12.03.2020 15:55
Zentraler Mechanismus der Tumorkontrolle entdeckt
Die Immunkontrolle von Tumoren beruht auf der Tumorzerstörung über Zytolyse oder Apoptose. Dennoch wachsen Tumoren oft unkontrolliert, auch bei einer zunächst wirksamen Immunantwort. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Dr. Martin Röcken von der Universitäts-Hautklinik Tübingen haben jetzt erkannt, dass eine effektive Tumorimmunkontrolle dringend noch einen zweiten, bisher nicht erkannten Mechanismus benötigt: die Induktion eines stabilen Wachstumsarrests in jenen Tumorzellen, die durch die Immunantwort nicht zerstört werden.
Die Induktion des Wachstumsarrests erfolgt über eine Interferon-abhängige Induktion eines stabilen Zellzyklusarrests in den Tumorzellen, der auch Seneszenz genannt wird. Ist dieser Signalweg empfindlich gestört, kann eine Immunantwort weder bei experimentellen Tumoren noch beim metastasierten schwarzen Hautkrebs (Melanomen) des Menschen das Tumorwachstum wirksam verhindern. Aktuell wurde die Forschungsarbeit im Fachjournal Nature Communications publiziert (1).
Zytotoxische Immunreaktionen können Tumoren zerstören. Die Knochenmark-transplantation und die T Lymphozytentransfusion bei bösartigen hämatologischen Erkrankungen zeigten exemplarisch, dass eine Tumorkontrolle durch zytotoxische T Lymphozyten (CTL) und natürliche Killerzellen (NK) prinzipiell auch beim Menschen möglich ist. Allerdings erwiesen sich solide Tumoren als weitgehend resistent gegen Immuntherapien, obgleich Therapieerfolge bei einzelnen Tumorpatienten immer wieder beobachtet wurden. Dies änderte sich mit der Einführung der Immun-Checkpoint-Blockade (ICB). Die ICB induziert insbesondere beim metastasierten Melanom und beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom sowie einigen anderen Tumoren bei einer signifikanten Anzahl von Patienten eine Tumorregression und langfristige Tumorkontrolle (2).
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Mittels Antikörpern, die eine ICB bewirken, konnten erstmalig bei zahlreichen Patienten zytotoxische T Lymphozyten und natürliche Killerzellen in vivo so reaktiviert werden, dass Tumorzellen und ganze Tumormetastasen weitgehend oder ganz zerstört werden. Dies geht bei knapp der Hälfte der Patientinnen und Patienten mit einer Verbesserung des klinischen Verlaufs der Tumorerkrankung und einem verlängerten Überleben einher (1, 2).
Wichtig sind dabei zwei Aspekte:
A) Die Therapie funktioniert nur, wenn Tumorzellen durch Lyse oder Apoptose zerstört werden.
B) Die Therapie wirkt trotz wirksamer Zytotoxizität bei weniger als der Hälfte aller Patienten.
Warum wirkt die Immun-Checkpoint-Blockade nur bei maximal der Hälfte aller Patienten?
Hier setzt das Tübinger Forschungsprojekt an und untersucht, unter welchen Bedingungen Tumoren auch dann wachsen, wenn eine Tumortherapie zur zytotoxischen Zerstörung der Tumorzellen führt.
In 2013 zeigte die Arbeitsgruppe erstmalig, dass Interferon-γ-produzierende T Helfer Zellen in der Lage sind, maligne Tumoren zu kontrollieren, indem sie in den Tumorzellen einen stabilen Wachstumsarrest, der auch Seneszenz genannt wird, induzieren (3).
In der aktuellen, von der Wilhelm Sander-Stiftung unterstützten Arbeit (1), zeigt die Arbeitsgruppe erst experimentell beim Tier und anschließend beim Menschen, dass eine Tumorimmuntherapie neben der Zytotoxizität dringend noch einen zweiten Mechanismus benötigt: Eine Tumorkontrolle ist nur dann erfolgreich, wenn die infiltrierenden Immunzellen die Tumoren nicht nur zerstören, sondern die überlebenden Tumorzellen auch in einen stabilen Wachstumsarrest überführen. Selbst mit den wirksamsten Immun-Checkpoint-Inhibitoren in Kombination wirkt eine Tumorimmuntherapie nur dann, wenn in den Tumoren die Gene der Interferon-γ-Signalkaskade einschließlich der Interferon-γ-regulierten Zellzyklusbremsen, wie CDKN2A oder CDKN1A, funktionsfähig sind.
Fehlt das Interferon-γ Signal, dann können zwar die Tumoren weiter durch zytotoxische Immunantworten zerstört werden, aber sie können durch die Interferon-γ-Signalkaskade nicht mehr zum Stillstand gebracht werden. Die natürlichen Zellzyklusbremsen CDKN2A und CDKN1A werden nicht mehr durch Interferon-γ aktiviert und die Tumoren wachsen unkontrolliert, trotz einer regelgerechten Aktivierung der zytotoxischen Immunantworten. Das unkontrollierte Tumorwachstum ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf die fehlende Aktivierung der Zellzyklusbremsen zurückzuführen: fehlen nämlich den Tumoren nicht das Interferon-Signal sondern Interferon-aktivierte Zell-Zyklus-Bremsen wie CDKN2A- oder CDKN1A, wachsen die Tumoren unkontrolliert, selbst wenn sie durch zytotoxische Immunantworten zerstört werden.
Somit konnten die Tübinger Wissenschaftler erstmalig beweisen, dass
A) in vivo Immunantworten über Interferon-γ-abhängige Signale in Tumoren molekulare Bremsen aktivieren und somit diese Tumoren anhalten können;
B) in vivo zytotoxische Immunantworten oftmals nicht ausreichen, um die Tumoren komplett zu zerstören, sondern zusätzlich die Induktion eines Wachstumsarrests, die Seneszenzinduktion, als zweiten Mechanismus benötigen, um verbliebene Tumorzellen wirksam kontrollieren zu können.
Davon ausgehend untersuchten die Forscher Melanommetastasen bei Menschen, die unter einer Immuntherapie entweder unkontrolliert schnell weiter wuchsen oder sich zurück bildeten. Diese Analyse war wichtig, da eine vollständige Tumorelimination auch unter der jüngst entwickelten Immun-Checkpoint-Blockade selten ist; eher kommt es zur Größenreduktion und einem Wachstumsarrest der Metastasen. Bei der Untersuchung der Wachstums-fördernden und Wachstums-anhaltenden Zellzyklusregulatoren in diesen Metastasen, zeigte sich in den Melanommetastasen des Menschen das gleiche Phänomen wie bei den experimentellen Tumoren der Mäuse: Tumoren mit Genmutationen, die verhindern, dass Interferon-γ-abhängige Signale in Tumoren die Zellzyklusbremsen adäquat aktivieren, sind resistent gegenüber einer Tumorimmuntherapie, während in Metastasen, die sich zurückbildeten, ein schwerer Defekt im Bereich der Interferon-γ-abhängigen Zellzyklus-regulatoren äußerst selten auftrat.
Die Daten zeigen damit erstmalig, dass die Aktivierung Tumor-intrinsischer, Seneszenz-induzierender Zellzyklusregulatoren dringend benötigt wird, um das Wachstum jener Tumorzellen stabil zu verhindern, die durch die zytotoxische Immunantwort nicht eliminiert werden.
Abbildung (Quelle Universitäts-Hautklinik Tübingen):
Oben: Melanom. Unten: Die Immuntherapie von metastasierten Tumoren benötigt neben der Tumorzerstörung, die Induktion eines Interferon-abhängigen Wachstumsstillstands, indem Interferon entweder die Wachstumsbremsen (rot) aktiviert oder die Wachstumsbeschleuniger (grün) hemmt.
Titel der Publikation in Nature Communications:
(1) Cancer immune control needs senescence induction by interferon-dependent cell cycle regulator pathways in tumours; https://doi.org/10.1038/s41467-020-14987-6
Ellen Brenner, Barbara F. Schörg ,Fatima Ahmetlić, Thomas Wieder, Franz Joachim Hilke, Nadine Simon, Christopher Schroeder, German Demidov, Tanja Riedel, Birgit Fehrenbacher, Martin Schaller, Andrea Forschner, Thomas Eigentler, Heike Niessne, Tobias Sinnberg, Katharina Sonja Böhm, Nadine Hömberg, Heidi Braumüller, Daniel Dauch, Stefan Zwirner, Lars Zender, Dominik Sonanini, Albert Geishauser, Jürgen Bauer, Martin Eichner, Katja Jarick, Andreas Beilhack, Saskia Biskup, Dennis Döcker, Dirk Schadendorf, Leticia Quintanilla-Martinez, Bernd Pichler, Ralph Mocikat, Manfred Kneilling & Martin Röcken
Weitere Literaturangaben
(2) Wieder, T., Eigentler, T., Brenner, E. and Röcken, M. (2018) Immune checkpoint blockade therapy. J Allergy Clin. Immunol. 142:1403-1414.
doi: 10.1016/j.jaci.2018.02.042
(3) Braumüller, H., Wieder, T., Brenner, E., Aßmann, S., Hahn, M., Alkhaled, M., Schilbach, K., Essmann, F., Kneilling, M., Griessinger, C., Ranta, F., Ullrich, S., Mocikat, R., Braungart, K., Mehra, T., Fehrenbacher, B., Berdel, J., Niessner, H., Meier, F., van den Broek, M., Häring, H.-U., Handgretinger, R., Quintanilla-Martinez, L., Fend, F., Pesic, M., Bauer, J., Zender, L., Schaller, M., Schulze-Osthoff, K., and Röcken, M. (2013) T-helper-1-cell cytokines drive cancer into senescence. Nature 494: 361-365.
doi: 10.1038/nature11824
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitäts-Hautklinik
Professor Dr. Martin Röcken, Ärztlicher Direktor
Liebenmeisterstraße 25, 72076 Tübingen
Tel. 07071 29-84574
E-Mail martin.roecken@med.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Cancer immune control needs senescence induction by interferon-dependent cell cycle regulator pathways in tumours; https://doi.org/10.1038/s41467-020-14987-6
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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