27.11.2019 10:32
Medizin am Ende des Lebens: Behandlungen empfohlen
Bei der allgemeinen Bewertung von Nutzen und Kosten von medizinischen Behandlungen sollen Massnahmen am Lebensende und von Schwerkranken Vorrang erhalten. Zu diesen Empfehlungen kommt eine Studie des Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Stefan Felder von der Universität Basel in der Fachzeitschrift «Journal of Health Economics».
Gesundheit wird allgemein als ein wertvolles Gut angesehen.In allen Staaten nimmt der Wert von Gesundheit und Leben stärker zu als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt (BIP). Gestiegene Einkommen haben die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auf individueller Ebene wie auch die Bereitstellung durch nationale Gesundheitsdienste und gesetzliche Krankenversicherungen erhöht und damit massgeblich zu den steigenden Kosten beigetragen.
Kosten-Nutzen-Verhältnis eingefordert
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Eine Reihe von Ländern haben deshalb begonnen, den Zugang der Bevölkerung zu neuen medizinischen Behandlungen stärker zu regulieren; dafür wird ein hinreichendes Nutzen-Kosten-Verhältnis eingefordert. Dabei wird etwa diskutiert, welchem Umstand stärker Rechnung getragen werden sollte: der Schwere der Erkrankung von Patienten, die von einer neuen Behandlung profitieren, oder aber ihrer Sterblichkeit.
So werden in Grossbritannien Krebsmedikamente am Lebensende bezahlt, obwohl sie vergleichsweise teuer sind. Umgekehrt ist der dortige Gesundheitsdienst strenger bei der Kostenübernahme von medizinischen Behandlungen, bei denen die Sterblichkeit der Patienten geringer ist.
Zwei klassische Modelle
In einem allgemeinen theoretischen Modell zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen von medizinischen Behandlungen prüft Felder, ob sich die britische Gesundheitsstrategie rechtfertigen lässt, Personengruppen mit hoher Sterblichkeit zu bevorzugen. Er untersucht die Regulierungsentscheidung im Rahmen zweier klassischer Modelle der medizinischen Entscheidungstheorie unter Unsicherheit: nämlich dem diagnostischen Risiko (wenn ungewiss ist, ob die Krankheit tatsächlich vorliegt) und dem therapeutischen Risiko (wenn nicht sicher ist, dass die Behandlung immer erfolgreich ist).
Dabei zeigt sich, dass die Bereitschaft, eine Krankheit zu behandeln – oder die Behandlungskosten über eine gesetzliche Krankenversicherung abzusichern –, mit steigender Ausgangssterblichkeit zunehmen sollte. Dies gilt auch, wenn der Gesundheitszustand der betroffenen Patientengruppe schlecht ist, allerdings nur unter dem therapeutischen Risiko. Unter dem diagnostischen Risiko lässt sich dagegen für diesen Fall keine eindeutige Empfehlung ableiten. Allgemein gilt weiterhin, dass die Neigung, Krankheiten zu behandeln, mit steigendem Einkommen der Bevölkerung zunehmen sollte.
Höherer Wert des Lebens
Felder kommt zum Schluss, dass Entscheide zugunsten von medizinischen Behandlungen bei der Wahrscheinlichkeit eines nahen Todes ansteigen sollen, da dann der Wert des Lebens erhöht ist. Etwas eingeschränkt gilt dies auch bei sehr schweren Erkrankungen. Analog zu Grossbritannien wird in Norwegen und den Niederlanden über neue Zugangsregelungen für medizinische Behandlungen debattiert. «Die Studie bietet nun eine konzeptionelle Analyse, um eine solche Debatte zu strukturieren und zu informieren, wie die Regelungen je nach Umstände variiert werden sollten», kommentiert Felder.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Felder, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Basel, Tel. +41 61 207 32 26, E-Mail: stefan.felder@unibas.ch
Originalpublikation:
Stefan Felder
The Treatment Decision under Uncertainty: The Effects of Health, Wealth and the Probability of Death
Journal of Health Economics (2019), doi: 10.1016/j.jhealeco.2019.102253
Weitere Informationen:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167629618311330
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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