17.09.2019 15:04
Abschlussbericht zu Biologika bei Rheuma: Evidenzlage deutlich verbessert – noch immer fehlen aber Direktvergleiche
Abschlussbericht zu Biologika bei Rheuma: Evidenzlage deutlich verbessert – noch immer fehlen aber Direktvergleiche
Biologika werden immer noch zu kurz und zu oft gegen Placebos getestet, was Vergleiche untereinander erschwert. Dennoch gibt es, auch dank Zusatzangaben der Hersteller, neue Erkenntnisse.
Nur wenige Unterschiede zwischen den Wirkstoffen nachweisbar / Operationalisierung von Endpunkten kann Ergebnisse beeinflussen
Im Sommer 2018 legte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) seinen Vorbericht zur Nutzenbewertung von biotechnologisch hergestellten Wirkstoffen – sogenannten Biologika – in der Rheuma-Therapie vor und bat um Stellungnahmen. Jetzt wurde der umfangreiche Abschlussbericht veröffentlicht. Danach fehlen nach wie vor Langzeituntersuchungen und vor allem Studien, in denen mindestens zwei der neun zu bewertenden Wirkstoffe gegeneinander getestet wurden – und das, obwohl Biologika seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten auf dem Markt sind und an potenziellen Studienteilnehmern kein Mangel herrscht. Dennoch gibt es wichtige neue Erkenntnisse, nicht zuletzt, weil Hersteller dem IQWiG auf Anfrage weitere Auswertungen älterer Studien übermittelt haben.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wirkstoffe aus Zellkulturen
Die rheumatoide Arthritis ist eine Autoimmunerkrankung und die häufigste Form der chronisch entzündlichen Gelenkerkrankungen. Die Patientinnen und Patienten leiden unter Schmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung, depressiven Verstimmungen, körperlichen Funktionseinschränkungen und einem Verlust von Lebensqualität, Selbstständigkeit und Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben. Die Behandlung zielt vorrangig darauf ab, sie weitgehend von Krankheitssymptomen zu befreien und die Gelenkzerstörung zu verhindern (Remission). Wo dies nicht möglich ist, soll zumindest die Krankheitsaktivität verringert werden.
Zur Behandlung werden unter anderem biotechnologisch hergestellte erkrankungsmodifizierende Antirheumatika eingesetzt, sogenannte Biologika. Sie werden aus Zellkulturen gewonnen und greifen an verschiedenen Stellen des Entzündungsprozesses an. Biologika sind unter bestimmten Bedingungen sowohl in der Erstlinientherapie als auch für weitere Therapielinien zugelassen, und zwar teils in Kombination mit dem Arzneimittel Methotrexat und teils als Monotherapie. Daraus ergeben sich sieben Therapiesituationen, für die das IQWiG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die Vor- und Nachteile der neun Substanzen untersuchen sollte.
Auch nach fast zwei Jahrzehnten kaum Vergleichsstudien
Nach wie vor fehlen Langzeituntersuchungen und vor allem Studien, in denen mindestens zwei der neun zu bewertenden Wirkstoffe gegeneinander getestet wurden – und das, obwohl Biologika seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten auf dem Markt sind und an potenziellen Studienteilnehmern kein Mangel herrscht.
Zur Untersuchung der Vor- und Nachteile der Biologika bieten sich sogenannte Netzwerk-Metaanalysen an, in denen man klinisch und methodisch hinreichend ähnliche Paarvergleiche zu einem Netzwerk zusammenfügt, das im Idealfall den Vergleich eines jeden Wirkstoffs mit jedem anderen ermöglicht.
Wenig Nachweise für Unterschiede zwischen den Biologika
In der Erstlinientherapie in Kombination mit Methotrexat gibt es beim primären Therapieziel, der klinischen Remission, keinen Anhaltspunkt für einen höheren oder geringeren Nutzen eines Biologikums gegenüber den anderen. Eine niedrige Krankheitsaktivität war mit Adalimumab und mit Etanercept besser zu erreichen als mit Certolizumab Pegol oder Tocilizumab, woraus sich jeweils ein Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen ergibt. Weitere Unterschiede zeigten sich nicht.
Nach dem Versagen von Methotrexat allein können die Patienten zusätzlich ein Biologikum erhalten. In dieser Therapiesituation zeigte sich für alle Wirkstoffe mit Ausnahme von Etanercept ein höherer Nutzen im Vergleich zu Anakinra. Für Certolizumab Pegol gibt es einen Anhaltspunkt für einen höheren Schaden wegen mehr Nebenwirkungen im Vergleich zu allen anderen Wirkstoffen. Darüber hinaus zeigten sich unter Golimumab und Tocilizumab mehr Nebenwirkungen als unter Infliximab; unter Tocilizumab brachen außerdem mehr Patientinnen und Patienten die Therapie wegen Nebenwirkungen ab als unter Abatacept. Diese Ergebnisse wurden jeweils als Anhaltspunkt für einen höheren Schaden gewertet.
Für die Kombinationstherapie nach Biologikum-Versagen hat die Übermittlung von Daten zu den passenden Teilpopulationen Aussagen zu einigen Biologika und Endpunkten ermöglicht. Auch zur Monotherapie nach Methotrexat-Unverträglichkeit konnten nun – erstmals überhaupt – Ergebnisse zu Endpunkten ermittelt werden, die in den Studienunterlagen ursprünglich nicht enthalten waren.
Für die drei verbleibenden Therapiesituationen der Nutzenbewertung war wegen der unzureichenden Datenlage kein Fazit möglich.
Neue Auswertungen verbesserten Grundlage für Netzwerk-Metaanalysen
Neben den Ergebnissen zum Nutzen und Schaden der Biologika zeigt diese Bewertung exemplarisch, wie auch die Daten älterer Studien für neue Methoden wie Netzwerk-Metaanalysen genutzt werden können. Diese Methode kann nur eingesetzt werden, wenn die Patientenpopulationen, die in die Analyse eingehen, hinreichend ähnlich sind. Das wurde hier für viele Studien erreicht, indem die Hersteller auf der Basis alter Studiendaten neue Analysen der relevanten Patientenpopulationen zur Verfügung stellten. Weitere Reanalysen der alten Daten betrafen die Nutzen-Endpunkte klinische Remission und niedrige Krankheitsaktivität: Auf Basis der aktuellen Definitionen dieser Endpunkte berechneten die Hersteller Ergebnisse für diejenigen Studien neu, in denen ältere Definitionen verwendet worden waren. Diese wichtigen Informationen stehen nun erstmals auch für zukünftige Bewertungen von Arzneimitteln zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zur Verfügung.
Operationalisierung der Endpunkte kann Nutzen-Aussagen beeinflussen
Beispielsweise fielen die Ergebnisse für den Wirkstoff Tocilizumab unter Verwendung einer aktuellen Definition, die keine Entzündungsparameter einbezieht, durch die Bank weniger positiv aus als unter Verwendung der älteren Operationalisierung, in die Entzündungsparameter eingehen. Diese Unterschiede in den Ergebnissen sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass Tocilizumab im Vergleich mit anderen Biologika verstärkt auf die Entzündungsparameter wirkt. Erst die Verwendung der aktuellen Operationalisierung ohne Entzündungsparameter ermöglicht einen fairen Vergleich der Biologika untereinander.
Diskussion über Voraussetzungen für sinnvolle Netzwerk-Metaanalysen
Aus einem allzu dünn besetzten Netzwerk lassen sich keine zuverlässigen Aussagen über die Fragestellung des Auftrags ableiten. Das IQWiG hatte sich für eine 50-Prozent-Schwelle entschieden: Netzwerk-Metaanalysen wurden nur zu Therapiesituationen berechnet, für die Daten zu mindestens der Hälfte der jeweils zugelassen Biologika vorlagen. Daher wurden einige kleinere Studienpools, einzelne Endpunkte oder seltener vorgenommene Operationalisierungen von Endpunkten nicht untersucht.
Im Stellungnahmeverfahren haben mehrere Teilnehmer diesen Schwellenwert kritisiert. In der Diskussion war aber keine homogene Argumentationsrichtung erkennbar. Es gab keinen adäquaten alternativen Vorschlag, der dem Ziel des Auftrags an das IQWiG, nämlich dem Vergleich der Biologika untereinander, annähernd gerecht geworden wäre.
Originalpublikation:
https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/arzneimittelbewertung/2016/…
Weitere Informationen:
https://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/2019/abschlussbericht-zu-biolo…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch