zeitraum von rund zwei Jahren wurden die Probanden immer wieder mit ausgefeilten bildgebenden Verfahren (Tau- und Amyloid-PET) untersucht. Diese Untersuchungen können dabei die Ausbreitung der krankhaften Amyloid- und Tau-Eiweiße im Gehirn erfassen. Über die Zeit lässt sich so ermitteln, wie rasch die Krankheit fortschreitet.
Ergebnis: Bei Patient:innen mit der e4-Risikovariante im APOE-Gen entwickelt sich die Kaskade der Erkrankung offenbar schneller. „Weniger Amyloid im Gehirn ist notwendig, um die Tau-Ausbreitung auszulösen“, sagt Franzmeier. Das heißt: Bei Patient:innen mit der e4-Risikovariante scheint das Amyloid den fatalen Tau-Prozess früher zu triggern als bei Patient:innen ohne die e4-Risikovariante.
Nun ist es so, dass vermutlich bald auch in Europa neue Medikamente zugelassen werden, die das klinische Fortschreiten der Erkrankung leicht verzögern können, weil sie Amyloid-Proteine aus dem Gehirn entfernen. „Und da sagen die Daten unserer Studie, dass Patient:innen mit e4 vermutlich früher mit diesen Medikamenten behandelt werden müssten, um die Ausbreitung von Tau und damit die Entstehung von Symptomen zu bremsen“, erklärt Anna Mary Steward. Dafür spricht, dass die Anti-Amyloid Medikamente in der klinischen Erprobungsphase bei Patient:innen mit e4 eine geringere klinische Wirksamkeit zeigen, so Steward: „Sie verlangsamen den Abbau der Hirnleistung lange nicht so gut, obwohl das Amyloid-Protein aus dem Gehirn weggeräumt wird, weil wahrscheinlich der nächste entscheidende Schritt im Krankheitsprozess mit Tau früher begonnen hat.“
Die Münchner Mediziner:innen sagen, dass sich diese Hypothese mit einer spezifischen klinischen Studie erproben ließe. Franzmeier: „Der Zeitpunkt der Intervention sollte bei ApoE4-Trägern in der Alzheimer-Behandlung überdacht werden, um möglicherweise die Ausbreitung von Tau zu verlangsamen und den kognitiven Verfall abzumildern. Angesichts der Tatsache, dass 40 bis 60 Prozent der sporadischen Alzheimer-Patienten die e4-Variante tragen, ist dies für die Zukunft der Anti-Amyloid-Therapien von entscheidender Bedeutung.”
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Nicolai Franzmeier
Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD)
LMU Klinikum München
Campus Großhadern
Tel: +49 89 4400- 46162
E-Mail: nicolai.franzmeier@med.uni-muenchen.de
Originalpublikation:
ApoE4 and Connectivity-Mediated Spreading of Tau Pathology at Lower Amyloid Levels
Anna Steward, Davina Biel; Anna Dewenter; Sebastian Roemer; Fabian Wagner; Amir Dehsarvi; Saima Rathore; Diana Otero Svaldi; Ixavier Higgins; Matthias Brendel; Martin Dichgans; Sergey Shcherbinin; Michael Ewers; Nicolai Franzmeier
JAMA Neurol., 2023
doi:10.1001/jamaneurol.2023.4038
https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/article-abstract/2811627
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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