12.01.2022 11:47
Menschen mit Hörprothese orientieren sich an Klangfarbe
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben im Rahmen einer umfangreichen Studie festgestellt, dass die Wahrnehmung von sogenannten stimmlichen Emotionen bei Trägerinnen und Trägern von Cochlea-Implantaten deutlich vermindert ist. Über ihre Forschungsergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Ear and Hearing“.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Cochlea-Implantate können Menschen mit Hörverminderung dabei helfen, akustische Reize wahrzunehmen. Anders als Hörgeräte, die meist nur die Lautstärke von Geräuschen verstärken, regen die elektronischen Prothesen direkt den Hörnerv an. Doch lassen sich mit diesen Implantaten auch „Zwischentöne“ in der Kommunikation registrieren? Denn bei der Wahrnehmung von gesprochenen Inhalten, etwa wenn man sich mit einem Menschen unterhält, geht es häufig nicht nur darum, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind dieser Frage nachgegangen und haben nun im Rahmen einer umfangreichen Studie festgestellt, dass die Wahrnehmung von sogenannten stimmlichen Emotionen bei Trägerinnen und Trägern von Cochlea-Implantaten deutlich vermindert ist. Über ihre Forschungsergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Ear and Hearing“.
Ängstlich oder wütend?
„Die Forschung im Zusammenhang mit Cochlea-Implantaten hat sich bisher vor allem auf das Sprachverständnis konzentriert“, sagt Celina von Eiff, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Thema beschäftigt und die Studie an der Universität Jena geleitet hat. „Wir haben uns deshalb auf die Fähigkeit zur Wahrnehmung von stimmlichen Emotionen konzentriert, denen die Fachwelt besondere Bedeutung für soziale Interaktionen und Lebensqualität beimisst.“ Für ihre Studie verglichen die Jenaer Expertinnen und Experten die Hörleistung von 25 Implantat-Tragenden mit 25 Normalhörenden – die Zusammensetzung von Alter und Geschlecht war in beiden Gruppen gleich. Den Versuchspersonen wurden sogenannte Pseudowörter – also Wörter ohne Sinn – vorgespielt, die zuvor von verschiedenen Sprecherinnen und Sprechern mit unterschiedlichen Emotionen eingesprochen waren. Die Aufnahmen waren im Experiment stimmlich gemorpht – das heißt die Stimmparameter wie Tonhöhe oder Klangfarbe waren entweder selektiv oder in Kombination systematisch verändert. Die Versuchspersonen sollten jeweils entscheiden, ob eine abgespielte Stimme ängstlich oder wütend klang.
Leistungsstärkere Geräte und Trainingsprogramme entwickeln
„Dabei stellten wir fest, dass die Gruppe mit Cochlea-Implantaten insgesamt niedrigere Werte bei der stimmlichen Emotionserkennung gezeigt hat“, sagt Celina von Eiff. „Während aber Normalhörende Klangfarbe und Tonhöhe in einem ähnlichen Ausmaß bei der Erkennung nutzen konnten, orientierten sich die Implantatträgerinnen und -träger überraschenderweise verstärkt an der Klangfarbe. Einige von ihnen können sie sehr gut nutzen, um stimmliche Emotionen zu erkennen.“ Die Nutzerinnen und Nutzer einer Prothese, denen die Wahrnehmung von stimmlichen Emotionen leichter fiel, berichteten von einem höheren Maß an Lebensqualität, erfuhren die Forschenden der Uni Jena zudem bei einer begleitenden Befragung.
Die Ergebnisse der Jenaer Studie können beispielsweise in die Entwicklung noch leistungsfähigerer Cochlea-Implantate einfließen. „In unserem Team arbeiten wir derzeit außerdem an der Entwicklung und Evaluation von Interventionen für Menschen mit Cochlea-Implantaten, die auf dieser Forschung aufbauen“, sagt Celina von Eiff. „So können wir Interessierten aktuell die Teilnahme an einem wissenschaftlich fundierten Training für die Wahrnehmung von stimmlichen Emotionen im Rahmen einer Studie anbieten.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Celina von Eiff
Institut für Psychologie der Universität Jena
Leutragraben 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945939
E-Mail: celina.isabelle.von.eiff@uni-jena.de
Originalpublikation:
von Eiff, Celina I.; Skuk, Verena G.; Zäske, Romi; Nussbaum, Christine; Frühholz, Sascha; Feuer, Ute; Guntinas-Lichius, Orlando; Schweinberger, Stefan R.: Parameter-Specific Morphing Reveals Contributions of Timbre to the Perception of Vocal Emotions in Cochlear Implant Users. Ear and Hearing: January 5, 2022. DOI: 10.1097/AUD.0000000000001181
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch