Lipid-Kinase Klasse II PI3K: Struktur von neuem Arzneimitteltarget aufgeklärt



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07.03.2022 17:31

Lipid-Kinase Klasse II PI3K: Struktur von neuem Arzneimitteltarget aufgeklärt

Die Phosphoinosit 3-Kinase, kurz PI3K, ist eine Gruppe von Lipid-Kinasen, die Schlüsselfunktionen im Körper, etwa bei der Zellteilung, ausüben. Während die Klasse I PI3-Kinase-α gut erforscht ist, ist über die Klasse II dieser Lipid-Kinase-Familie bisher wenig bekannt. Nun konnten Forscher vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) deren Struktur und Funktionsweise aufklären. Erste Resultate sind wegweisend für die Entwicklung neuartiger Blutplättchenhemmer. Zudem erhärtet sich der Verdacht, dass die Hemmung der Klasse II Kinase PI3KC2α die Angiogenese von Tumoren stoppen könnte. Die Arbeiten sind in „Nature Structural & Molecular Biology“ und “Science” erschienen.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Lipid-Kinasen gehören zu den vielversprechenden Targets neuer Arzneimittel-Klassen. Das liegt vor allem an der Klasse I PI3-Kinase-α, die bei der Entstehung von Krebs und Metastasen eine bedeutende Rolle spielt. In 30-40% aller Tumore ist dieses Enzym hyperaktiv, was zu unkontrolliertem Zellwachstum führt. Seit zwei Jahrzehnten wird diese gut erforschte Lipid-Kinase darum als Angriffspunkt für Krebsmedikamente genutzt.
Dagegen weiß man bislang nur wenig über das Schwester-Enzym, die Klasse II PI3-Kinase-α. Sie soll ebenfalls an zahlreichen biomedizinischen Vorgängen beteiligt sein, zum Beispiel an der Aggregation von Blutplättchen oder der Bildung neuer Blutgefäße, der sogenannten Angiogenese. Doch um Fehlfunktionen besser zu verstehen und medikamentös anzugehen, muss man wissen, wie diese Kinase im Detail aussieht und wie sie funktioniert.
Genau das ist Forschern vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) jetzt gelungen. Mit einer Kombination aus Röntgenkristallografie und Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Volker Haucke die Struktur der Klasse II PI3-Kinase-α (PI3KC2α) aufklären und zum ersten Mal den Aktivierungsmechanismus des Enzyms beschreiben. Dadurch ergeben sich nun völlig neue therapeutische Ansatzpunkte. Die Arbeit ist jetzt in „Nature Structural & Molecular Biology“ erschienen.

Hemmung der Kinaseaktivität könnte etlichen Patienten helfen
„Man kann davon ausgehen, dass die Hemmung der Kinaseaktivität in vielen biomedizinischen Anwendungen eine Rolle spielt, etwa dem Wachstum oder der Angiogenese von Tumoren“, erklärt Volker Haucke. „Und sie dürfte auch für die Hemmung der Blutplättchenaggregation wichtig sein.“
So weiß man, dass die Kinase benötigt wird, damit Blutplättchen einen Thrombus bilden. Interessant ist dabei, dass die Funktion der Kinase PI3KC2α strömungsabhängig ist, also abhängig vom Blutdruck. Würde man nun die Kinase medikamentös hemmen, würde die Plättchenaggregation vor allem im Fall eines Blutdruckanstiegs gestoppt. Die meisten „Blutverdünner“, die Patienten heute zur Vermeidung thromboembolischer Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen, wirken dagegen auch bei normalem Blutdruck, was fatale Nebenwirkungen wie Hirnblutungen haben kann. PI3KC2α-Kinase Inhibitoren hätten ein deutlich besseres pharmakologisches und biomedizinisches Profil als die bisherigen Blutplättchenhemmer, vermuten die FMP-Forscher.
Erste Experimente mit potenziellen Wirkstoffkandidaten zeigten auch schon, dass eine Hemmung der Kinase grundsätzlich möglich ist. Die Aufklärung der Struktur und des Aktivierungsmechanismus war dafür essentiell.

Voraussetzung für neue Medikamente geschaffen
Die Forschenden haben nämlich herausgefunden, wie die Bindetasche der Kinase beschaffen ist, die das Lipid und Adenosintriphosphat (ATP) als „zelluläre Währung“ bindet, um so die Übertragung einer Phosphatgruppe auf das Lipid zu ermöglichen. Außerdem wissen die Forscher nun, welche Art von “molekularer Gymnastik” die Kinase durchlaufen muss, um genau an der richtigen Stelle in der Zelle aktiviert zu werden.
„Diese Informationen sind die entscheidenden Voraussetzungen, um einen spezifischen Inhibitor zu entwickeln, der eben ausschließlich PI3KC2α hemmt und kein anderes verwandtes Enzym“, so Wen-Ting Lo, der Erstautor der Studie. Das Team um Volker Haucke und Wen-Ting Lo arbeitet bereits mit anderen Wissenschaftlern des Instituts an spezifischen Hemmstoffen, welche die ATP Bindetasche des Enzyms besetzen und somit die enzymatische Reaktion verhindern.

Kinase am letzten Stadium der Zellteilung beteiligt
Doch die FMP-Forscher haben noch mehr über PI3KC2α herausgefunden. Gemeinsam mit der Gruppe von Emilio Hirsch, Universität Turin, konnten die Forschenden zeigen, dass die Kinase auch am letzten Stadium der Zellteilung beteiligt ist, der sogenannten Zytokinese.
Ausgangspunkt der in „Science“ publizierten Arbeit waren Patienten, bei denen die Kinase aufgrund von Mutationen fehlt. Diese Personen leiden neben diversen Organdefekten an einer Linsentrübung, dem sogenannten Katarakt. An Mäusen und Zebrafischen konnte das Forscherteam aufzeigen, wie der Funktionsverlust des Enzyms zum „Grauen Star“ führt.
Bei der Zellteilung verdoppelt sich das Erbmaterial und wird anschließend auf die beiden Tochterzellen verteilt. Ein Schnitt durch die Zellmembran trennt schließlich die Tochterzellen voneinander. Doch wenn die Kinase fehlt, kommt es nicht zu diesem letzten Schnitt, weil ein entscheidendes Lipid, das nur von PI3KC2α hergestellt werden kann, fehlt. Die Epithelzellen der Augenlinse bleiben deshalb in der Zellteilung stehen. Damit ist nun geklärt, warum diese Patienten an einem Katarakt leiden. Der Fund hat aber noch eine weitere darüber hinausgehende Bedeutung: Die Erkenntnis, dass die Kinase eine maßgebliche Komponente der Zytokinese, also der Trennung der Tochterzellen, ist – dieser Mechanismus könnte auch für Tumore, die auf ständige Zellteilung angewiesen sind, von großer Bedeutung sein. Damit würden PI3KC2α Hemmstoffe möglicherweise auch neue Perspektiven in der Krebstherapie eröffnen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Professor Dr. Volker Haucke
Direktor am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Professor für Molekulare Pharmakologie an der Freien Universität Berlin
Mitglied des Exzellenzclusters NeuroCure
Robert-Rössle-Str.10
13125 Berlin, Campus Berlin-Buch
E-Mail: haucke@fmp-berlin.de
www.leibniz-fmp.de/haucke


Originalpublikation:

Lo, W.T., Zhang, Y., Vadas, O., Belabed, H., Roske, Y., Gulluni, F., De Santis, M.C., Vujicic Zagar, A., Stephanowitz, H., Hirsch, E., Liu, F., Daumke, O., Kudryashev, M., Haucke, V. (2022) Structural basis of PI3KC2a function. Nat Struct Mol Biol, 10.1038/s41594-022-00730-w

Gulluni, F., et al; PI(3,4)P2-mediated cytokinetic abscission prevents early senescence and cataract formation. Science 374 (6573):eabk0410


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW