27.01.2020 14:47
Bioreaktor Kuh – Antikörper aus der Kuh ersetzen Antibiotika
Komplexe Lebensmittel wie Milch enthalten zahlreiche Einzelkomponenten, die für medizinische, ernährungstherapeutische oder technologische Zwecke genutzt werden können und damit die Wertschöpfung im Vergleich zum herkömmlichen Produkt signifikant steigern. So können mithilfe der sogenannten Milchproteinfraktionierung, einer speziellen Membrantechnik, aus der Milch gezielt geimpfter Kühe Antikörper gewonnen werden, die im Falle von Antibiotika-Resistenzen Anwendung finden. Antikörper spielen bei der Infektionsabwehr eine zentrale Rolle. Sie erkennen und markieren in den Körper eingedrungene Krankheitserreger und aktivieren daraufhin das Immunsystem.
Im Rahmen eines Projekts der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) haben Dr. Hans-Jürgen Heidebrecht und Prof. Dr. Ulrich Kulozik vom Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) an der Technischen Universität (TU) München diese Fraktionierungsmethode jetzt wesentlich verbessert. Mithilfe der von ihnen entwickelten neuartigen Mikrofiltrationsmembranen ist es möglich, spezifische Antikörper aus der Milch abzutrennen und soweit anzureichern, dass sie unter anderem als Ersatz für Antibiotika eingesetzt werden können. Das Projekt war im November 2019 unter den drei Finalisten bei der Wahl zum Otto von Guericke-Preis der AiF. Der Preis wird einmal im Jahr für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der IGF vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. Die vorwettbewerbliche IGF wird im Innovationsnetzwerk der AiF und ihrer 100 Forschungsvereinigungen organisiert und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit öffentlichen Mitteln gefördert.
Medikamente auf Milchbasis
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Durch die Ergebnisse des IGF-Projekts, das vom AiF-Mitglied Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) koordiniert wurde, ist der gesamte Prozess der Milchproteinfraktionierung deutlich effizienter geworden und eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten. So kann dieser innovative Ansatz perspektivisch zur Entwicklung von Medikamenten auf Milchbasis überall dort eingesetzt werden, wo es ein empfindliches Mikrobiom-Gleichgewicht gibt und dieses Gleichgewicht nicht mit unspezifischen Antibiotika zerstört werden soll.
Deutliche Verbesserung
„Bei der Mikrofiltration wird Milch mit Druck durch Membranen gepresst und dadurch in verschiedene Komponenten unterteilt“, erklärt Kulozik das Verfahren. „Die Methode war nicht neu. Damit aber die Antikörper im Filtrat landen und zudem von hoher Funktionalität und Reinheit waren, mussten wir die Membranen deutlich verbessern. Das ist uns gelungen“, freut sich der Forscher. Heidebrecht beschreibt die Gewinnung der Antikörper. „Im Prinzip setzen wir die Kuh als Bioreaktor ein und machen uns ihr Immunsystem zunutze. Indem wir die Kuh mit inaktiven menschlichen Krankheitserregern immunisieren, erzeugen wir ganz bestimmte Antikörper in der Kuhmilch. Die reichern wir dann entsprechend an und nutzen sie für die orale passive Immunisierung von Menschen.“ In einer Pilotanwendung wurden auf diese Art schon Antikörper gegen Krankenhauskeime erzeugt. Weitere mögliche Anwendungen sind die Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen, bakteriellen Hauterkrankungen oder Karies. Derzeit ist eine große Studie in Vorbereitung, um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen.
Hohe wirtschaftliche Relevanz
Mittlerweile sind die neuen Membranen auch kommerziell verfügbar. Für Dr. Wolfgang Holzmüller von der Allgäuer Milei GmbH bedeuten diese einen massiven Technologievorsprung für das Unternehmen. „Die beiden Wissenschaftler haben eine Schlüsseltechnologie weiterentwickelt, die wegweisend für die Milchindustrie ist. Die Projektergebnisse eröffnen uns völlig neue Anwendungsgebiete“, betont Holzmüller. Die Milei GmbH war als einer von 19 Industriepartnern am Projektbegleitenden Ausschuss des IGF-Projekts beteiligt.
Dr. Volker Häusser, Geschäftsführer des FEI, weist auf die hohe Zahl der beteiligten Industriepartner bei diesem Projekt hin: „19 Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen haben dieses Projekt begleitet. Allein diese Zahl zeigt, wie relevant das Projektthema für die mittelständische Wirtschaft ist.“ Die Ergebnisse des Projekts werden perspektivisch gesehen milliardenschwere Märkte beeinflussen, ist sich Häusser sicher. „Vor allem aber werden die Ergebnisse positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben“, so sein Resümee.
Einen vierminütigen Film zum Projekt finden Sie in der AiF-Mediathek unter www.aif.de.
Über die AiF
Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. ist das Forschungsnetzwerk für den deutschen Mittelstand. Sie fördert Forschung, Transfer und Innovation. Als Dachverband von 101 gemeinnützigen Forschungsvereinigungen mit mehr als 50.000 eingebundenen Unternehmen und 1.200 beteiligten Forschungseinrichtungen leistet sie einen wichtigen Beitrag, die Volkswirtschaft Deutschlands in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Die AiF als gemeinnütziger Verein organisiert die Industrielle Gemeinschaftsforschung und betreut über die AiF Projekt GmbH und die AiF F∙T∙K GmbH, ihre einhundertprozentigen Tochtergesellschaften, weitere Förderprogramme der öffentlichen Hand. Im Jahr 2019 setzte die AiF rund 475 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln ein. Seit ihrer Gründung im Jahr 1954 lenkte sie rund 12,5 Milliarden Euro öffentliche Fördermittel in neue Entwicklungen und Innovationen und brachte mehr als 238.000 Forschungsprojekte auf den Weg.
Pressekontakt
AiF e.V., Evelyn Bargs-Stahl, presse@aif.de, Telefon: +49 221 37680 114
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ulrich Kulozik, Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung (ZIEL) an der Technischen Universität (TU) München,
E-Mail: ulrich.kulozik@tum.de, Telefon: +49 8161 71-4205
Dr. Volker Häusser, Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI),
E-Mail: fei@fei-bonn.de, Telefon: +49 228 3079699- 0
Weitere Informationen:
http://www.aif.de/videos/2019/bioreaktor-kuh-antikoerper-aus-der-kuhmilch-ersetz… Film zum Projekt
http://www.aif.de Website der AiF
http://www.ziel.tum.de Website des ZIEL an der TUM
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch